Schmerzmittel sind eine großartige Erfindung. Man lässt sie sich vom Arzt verordnen, und kurze Zeit später hat man keine Beschwerden mehr. Die damit verbundenen Gefahren werden oft außer Acht gelassen. Eines dieser Mittel ist Tilidin. Wie alle Opioide macht es schnell abhängig. Zwar lässt sich eine Tilidin-Abhängigkeit durchaus vermeiden oder im gegebenen Fall auch wieder beenden, doch dazu muss man die auslösenden Mechanismen verstehen.
Tilidin ist ein Schmerzmittel, das aus chemischer Sicht eine starke Ähnlichkeit zu Morphium aufweist. Allerdings wirkt es etwa fünfmal schwächer. Laut WHO ist es ein „niedrig potentes Opioid-Analgetikum der 2. Stufe“. In Verwendung ist es seit den 1970er Jahren. Es gibt Tabletten, Kapseln, Tropfen, Zäpfchen und im klinischen Bereich auch Injektionen. Manche Personen verwenden das Medikament als Droge. Unter anderem lassen sich damit die Entzugserscheinungen von Heroin abmildern.
Etwa 10 bis 15 Minuten nach der Einnahme einer Tilidin-Tablette tritt die Wirkung ein, bei Tropfen etwas früher. Der Schmerz lässt nach, der Patient fühlt sich besser. Besonders bei höheren Dosierungen kommt die für Opioide typische Euphorie hinzu. Gute Laune und ein gestärktes Selbstbewusstsein können die Folge sein. Die Wirkung hält etwa sechs Stunden an.
Nimmt man eine zu hohe Dosis, ändert sich der Effekt. Die Wirkung wird dann nicht etwa stärker, sondern lässt schlagartig nach. Das liegt daran, dass die Produkte, die man in der Apotheke erhält, mit Naloxon vermischt sind. Diese Substanz hemmt die Tilidin-Wirkung ab einer bestimmten Dosis. Das soll zum einen die Risiken durch versehentliche Überdosierungen vermeiden, zum anderen aber auch den Missbrauch des Medikaments als Droge erschweren.
Die Entstehung einer Abhängigkeit ist bei Medikamenten ein schleichender Prozess. Anders als bei Alkohol oder illegalen Drogen bleibt sie für den Betroffenen und seine Mitmenschen oft für lange Zeit unerkannt. Das ist gefährlich, denn Tilidin kann schon nach wenigen Tagen zur Gewöhnung und Abhängigkeit führen, auch wenn man sich genau an die vom Arzt empfohlene Dosierung hält. Kurz nach der Einnahme lässt der Schmerz nach. Ist die Wirkung dann nach einigen Stunden vorbei, sehnt sich der Patient nach der nächsten Dosis.
Oft wird eine Abhängigkeit erst erkannt, wenn das Medikament abgesetzt werden soll. Die Symptome: schlechte Laune, Übelkeit, Frösteln, Zittern und Muskelschmerzen. Der Patient hat das Gefühl, dass nur eine weitere Dosis Abhilfe schaffen kann. Laut WHO liegt eine Tilidin-Abhängigkeit vor, wenn folgende Kriterien gleichzeitig auftreten: starkes Verlangen nach Tilidin („Craving“); Verlust der Kontrolle über die Einnahme und Menge; Dosis-Erhöhung um die Toleranz zu umgehen; körperliche und seelische Entzugserscheinungen; viele Bereiche des Alltags werden durch das Medikament dominiert; Fortsetzung der Einnahme, obwohl die Nebenwirkungen immer stärker werden.
Wer Tilidin für lange Zeit nimmt, riskiert nicht nur, in eine Sucht abzurutschen. Es treten auch andere körperliche und psychische Probleme auf. Die Betroffenen haben oft Probleme mit der Konzentration, leiden unter Depressionen und können nachts nicht mehr schlafen. Sie bauen körperlich ab, verlieren an Gewicht und Muskelkraft. Mit der Zeit werden die Nebenwirkungen immer stärker, während die erwünschte Wirkung nur noch mit höheren Dosierungen zu erreichen ist. Da das Medikament sowohl körperlich als auch psychisch abhängig macht, ist der Entzug sehr schwierig.
Eine Tilidin-Abhängigkeit kann auf eigene Faust fast unüberwindbar erscheinen. Viele Patienten versuchen es zuerst instinktiv mit einem kalten Entzug und scheitern damit. Mit ärztlicher Hilfe stehen die Chancen aber gut. Bei der sogenannten „strukturieren Opioidtherapie“ reduziert man die Dosis langsam, Schritt für Schritt. Der Patient bekommt nur noch kleine Mengen ausgehändigt, etwa für einen Tag oder eine Woche. Je nach Bedarf können unterstützende Maßnahmen zum Einsatz kommen, wie Physiotherapie, Ergotherapie, Sport, Rehabilitation, Psychotherapie, Selbsthilfegruppen und Drogenberatung. Bei vielen Patienten reicht das schon, um aus der Sucht zu entkommen.
Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, einen stationären Entzug oder eine substitutionsgestützte Suchttherapie in Anspruch zu nehmen. Das kann mehrere Wochen bis Monate dauern. Währenddessen wird der Patient auf das Leben nach der Sucht vorbereitet. Das soll Rückfälle verhindern. Um auch langfristig abstinent zu bleiben, sind die Teilnahme an einer ambulanten Psychotherapie und der Besuch einer Nachsorge- oder Selbsthilfegruppe essenziell.