Eigentlich hätte sich Dieter Adler,
Psychotherapeut und Vorstandsmitglied des neu gegründeten
Berufsverbandes Deutsches Psychotherapeuten Netzwerk freuen können:
Monatelang hatte der Verband dagegen gekämpft, dass die
umstrittene Lotsenregelung trotz großer Ablehnung bei Patienten und
Psychotherapeuten doch noch in Kraft tritt. Bei der Lotsenregelung
sollten psychisch Kranke gezwungen werden, vor dem Besuch eines
Psychotherapeuten einen "Lotsenarzt" aufzusuchen. Damit war
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei allen
Psychotherapeutenverbänden, Patientenvereinigungen und der
überwiegenden Zahl der Abgeordneten abgeblitzt.
Und der Verband Deutsches Psychotherapeuten Netzwerk hatte dem
Minister gleichzeitig eigene Vorschläge gemacht, die gerade schwer
psychisch Kranken helfen sollten. Unter anderem eine Vereinfachung
des Antragsverfahrens für längere Psychotherapien. Hier waren
aufwändige Antrags-Berichte der Therapeuten vorgeschrieben, die einem
externen Gutachter vorgelegt werden sollten.
"Vereinfachen Sie das Antragsverfahren und schaffen Sie so neue
Therapieplätze!", so lautete die Forderung. 520.000 Stunden werden
durch das Antragsverfahren, so hatte eine Studie des
Verbands-Vorgängers "Initiative für gerechte Honorare" 2016 ergeben,
von niedergelassenen Psychotherapeuten verbraucht. Eine Vereinfachung
des Antragsverfahrens, so hatte Adler dem Minister vorgerechnet,
schafft mindestens 12.500 neue Therapieplätze. Gleichzeitig empfahl
er dem Minister, das Antragsverfahren, das sogenannte
Gutachterverfahren, für Gruppentherapien ganz abzuschaffen.
Letzte Woche hat die Regierungskoalition unerwartet reagiert: das
Gutachterverfahren wird schrittweise vereinfacht und dann endgültig
durch andere Verfahren zur Qualitätssicherung der Psychotherapie
ersetzt. Für Gruppentherapie wird das Gutachterverfahren sofort nach
Inkrafttreten des Gesetzes ersatzlos abgeschafft.
Das Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk hat gleichzeitig gegen
eine Einführung der Lotsenregelung "durch die Hintertür" gewarnt. Der
Vorschlag des Netzwerkes war: eine Institution zu schaffen, die
schwer psychisch Kranken hilft, bei der alle Facharztgruppen vernetzt
zusammenarbeiten. Auch dies hat das Ministerium jetzt umgesetzt und
der Bundestag gestern beschlossen. Aber auch hier hat der
Bundesgesundheitsminister eine Hintertür geschaffen, die umstrittene
Lotsenregelung doch noch einführen zu können. Davor warnt der
Abgeordnete und FDP-Berichterstatter für das Gesetz, Wieland
Schinnenburg, selbst Zahnarzt und Rechtsanwalt.
"Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt ... Regelungen für eine
berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte
Versorgung, insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit
einem komplexen psychiatrischen oder psychotherapeutischen
Behandlungsbedarf", lautet der Änderungsantrag der
Regierungskoalition.
Das Wort "insbesondere" eröffne, so der Jurist Schinnenburg,
wiederum die Möglichkeit, eine Lotsenregelung für alle
Psychotherapie-Patienten einzuführen, weil diese Formulierung
juristisch auch weitere Personengruppen einschließt. Also auch
weniger schwer Erkrankte.
Doch auch über die zweite Erleichterung ist das Deutsche
Psychotherapeuten Netzwerk nicht gerade erfreut. Das
Gutachterverfahren wird zwar durch ein neues "Verfahren zur
Qualitätssicherung" ersetzt. Gerade das bereitet dem Verband neues
Kopfzerbrechen. "Unklar ist, wie dieses Verfahren aussieht. Wird es
von den Krankenkassen selbst übernommen? Prüft der medizinische
Dienst der Krankenkassen die Wirtschaftlichkeit längerer Therapien?
Oder kann auch hier eine Lotsenregelung eingeführt werden? Wir werden
das von unserem Justiziar prüfen lassen", so Verbandsvorstand Adler.
Allerdings, so Adler, stehe noch kein Termin zu Abschaffung fest. Das
habe der Bundesgesundheitsminister dem für die Veränderung von
Therapiefragen zuständigen gemeinsamen Bundesausschuss, dem höchsten
Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen selbst überlassen.
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