Fast jeder sechste Arzt oder Ärztin (15
Prozent) hat in den vergangenen drei Jahren sexuelle Übergriffe an
seinem Arbeitsplatz beobachtet. 7 Prozent der Mediziner wurden selbst
von Kollegen sexuell belästigt. So die Ergebnisse des aktuellen
Medscape-Reports "Sexuelle Belästigung unter Ärzten, Pflegepersonal
und Patienten". Knapp die Hälfte der Betroffenen stuft die Erfahrung
als verletzend ein. Mehr als ein Drittel gibt an, dass die Vorfälle
Ihre Arbeit stark beeinträchtigt haben. Dennoch haben drei von vier
Betroffenen den Täter nicht gemeldet - meist aus Sorge, als
überempfindlich zu gelten. Fast jeder vierte Mediziner und mehr als
ein Drittel des Pflegepersonals berichten zudem von sexuellen
Übergriffen durch Patienten.
An der Online-Umfrage des Gesundheitsportals Medscape nahmen über
1.000 Beschäftige im Gesundheitswesen teil.1 Die große Mehrzahl davon
Ärzte und Assistenzärzte. Jede siebte Ärztin (13 Prozent) und einer
von 25 Ärzten (4 Prozent) gab an, in den letzten drei Jahren von
einem anderen Mitarbeiter, zum Beispiel einem Arzt-Kollegen, dem
medizinischen Personal oder einem Verwaltungsangestellten, sexuell
belästigt worden zu sein. Jeder vierte Arzt und mehr als ein Drittel
des Pflegepersonals berichteten zudem von sexuellen Übergriffen durch
Patienten.
Damit decken sich die Ergebnisse des Medscape-Reports "Sexuelle
Belästigung unter Ärzten, Pflegepersonal und Patienten" mit den
Erkenntnissen einer kürzlich veröffentlichten Studie der
Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)2: Darin hatte jede siebte
erwerbstätige Frau (13 Prozent) und jeder zwanzigste Mann (5 Prozent)
von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz berichtet. Am stärksten
Betroffen: der Bereich Gesundheits- und Sozialwesen.
"Ich finde es gut, dass es für Deutschland jetzt endlich einmal
Zahlen zu sexuellen Belästigungen von Ärzten und Ärztinnen gibt",
kommentiert die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB) Dr.
Christiane Groß den Medscape-Report. "Als Arzt oder Ärztin ist man,
was sexuelle Übergriffe angeht, mehr gefährdet als in manch anderen
Berufen - nicht nur von Kollegen, sondern auch von Patienten und
Patientinnen, weil wir körperlich viel näher an den Menschen dran
sind," betont Groß.
Beförderung für Sex
"Wiederholt wurden mir von Kollegen Nachrichten und Filmchen mit
nackten Frauen geschickt", berichtet eine der befragten Ärztinnen.
Sexuelle Übergriffe wie dieser scheinen in deutschen Kliniken an der
Tageordnung. Am häufigsten genannt wurden: "anzügliche Kommentare und
Blicke" (61 Prozent), "Vorschläge für sexuelle Aktivitäten" (32
Prozent), "ständige Flirts oder Fragen nach einem Treffen" (25
Prozent) und "unerwünschte Briefe, Textnachrichten und Emails mit
sexuellem Inhalt" (18 Prozent).
Bei mehr als der Hälfte der Befragten wurden die Kolleginnen und
Kollegen jedoch auch körperlich aufdringlich: Die Erlebnisse reichen
von Annäherungen und fehlender räumlicher Distanz (56 Prozent) bis
hin zu unerwünschtem Anfassen und Umarmen (51 Prozent). Einem von
vierzehn Medizinern (7 Prozent) wurde gar eine Beförderung als
Gegenleistung für eine sexuelle Gefälligkeit in Aussicht gestellt.
Oder bei Verweigerung mit Nachteilen gedroht. Ebenso viele wurden
gewaltsam zu einer Berührung oder einem sexuellen Kontakt gezwungen.
Kommen die Übergriffe aus dem Kollegenkreis, ist der Täter in
jedem zweiten Fall ein anderer Arzt. In den seltensten Fällen (9
Prozent) sind Täter und Opfer dabei beruflich auf Augenhöhe. Fast
jede zweite Belästigung geht von einem Vorgesetzten aus. Eine
Anästhesistin berichtete in den Kommentaren des Reports: "Ein
Oberarzt umarmte mich während der Narkoseausleitung von hinten,
berührte meine Brust und griff mir zwischen die Beine".
Tatsächlich scheint es gerade an öffentlich zugänglichen Orten,
wie dem OP-Bereich, dem Untersuchungs- oder Behandlungszimmer oder
dem Klinikflur zu Übergriffen zu kommen. Ein Fünftel der sexuellen
Belästigungen (21 Prozent) fand hinter verschlossener Tür statt.
Erhebliche psychische Auswirkungen
Knapp die Hälfte der Betroffenen fühlte sich nach dem Übergriff
verletzt oder sehr verletzt. Vier von zehn Medizinern (39 Prozent)
gaben an, dass das Erlebte sie stark im Berufsalltag beeinträchtigt
hat. Fast ein Viertel (23 Prozent) kündigte nach dem Übergriff.
Ebenso viele gaben an, dass sie mit diesem Gedanken spielten.
Bemerkenswert: Trotz dieser erheblichen Auswirkungen haben drei
von vier Betroffenen den Täter nicht gemeldet. Die meisten Ärzte
hatten offenbar Sorge, dass ihnen vorgeworfen würde, überreagiert zu
haben (40 Prozent). Andere befürchteten, dass ohnehin nichts gegen
den Täter unternommen werde (26 Prozent) oder, dass ihre Aussagen
nicht vertraulich behandelt würden (21 Prozent). Mehr als jeder
fünfte Arzt (23 Prozent) beklagte eine mangelnde Unterstützung durch
den Arbeitgeber. Auf die Frage etwa, ob ihnen ihr Arbeitgeber ein
obligatorisches Training für den Umgang mit sexueller Belästigung am
Arbeitsplatz anbiete, antworten 92 Prozent mit Nein.
Egal ob selbst betroffen oder nicht, die Mehrheit der befragten
Ärzte/Ärztinnen und Krankenpfleger/-innen (80 Prozent) war sich
einig: Sexuelle Belästigungen wirken sich am Ende negativ auf die
Qualität der Patientenversorgung aus.
Was Betroffene empfehlen
Unbedingt mit Kollegen, dem Vorgesetzten oder dem Betriebsrat
reden und den Vorfall melden - das rät die Mehrzahl der Befragten
ihren betroffenen Kolleginnen und Kollegen. Ein konkreter Vorschlag
lautete: "Dem Aggressor sollte man verbal unmissverständlich klar
machen, dass man diese Belästigung nicht möchte. Wenn erforderlich
auch körperlich Gegenwehr leisten. Falls dieses Vorgehen nicht sofort
zur Beendigung dieses Verhaltens führt, sollte man Zeugen oder Dritte
zu Hilfe rufen. Damit eine eventuelle polizeiliche Anzeige auch
Erfolg hat."
"Jeder hat eine andere Schwelle, an der für ihn sexuelle
Belästigung beginnt", räumt Groß im Gespräch mit Medscape ein. "Wenn
man aber selbst das Gefühl hat, es handelt sich um einen Übergriff,
sollte man diesen Eindruck ernst nehmen und mit einer
Vertrauensperson darüber sprechen", so der Ratschlag der
DÄB-Präsidentin.
Die vollständigen Ergebnisse der Medscape-Reports "Sexuelle
Belästigung unter Ärzten, Pflegepersonal und Patienten" finden Sie
unter folgendem Link:
https://deutsch.medscape.com/diashow/49000691?faf=1
Über den Medscape Report
Die nicht repräsentative Online-Umfrage wurde von Ende Juni bis
Anfang September 2019 unter den Lesern des Medizinportals Medscape
durchgeführt. Die Fragebögen von 1.055 Teilnehmern konnten
ausgewertet werden, darunter vor allem Ärzte (77%) und Assistenzärzte
(17%). Zu einem geringeren Anteil vertreten: Krankenpfleger/-innen
(4%) und Medizinstudenten (3%). Unter den Ärzten, die den Fragebogen
ausgefüllt haben, waren 67% Männer und 33% Frauen. Mit 21% am
stärksten vertreten waren Ärzte im Alter zwischen 55 und 59 Jahren.
In Zusammenarbeit mit Experten wurden für die Umfrage neun
verschiedene Arten der sexuellen Belästigung definiert:
- Unerwünschte sexuelle Textnachrichten/E-Mails
- Kommentare über Körperregionen
- Aufforderung zu sexuellen Aktivitäten
- Wiederholte Fragen nach einem Date
- Angebote zur Beförderung gegen sexuelle Gefälligkeiten
- Androhen von Nachteilen bei fehlender Einwilligung
- Fehlende Räumliche Distanz, mangelnder Sicherheitsabstand
- Unerwünschte Berührungen, Grabschen
- Vergewaltigung
Über Medscape und WebMD Health Corp
Medscape, eine Tochtergesellschaft der WebMD Health Corp., ist der
führende Anbieter für Nachrichten aus dem klinischen Bereich,
Gesundheitsinformationen und Point-of-Care-Tools für medizinisches
Fachpersonal. Medscape bietet Spezialisten, Hausärzten und anderen
Gesundheitsprofessionals zuverlässiges und integriertes medizinisches
Informations- und Weiterbildungsmaterial. Medscape Education
(Medscape.org) ist zudem führend in der kontinuierlichen beruflichen
Weiterbildung und bietet aus mehr als 30 spezialisierten
Themenbereichen Tausende kostenlose CME- und CE-Kurse sowie
Ausbildungsprogramme für Ärzte, Krankenschwestern und andere
Gesundheitsprofessionals an.
WebMD Health Corp. ist führender Anbieter von
Gesundheitsinformationsdiensten für Verbraucher, Ärzte, medizinisches
Fachpersonal, Arbeitgeber und Krankenversicherungen. Das Unternehmen
betreibt verschiedene öffentliche sowie geschlossene Online-Portale,
mobile Plattformen und erstellt gesundheitsorientierte Publikationen.
Zum WebMD Health Network zählen unter anderen WebMD Health, Medscape,
MedicineNet, eMedicineHealth, RxList, Medscape Education sowie die
Marken WebMD®, Medscape®, CME Circle®, Medpulse®, eMedicine®,
MedicineNet®, theheart.org® und RxList®.
Quellen
1. Medscape-Report "Sexuelle Belästigung unter Ärzten, Pflegepersonal
und Patienten", Medscape Deutschland, Veröffentlicht: 12.11.2019.
https://deutsch.medscape.com/diashow/49000691?faf=1
2. Studie "Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz -
Lösungsstrategien und Maßnahmen zur Intervention",
Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Veröffentlicht: 25.10.2019.
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Aktuelles/DE/
2019/PK_Schroettle_Studie_Sexuelle_Belaestigung.html
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