Zahlreiche Arztpraxen in Deutschland sind nach Recherchen von
NDR und Süddeutscher Zeitung ungenügend vor Hackern geschützt. Das geht aus
einem vertraulichen Papier der Gesellschaft Gematik hervor, das "Panorama 3" und
"Süddeutscher Zeitung" vorliegt. Die Gematik gehört mehrheitlich dem
Bundesministerium für Gesundheit und wurde von diesem beauftragt, die
Digitalisierung im Gesundheitswesen voran zu treiben.
Auslöser für die Sicherheitslücke ist die Anbindung an die sogenannte
Telematikinfrastruktur (TI). Sie soll eigentlich Praxen, Krankenhäuser und
Apotheken miteinander verbinden und verschiedene Anwendungen ermöglichen,
darunter die elektronische Patientenakte. Dem vertraulichen Papier zufolge haben
mehr als 90 Prozent der an das Gesundheitsdaten-Netzwerk TI angeschlossenen
Praxen Sicherheitsrisiken - mit der Folge, dass sich Hacker leicht Zugang zu den
sensiblen Gesundheitsdaten von Millionen Patienten verschaffen könnten.
Schon seit dem Frühjahr 2019 weist der IT-Fachmann Jens Ernst auf
Sicherheitsprobleme hin. Grund für die Sicherheitslücke ist die Methode, wie
Praxen an das Gesundheitsnetzwerk TI angeschlossen worden sind. Dabei gibt es
zwei Verfahren: das sogenannte parallele Anschlussverfahren und das sogenannte
serielle. Beim parallelen Anschlussverfahren müsste unbedingt eine zusätzliche
technische Absicherung wie zum Beispiel durch eine Firewall erfolgen. Genau
diese fehlt jedoch offenbar in etlichen Praxen. Viele Praxen beauftragen private
IT-Dienstleister, um ihre Praxis an das Gesundheitsnetzwerk zu bringen.
Nach Recherchen von "Panorama 3" und "Süddeutscher Zeitung" erfolgten bis Mai
2019 mehr als 90 Prozent der Installationen in dem als kritisch bewerteten
Parallelbetrieb. Inzwischen hängen rund 115.000 Praxen an dem
Gesundheitsdatennetzwerk.
Prof. Harald Mathis vom Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik
FIT hat im Auftrag des bayrischen Fachärzteverbands exemplarisch 30 Praxen
untersucht, die mit dem problematischen Parallelbetrieb angeschlossen wurden.
"Ein Drittel war sicher und die anderen zwei Drittel waren in einem
beklagenswerten Zustand", sagt Mathis. IT-Fachmann Jens Ernst sieht die
Bundesregierung in der Verantwortung. Er kritisiert unter anderem, dass
IT-Dienstleister nicht staatlich zertifiziert seien.
Das Gesundheitsministerium weist die Vorwürfe von sich. Es erklärt auf Anfrage,
dass die "IT-Netze in den Praxen nicht Teil der Telematikinfrastruktur" seien.
Die sichere Installation sei Aufgabe der Praxen. Die vom
Bundesgesundheitsminister beauftragte Gesellschaft Gematik ergänzt, sie habe
keine Vertragsbeziehung zu den Dienstleistern und könne "daher nicht direkt auf
die Dienstleister Einfluss nehmen". Dabei hat die Gematik laut Gesetz die
Aufgabe, die Umsetzung der Telematikinfrastruktur zu überwachen.
Für die Patienten können die Folgen beträchtlich sein: Praxen mit dem kritischen
Parallel-Anschluss sind bereits gehackt worden, wie die Recherchen von "Panorama
3" und SZ zeigen.
Mit dem digitalen Versorgungsgesetz, das vergangene Woche im Bundestag
beschlossen wurde, will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nun nachbessern.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung soll eine Richtlinie zur IT-Sicherheit in
Praxen erarbeiten. Allerdings soll die erst ab Sommer 2020 greifen.
"Panorama 3": dienstags um 21.15 Uhr im NDR Fernsehen. Mehr zur Sendung unter
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