Mit dem 30. November 2019 ist das Ende der
Hilfsmittel-Ausschreibungen endgültig besiegelt. Nach einer Übergangsfrist wird
das bereits im Mai in Kraft getretene Terminservice- und Versorgungsgesetz nun
wirksam. "Damit ist der unwürdige Preiskampf auf dem Rücken der Patientinnen und
Patienten hoffentlich vorbei. Die Politik hat sich klar für die Qualität der
Versorgung positioniert", betont Klaus-Jürgen Lotz, Präsident des
Bundesinnungsverbands für Orthopädie-Technik (BIV-OT) und Vertreter der
Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich. "Wir setzen jetzt auf eine schnelle
Reaktion aller gesetzlichen Krankenkassen, um flächendeckend
Verhandlungsverträge auf Augenhöhe abzuschließen - wie vom Gesetzgeber
gewünscht." Nur so sei eine qualitativ hochwertige Hilfsmittel-Versorgung im
Sinne des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) gewährleistet.
"Der Wegfall der Ausschreibungen ist nicht nur für uns, sondern vor allem für
die gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten ein Grund zum Feiern! Das
Vertrauen in eine qualitätsgesicherte Hilfsmittelversorgung ist essentiell:
Immerhin betrifft Hilfsmittel-Versorgung 25 Prozent der gesetzlich versicherten
Patienten. Wir sprechen hier von mehr als 20 Millionen Hilfsmittel-Versorgungen
pro Jahr in Deutschland - Tendenz aufgrund des demografischen Wandels steigend",
so Lotz. Der in den letzten Jahren durch Ausschreibungen seitens der
Krankenkassen gestiegene Preisdruck habe zu Qualitätseinbußen bei zahlreichen
Hilfsmitteln geführt sowie zur Zerschlagung einer wohnortnahen Versorgung.
Noch ausstehende Verhandlungsverträge
"Dieser Teufelskreis zulasten von Teilhabe und Lebensqualität ist nun
durchbrochen. Von 90 Prozent der gesetzlichen Krankenkassen wurden auskömmliche
Verträge zu marktüblichen Preisen geschlossen. Einige gesetzliche Krankenkassen
aus dem Bereich der Ersatzkassen haben es aber wieder einmal bevorzugt, lieber
durch Einzel- bzw. Open-House-Verträge* jene Dumpingpreise durch die Hintertür
wieder in den Markt zu drücken, die es zu verhindern galt. Nach dem Motto ''Friss
oder stirb!'' bedeutet dieses Vorgehen für die Leistungserbringer erneut einen
ruinösen Preiskampf, welcher am Ende in Aufzahlungen der Versicherten mündet",
kritisiert der BIV-OT-Präsident. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei es
unzulässig, auf Open-House-Diktatverträge auszuweichen. "Das haben einige
Krankenkassen anscheinend nicht begriffen und führen Einzelgespräche mit den
bisherigen Ausschreibungsgewinnern. Ziel dürfte es sein, mit jenen Folgeverträge
abzuschließen und den anderen Leistungserbringern anschließend den Beitritt
anzubieten. Derartige Konstruktionen hebeln allerdings die
Verhandlungsmöglichkeit der übrigen Anbieter aus. Sie entsprechen nicht der
Zielrichtung des TSVGs und wurden vom Gesetzgeber klar untersagt. Wir fordern
alle gesetzlichen Krankenkassen zu fairen Verhandlungen auf Augenhöhe auf."
Situation für Patienten: Fallpauschalen gelten weiter
Versorgungen auf Basis von Fallpauschalen, die aufgrund von
Ausschreibungsverträgen vor dem 30. November 2019 vergeben worden sind, gelten
vorerst weiter. Das bedeutet: Bis zum Auslaufen des jeweiligen
Versorgungszeitraums - zum Beispiel einer auf ein halbes Jahr terminierten
Belieferung mit Inkontinenzmitteln - sind die Patientinnen und Patienten nach
wie vor an den Ausschreibungsgewinner und dessen Hilfsmittelangebot gebunden.
Danach gilt die freie Lieferantenwahl. Dieser rechtlich korrekte Ablauf wurde
durch das Bundesversicherungsamt (BVA) bestätigt.
Wahlfreiheit wiederhergestellt
Insgesamt jedoch ergeben sich für Patientinnen und Patienten erhebliche
Verbesserungen: Bei neuen Hilfsmittelversorgungen ist ihre Wahlfreiheit zwischen
allen zur Versorgung berechtigten orthopädietechnischen Betrieben und
Sanitätshäusern wiederhergestellt. Der zwangsweise Verweis durch die
Krankenkassen auf einen Ausschreibungsgewinner entfällt. "Wir rechnen mit einer
Qualitätssteigerung, wenn die neuen Verhandlungsverträge die bisherigen
Ausschreibungen ersetzen. Aufgrund des damit verbundenen höheren und zugleich
realistischen Preisniveaus ist eine qualitative Versorgung jetzt wieder
möglich", unterstreicht Lotz. "Die Patienten werden nicht zuletzt finanziell
entlastet." Außerdem werde die wohnortnahe Versorgung gestärkt: "Die
Versicherten müssen künftig nicht mehr akzeptieren, durch einen weit entfernten
Anbieter versorgt zu werden - wie es nach etlichen Ausschreibungen der Fall
war."
Hintergrund
Die Abschaffung des Instruments "Ausschreibung" gilt für alle medizinischen
Hilfsmittel, die in den Versorgungsbereich des § 33 SGB V** fallen. Für die
Versorgung mit Verbandsmitteln, Harn- und Blut-Teststreifen sowie die Versorgung
mit bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung (künstliche Nahrungsversorgung
wie "Sondennahrung" oder auch nährstoffreiche Spezial-Trinknahrung) bleibt es
bei der bisherigen Rechtslage, dass entsprechende Lieferverträge der
Krankenkassen weiterhin durch Ausschreibungen vergeben werden können. Im Bereich
der enteralen Ernährung werden von dieser Regelung nur die Nahrungsprodukte als
solche, nicht jedoch die technische Ausrüstung für die Nahrungsgabe
(Applikationshilfen) erfasst. Durch das Verbot von Ausschreibungen können alle
orthopädietechnischen Betriebe und Sanitätshäuser wieder an allen
Versorgungsverträgen der Krankenkassen teilnehmen bzw. diese selbst abschließen.
Die Konzentration der Verträge auf die Ausschreibungsgewinner endet. Damit
verbunden ist die Hoffnung der Unternehmen auf eine fairere Entlohnung ihrer
Arbeit.
* Bei Open-House-Verträgen schreibt allein die Krankenkasse als mächtige
"Einkäuferin" alle Bedingungen wie Preis, Lieferfristen oder Qualität vor, nach
denen Patienten mit Hilfsmitteln zu versorgen sind. Änderungen sind nicht
zulässig, Verhandlungsspielraum besteht nicht. Jedes Unternehmen, das die
definierten Voraussetzungen erfüllt, kann dem Vertrag während dessen Laufzeit
jederzeit beitreten - muss den Vertrag jedoch ohne Wenn und Aber akzeptieren,
bei Strafe des Ausschlusses von der Versorgung.
** § 33 SGB V siehe: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__33.html
Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) vertritt als
Spitzenverband des orthopädietechnischen Handwerks mehr als 2.500 Sanitätshäuser
und orthopädietechnische Werkstätten mit etwa 40.000 Beschäftigten. Jährlich
versorgen die angeschlossenen Häuser mehr als 20 Millionen Patienten mit
Hilfsmitteln. Der BIV-OT vertritt damit bundesweit Leistungserbringer, die
dauerhaft den höchsten Anforderungen an eine wohnortnahe und flächendeckende
Patientenversorgung entsprechen und als Innovationstreiber im deutschen
Gesundheitsmarkt wirken.
Pressekontakt:
Kirsten Abel
Pressesprecherin des Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik
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