Neun von zehn Menschen haben Angst davor ein Pflegefall zu werden.
Für 3,4 Millionen Deutsche ist das die Realität. Was bedeutet es,
pflegebedürftig zu sein? Kann man in einem Pflegeheim überhaupt glücklich sein?
In seinem neuen "Jenke-Experiment" hinterfragt Jenke von Wilmsdorff
unterschiedliche Aspekte zum Thema - und begibt sich selbst in die Situation
eines Pflegefalls. Die Arme in Gips, die Beine fixiert, kann er sich weder
selbst waschen, noch alleine essen. Für seine Reportage reist der engagierte
Journalist bis nach Japan, wo in Pflegeheimen Roboter eingesetzt werden und
versorgt als Pflege-Assistent die vom Hals an gelähmten Ex-Stabhochspringerin
Kira Grünberg.
Jenke von Wilmsdorff im Interview:
Was war für Sie die besondere Herausforderung bei diesem Experiment? Mein
Selbstversuch zum Thema Pflege war physisch aber vor allem auch psychisch
herausfordernd. Nicht umsonst, möchte man dieses Thema möglichst weit von sich
wegschieben. Schließlich wird man dabei auch mit dem eigenen Älterwerden und den
Ängsten, die damit verbunden sind, konfrontiert.
Warum ist das Thema Pflege so wichtig? Dafür gibt es viele Gründe. Wir werden
heute im Durchschnitt viel älter, als noch vor einigen Jahren. Damit betrifft
das Thema, bei einem normalen Lebensverlauf, fast alle Deutschen. Die meisten
von uns müssen damit rechnen, später einmal pflegebedürftig zu werden.
Gleichzeitig ist man bei dem Thema mit einer regelrechten Grundangst
konfrontiert. Wer möchte schön über sein eigens Ende nachdenken und stellt sich
gerne vor, seine letzten Jahre im Pflegeheim zu verbringen? Dann kommt noch
dazu, dass unser Pflegesystem mit seinen diversen Pflegestufen für viele
Menschen absolut unüberschaubar ist. All diese unterschiedlichen Aspekte haben
wir im neuen Jenke-Experiment hinterfragt.
Sie haben als Pflege-Assistent gearbeitet. Was hat sie dabei besonders bewegt?
Mich hat besonders bewegt, mit wieviel Hingabe und Engagement viele Pflegekräfte
ihre Arbeit gemacht haben - und das, trotz des enormen Zeitdrucks. Mein
Selbstversuch hat mir gezeigt, dass man diesen Job nur machen kann, wenn man ein
wirklicher Menschenfreund ist. Wer sich nicht für andere interessiert, kann auch
nicht mit Würde und Respekt einen anderen pflegen. Dazu kommt, dass der Job
Knochenarbeit ist. Man muss Menschen, die völlig kraftlos sind, beispielsweise
umlagern. Auch psychisch ist Pflege sehr belastend. Man muss immer damit
rechnen, dass der Mensch, zu dem man eine Bindung aufgebaut hat, am nächsten Tag
vielleicht schon verstorben ist. Auch wenn Pflegemangel herrscht, nicht jeder
ist dafür geeignet. Der Beruf des Pflegers hat nach meiner Erfahrung viel mehr
Anerkennung verdient - auch finanziell. Ich hoffe, dass unsere Reportage auch
dazu beitragen kann.
Sie haben die gelähmte Ex-Stabhochspringerin Kira Grünberg als Pflegeassistent
versorgt. Welche Eindrücke haben Sie dabei gewonnen? Kira Grünberg war eine der
erfolgreichsten Stabhochspringerinnen in Österreich. Bei einem Trainingsunfall
hat sie sich das Rückgrat gebrochen und ist seitdem querschnittsgelähmt. Mich
hat besonders beeindruckt, wie die heute 26-Jährige ihr Schicksal angenommen
hat. Sie ist trotzdem lebensfroh und führt ihr eigenes Leben. Als
Pflegeassistent habe ich ihr bei der Körperpflege, beim Anziehen aber auch sehr
intimen Dingen, wie dem Toilettengang geholfen. Das war selbst für mich erst
eine Überwindung, denn man teilt ja plötzlich sehr persönliche Bereiche
miteinander.
In Japan haben sind sie auf Pflegeroboter gestoßen. Eine Perspektive bei
Personalmangel? In Japan testet man auf Grund des Pflegemangels bereits
unterschiedliche technische Hilfsmittel. Ältere Menschen, die im Rollstuhl
sitzen, werden beispielsweise in eine Art Waschanlage geschoben und dort
geduscht. Es gibt elektronische Kuscheltiere und andere High-Tech Geräte zur
Betreuung. Ich fand davon jedoch nichts überzeugend. Menschen brauchen Empathie,
einen würdevollen Umgang und vor allem Kommunikation. Das sind eher armselige
Versuche einer Ersatzbetreuung. Zum Glück hat man das in Japan auch erkannt und
einige teure Geräte wieder abgeschafft.
In Ihrem Experiment sind Sie selbst sozusagen zum Pflegefall geworden. Wie sind
Sie damit klargekommen? Ich habe mich möglichst nah in die Situation
reinversetzt. Mir wurden die Arme eingegipst und ich konnte die Beine nicht mehr
ohne fremde Hilfe anheben. Das entsprach dem Zustand von einem Pflegegrad 5.
Hier wird man gefüttert und benötigt Hilfe beim Toilettengang. Ich fand diese
Abhängigkeit anfangs sehr frustrierend, habe nur nach Hilfe geklingelt, wenn es
gar nicht mehr anders ging. Dann habe ich nach und nach die Scheu verloren und
mir helfen lassen - selbst beim Urinieren. Wenn man die Situation so nah
nachfühlt, bekommt man noch mehr Verständnis für den zu Pflegenden, vor allem
aber enormen Respekt vor der unglaublichen Leistung des Pflegepersonals.
Wir werden statistisch immer älter und damit steigt auch die Zahl der
Pflegebedürftigen. Ist Pflege nicht auch ein lukrativer Geschäftszweig geworden?
Auf welche Unterschiede sind Sie bei den Pflegeeinrichtungen getroffen?
Natürlich geht es auch im Bereich der Pflege um viel Geld - gerade in einer
Gesellschaft die zunehmend vergreist. Nach unserer Recherche hatten wir den
Eindruck, dass Pfleger und auch Pflegebedürftige in kleinen Heimen, die nicht
von großen Ketten und Investoren betrieben werden und private Träger haben,
zufriedener waren.
Welchen Rat würden Sie Angehörigen geben, die sich nach einem Pflegeheim
umschauen? Angehörige sollten sehr wachsam sein, was Qualität und auch den
Personalschlüssel angeht. Sie sollten darauf achten, wie es dort riecht. Wenn es
nach Urin riecht, ist das kein gutes Zeichen. Auch die Zimmer sollten sie sich
genau anschauen und auf Details achten. Idealerweise direkt mit Bewohnern
sprechen. Wie ist ihr Eindruck, wie sehen die Speisen aus, haben die Bewohner,
die noch dazu im Stande sind, ausreichend Angebote sich zu beschäftigen? Im
Zweifelsfall besser eine Tagespflege wählen und in Ruhe weitersuchen.
Können Sie sich Ihren letzten Lebensabschnitt im Pflegeheim vorstellen? Das
hängt ganz vom Pflegeheim ab. Ich finde es tröstlich, dass es durchaus auch sehr
gute Pflegeheime gibt, wo man noch eine würdevolle und schöne letzte Lebensphase
verbringen kann.
Welches Fazit ziehen Sie persönlich nach Fertigstellung der Reportage? Der Job
des Pflegers ist extrem hart - physisch und psychisch. Nicht jeder ist dafür
geeignet ist. Bei den Heimen selbst gibt es große Unterschiede, ohne dass man
das nur am Preis festmachen kann. Der prüfende Blick von Angehörigen ist hier
absolut hilfreich. Nach meinem Selbstversuch und der Fertigstellung unserer
Reportage bin ich enorm dankbar, dass es mir so gut geht. Natürlich habe ich,
wie ganz bestimmt viele Menschen, den Wunsch nicht in eine Pflegesituation zu
kommen. Auch wenn die Realität für viele von uns später anders aussehen wird.
Beruhigender fände ich die Vorstellung, einfach einzuschlafen.
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