Zu der von der Bertelsmann-Stiftung vorgelegten Studie zur
Risikoverteilung im dualen Krankenversicherungssystem erklärt
Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt:
"Die Auftragsarbeit der Bertelsmann-Stiftung ist ein Griff in die ideologische
Mottenkiste und wurde offenbar in Unkenntnis des jüngsten Gutachtens der
Wissenschaftlichen Kommission für ein modernes Vergütungssystem der
Bundesregierung (KOMV) verfasst. Die KOMV hatte einer Vereinheitlichung der
Systeme einstimmig eine Absage erteilt. Stattdessen spricht sie sich für den
Erhalt des dualen Krankenversicherungssystems sowie für Reformen bei
Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV)
aus. Die Bertelsmann-Stiftung sollte sich an der Diskussion über praxistaugliche
Lösungen beteiligen, statt ideologisch motivierte Debatten von vorgestern zu
führen.
Die Autoren der Bertelsmann-Studie selbst räumen ein, dass ihrer zentralen These
ein nicht "realistisches, umsetzungsnahes Szenario" zugrunde liegt. Konkret geht
es um die Aussage, gesetzlich Versicherte würden um 145 Euro pro Jahr entlastet,
wenn alle jetzt PKV-Versicherten Mitglieder in der GKV würden. Das sind mehr als
zweifelhafte Zahlenspielereien, mit denen erneuet Forderungen nach der
Einführung einer Einheitsversicherung auf die politische Agenda gedrückt werden
sollen.
Es wird unterstellt, alle knapp neun Millionen Privatversicherten könnten in
ihrer Gesamtheit ad hoc in die GKV überführt werden, was allein rechtlich nicht
möglich wäre. Gar nicht thematisiert werden die über viele Jahre aufgebauten
Alterungsrückstellungen der Privatversicherten, die bei einem solchen Szenario
komplett entfallen würden. Man kommt auch nur dann auf die genannte Ersparnis,
wenn der Mehrumsatz, den Ärzte durch PKV-Versicherte erzielen und der für die
Finanzierung des Praxisbetriebs und des Praxispersonals unentbehrlich ist,
ersatzlos entfallen würde.
Leider aber bleiben in der Studie solche wichtigen Aspekte der
Patientenversorgung komplett außen vor. In den Niederlanden oder in
Großbritannien sehen wir, dass Einheitssysteme zu Rationierung, Wartezeiten und
Begrenzungen in den Leistungskatalogen führen. Hinzu kommt, dass die Private
Krankenversicherung die rasche Übernahme des medizinischen Fortschritts für alle
Patienten ermöglicht. Denn die Existenz der PKV führt mit einem hohen
Leistungsversprechen dazu, dass trotz aller Sparbemühungen auch das GKV-System
versucht, einen hohen Versorgungsstandard zu erreichen. In der
Einheitsversicherung hingegen, sichern sich diejenigen, die es sich leisten
können, einen exklusiven Zugang zur Spitzenmedizin als Selbstzahler oder durch
teure Zusatzversicherungen. Diese Einschätzung teilt auch die Wissenschaftliche
Kommission der Bundesregierung für ein modernes Vergütungssystem. Mit Blick auf
ein Einheitssystem warnt sie in ihrem Gutachten vor der Bildung eines
Sekundärmarktes, auf dem Patienten mit entsprechender Zahlungsbereitschaft
ärztliche Leistungen zu höheren Preisen kaufen können. Damit wäre die
Einheitsversicherung, anders als behauptet, keine gerechtere Alternative zum
dualen Krankenversicherungssystem, sondern Wegbereiter für eine echte
Zwei-Klassenmedizin in Deutschland."
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