Mit Blick auf den Umgang mit unerwünschten Stoffen, sogenannten
Kontaminanten, haben sich der Lebensmittelverband Deutschland und die
Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) gestern bei einer
gemeinsamen Tagung für eine ganzheitliche Betrachtung von Lebensmitteln
ausgesprochen. Diese würde eine Risiko-Nutzen-Bewertung des gesamten
Lebensmittels und nicht - wie aktuell üblich - eine Bewertung des Risikos nur
eines einzelnen Stoffes erfordern. Philipp Hengstenberg, Präsident des
Lebensmittelverbands, erklärte: "Unerwünschte Stoffe gelangen unbeabsichtigt in
Lebensmittel. Das heißt, niemand tut sie absichtlich hinein, niemand will sie in
Lebensmitteln haben, aber sie sind trotzdem drin, weil sie, wie beispielsweise
Dioxine, Quecksilber, Arsen oder Pyrrolizidinalkaloide, in der Umwelt vorkommen.
Wenn es um unerwünschte Stoffe geht, sitzen wir alle in einem Boot, Hersteller
konventionell produzierter Lebensmittel ebenso wie Hersteller ökologischer
Lebensmittel und Hersteller von Babynahrung. Denn alle Rohstoffe kommen von
einem Planeten, der denselben menschlichen und umweltbedingten Einflüssen
ausgesetzt ist. Wir müssen gangbare Lösungen finden, wie wir das
Schlüsselproblem angehen können, dass wir auf der einen Seite hohe
Sicherheitsstandards haben und auf der anderen Seite eine zunehmende
Ressourcenknappheit bei wachsender Weltbevölkerung." Ein positives Beispiel, wo
eine Risiko-Nutzen-Bewertung bereits durchgeführt wurde, sei der Fischverzehr
trotz Quecksilberbelastung. Dr. Alexander Beck, Geschäftsführer Vorstand der
AöL, ergänzte: "Es ist notwendig, dass Wirtschaft, Politik, Behörden und auch
die Öffentlichkeit eine gemeinsame Sensibilität für die Widersprüche und
Spannungsfelder zwischen Lebensmittelsicherheit und gesundheitlichen sowie
nachhaltigen Aspekten entwickeln."
Welche Aspekte zu einer ganzheitlichen Betrachtung gehören, erläuterte Prof. Dr.
Franz-Theo Gottwald vom Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und
Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin: "Rohstoffe können
immer nur so gut sein, wie die Umgebung, aus der sie stammen. Rohstoffe sind
Teil der Natur. Aber Qualität muss ganzheitlich bewertet werden. Dazu gehört die
Gesundheitsverträglichkeit, Sozialverträglichkeit, Wirtschaftsverträglichkeit
und Umweltverträglichkeit eines Produkts. Es geht um Fragen der Effizienz, der
Logistik, aber auch um kulturelle Fragen, wie beispielsweise, warum uns
hierzulande das Essen von Insekten eher schwerfällt."
Beispiele für notwendige Abwägungen stellten Hubertus Doms und Dr. Georg
Hartmann von der Firma HiPP vor. Herausforderungen seien insbesondere die
gleichzeitige Einhaltung von Höchstwerten für mehrere Parameter, die in
Einzelbetrachtung durch den Gesetzgeber festgelegt wurden. Zudem stehen diese
Parameter zuweilen auch anderen für eine nachhaltige Ernährung und
Lebensmittelwirtschaft wünschenswerten Faktoren gegenüber und schließen sich
aus: Beibehaltung einer großen Geschmacks- und Produktvielfalt,
Verpackungsreduktion oder die Reduzierung von Lebensmittelverlusten.
In der anschließenden Podiumsdiskussion stellten sowohl Gitta Connemann, CDU,
Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen, und Klaus Müller, Verbraucherzentrale
Bundesverband, klar, dass die Lebensmittelsicherheit keine Kompromisse eingehen
könne und die Gesundheit der Menschen immer vorgehe. Ebenfalls sei das
Vorsorgeprinzip eine wichtige Errungenschaft. Connemann verwies in Zeiten von
Fake-News auf die Unabdingbarkeit der wissenschaftlichen Basis. Prof. Dr. Dr.
Dieter Schrenk, Professor für Lebensmittelchemie und Toxikologie an der
Universität Kaiserslautern, sah als möglichen Weg zu einer besseren
Risikobewertung die Anwendung des Margin-of-Exposure-Ansatzes: "Toxikologische
Referenzwerte sind keine scharfe Marke. Es ist eher ein Risikobereich. So gibt
es Sicherheitsabstände zwischen den Werten, denen wir ausgesetzt sind, und
Werten, die möglicherweise gesundheitsgefährdend sind." Connemann brachte als
Lösungsansatz die MEAL-Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ein.
MEAL steht für "Mahlzeiten für die Expositionsschätzung und Analytik von
Lebensmitteln". Diese sogenannte Total-Diet-Studie untersucht erstmalig
systematisch und repräsentativ Lebensmittel im verzehrfertigen Zustand. Aus den
Daten lassen sich Verzehrempfehlungen für empfindliche Bevölkerungsgruppen oder
hinsichtlich bestimmter Lebensmittel ableiten. Die Daten bilden zudem eine
wichtige Vergleichsbasis, um die im Falle einer Krise auftretenden Gehalte
schnell und zuverlässig einzuschätzen.
Zusammenfassend erklärte Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des
Lebensmittelverbands: "Alle gesellschaftlichen Gruppen tragen Verantwortung und
alle, inklusive der Zivilgesellschaft, sind aufgerufen, Priorisierungen
hinsichtlich ihrer Ansprüche an Lebensmittel vorzulegen. Sicherheit kann man auf
verschiedene Arten definieren, Sicherheit ist nicht dann, wenn der Grenzwert bei
Null ist. Das muss allen klar sein."
Lebensmittelverband Deutschland e. V.
Der Lebensmittelverband Deutschland e. V. ist der Spitzenverband der deutschen
Lebensmittelwirtschaft. Ihm gehören Verbände und Unternehmen der gesamten
Lebensmittelkette "von Acker bis Teller", aus Landwirtschaft, Handwerk,
Industrie, Handel und Gastronomie an. Daneben gehören zu seinen Mitgliedern auch
private Untersuchungslaboratorien, Anwaltskanzleien und Einzelpersonen.
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