- In einigen Regionen gibt es schon heute keine Substitutionsärzte
- Bereichsübergreifende Unterstützung für 10 Handlungsfelder gefordert
- Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig, begrüßt die Initiative
- COVID-19-Pandemie stellt Substitutionspraxen vor weitere Herausforderungen
Opioidabhängigkeit, zum Beispiel durch den Konsum von Heroin, ist ein gravierendes gesellschaftliches Problem. 160.000 opioidabhängige Menschen gibt es in Deutschland, von denen aber nur die Hälfte mit einer Substitutionstherapie, der erfolgreichen Standardbehandlung bei Heroinabhängigkeit, erreicht werden. Zukünftig werden voraussichtlich selbst diese nicht mehr ausreichend versorgt werden können (1,2). Das wirft neben den negativen Folgen für Leib und Leben der Betroffenen Herausforderungen für unsere Gesellschaft auf: gesamtgesellschaftliche Kosten, öffentliche Sicherheit und soziale Verantwortung für fürsorgebedürftige Menschen. Die COVID-19-Pandemie verschärft diese Problematik.
Daher hat eine Expertengruppe aus Suchtmedizin und Suchthilfe ein 10-Eckpunkte-Papier mit Lösungsvorschlägen an die Politik und die Verantwortlichen in Ärzte- und Apothekerschaft sowie der Kostenträger gerichtet. Sie fordern, die nötigen Rahmenbedingungen zur Sicherung der Versorgung dieser chronisch kranken Menschen zu schaffen. Unterstützt wird die "Initiative Substitutionsversorgung Opioidabhängiger Patient*innen" von 22 Fachgesellschaften, Patientenorganisationen, sonstigen Gremien und von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Daniela Ludwig. Auch Sanofi Deutschland gehört zu den Unterstützern.
Hoch wirksame Behandlung, besondere Anforderungen
Die Wirksamkeit der Substitutionstherapie bei Opioidabhängigkeit ist wissenschaftlich gut belegt (3,4,5,6). Im Zentrum dieses komplexen interdisziplinären Behandlungsansatzes steht neben einer psychosozialen Betreuung die Vergabe eines Substitutionsmittels. Die Substitutionstherapie trägt zur gesundheitlichen Stabilisierung bei, hilft Todesfälle zu vermeiden und ermöglicht, dass die Patienten am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Jedoch ist die Versorgung aufgrund altersbedingt rückläufiger Zahlen an substituierenden Ärzten gefährdet. Bereits heute gibt es im gesamten Bundesgebiet Kreise, in denen keine substituierenden Ärzte tätig sind. Hauptursache ist die mangelnde Attraktivität der Substitutionsbehandlung vor allem für junge Mediziner, denn Opioidabhängigkeit und Suchtmedizin sind stigmatisiert. Und auch der bürokratische Aufwand zur Gewährleistung der Betäubungsmittelsicherheit ist hoch.
Pakt für Substitution erforderlich
Eine wesentliche Forderung ist, die finanziellen, organisatorischen und regulatorischen Rahmenbedingungen an die konkreten Erfordernisse und Leistungen der Substitutionspraxis besser anzupassen, um mehr Ärzte für die Substitution zu gewinnen. Angestrebt ist auch eine stärkere Vernetzung sowie die Delegation der Substitutsvergabe an Apotheken, Suchtkliniken, Einrichtungen der Drogenhilfe sowie an Alten- und Pflegeheime auszuweiten. Dazu müssen neue Wege konsequenter beschritten und alle Versorger und Entscheider im Gesundheitswesen gemeinsam aktiv werden. Das schließt neben den substituierenden Ärzten und ihren Gremien ein breites Bündnis von Sozialverbänden, Kassen, Kammern sowie die Verwaltung und Politik auf Landes- wie Bundesebene ein. Zudem wird von den Autoren gefordert, den Stellenwert der Suchtmedizin im Studium und in der Weiterbildung deutlich zu stärken.
Herausforderungen in der COVID-19-Pandemie
Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie gibt es weitere Herausforderungen für die Substitutionsmediziner. Die Praxen müssen die Balance zwischen Sicherstellung der Versorgung dieser vulnerablen Patientengruppe einerseits und Infektionsschutz andererseits schaffen. Die Behandlung muss umsichtig sein bei Beachtung strikter Vorgaben zur Betäubungsmittelsicherheit. Viele der suchtkranken, meist komorbiden Patienten gehören zur Hochrisikogruppe für COVID-19. Da etwa die Hälfte der Substitutionspatienten täglich zur Vergabe des Substituts in die Praxis kommen, sind die Praxisteams sowie die Patienten einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Das 10-Eckpunkte-Papier enthält daher auch Vorschläge zur Bewältigung der aktuellen Krisensituation mit dem Ziel der Reduzierung der Besuchsfrequenz in der Praxis und einer möglichst wohnortnahen Versorgung.
Zu finden ist das "10-Eckpunkte-Papier zur Lösung der Versorgungskrise in der Substitutionstherapie" auf den Websites der Unterstützer z.B. http://www.substitutionsportal.de/Versorgung oder kann bei der Koordinatorin der "Initiative Substitutionsversorgung Opioidabhängiger Patient*innen", Sieglinde Schneider, angefordert werden: sieglinde.schneider@accente.de
Referenzen
1 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bundesopiumstelle). Bericht zum Substitutionsregister. Januar 2020; https://bit.ly/2uPg4OL
2 Antwort der Bundesregierung; Drucksache 19/13178 (12.09.2019): Versorgungslage mit Substitutionsbehandlung bei Menschen mit Opiatabhängigkeit; https://bit.ly/31dkN8y
3 Weckbecker K (2019): Illegale Drogen: Behandlungsaspekte. In: Bastigkeit M, Weber B (Hrsg.) Suchtmedizinische Grundversorgung. Georg Thieme Verlag: 133-144
4 WHO guidelines. https://bit.ly/2OfqtcS und https://bit.ly/2RJA9P3
5 Havemann-Reinecke U, Küfner H, Schneider U, Günthner A, Schalast N, Vollmer HC (2006): Postakutbehandlung bei Störungen durch Opioide. In: Schmidt LG, Gastpar M, Falkai P, Gaebel W (Hrsg.) Evidenzbasierte Suchtmedizin. AWMF S2 Behandlungsleitlinie Suchtbezogene Störungen. Dt. Ärzte-Verlag Köln: 193-239
6 Wittchen HU, Bühringer G, Rehm JT (2011): Zusammenfassung der Ergebnisse der PREMOS-Studie. Suchtmed 13(5): 280-286Quellenangaben
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