Die Corona-Pandemie stellt die Hilfsmittelversorgung vor große Herausforderungen: So fielen Leistungserbringer während des Lockdowns im Frühjahr in eine Schublade mit Handel, Drogerien oder Tankstellen. Eine politische Fehleinschätzung. Letztlich durften die Sanitätshäuser zwar geöffnet bleiben - waren allerdings nicht in die Versorgungsprozesse mit persönlicher Schutzausrüstung (PSA) eingegliedert. In der Podiumsdiskussion im Rahmen der OTWorld.connect "Hilfsmittelversorgung: #systemrelevant" stellten sich heute Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT), Ben Bake (Vorstandsvorsitzender, Sanitätshaus Aktuell), Dr. Axel Friehoff (Leiter Abteilung Vertragsmanagement/Kassenverträge der Einkaufsgenossenschaft EGROH eG), Stephan Jehring (Präsident, Zentralverband Gesundheitshandwerk Orthopädieschuhtechnik) und Jens Sellhorn (Geschäftsführer, Rehavital Gesundheitsservice) den Fragen von Moderator Henning Quanz.
Versorgungsqualität und Infektionsschutz vor Rentabilität
Grundsätzlich positiv bewerteten die Vertreter der Verbände das Vorgehen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband). Dieser habe unter Krisenbedingungen gezeigt, wie schnell und lösungsorientiert Entscheidungen getroffen werden könnten. Die vereinbarten Verwaltungsvereinfachungen hätten unnötige Kontakte deutlich reduziert und damit ein erhebliches Plus an Infektionsschutz gebracht. Besorgt zeigten sich die Vertreter der Verbände allerdings einhellig bei dem Thema PSA. Während nahezu alle anderen Beteiligten des GKV-Systems sowohl Zugang zu als auch finanziellen Ausgleich für PSA erhielten wurde die Hilfsmittelversorgung übersehen. "Bei uns gibt es keine Position, über die wir abrechnen können", so Sanitätshaus-Aktuell-Vorstandsvorsitzender Bake und bezog sich dabei auf die vielfältigen Schutzschirme für Heilmittelerbringer, Ärzte und Kliniken. Orthopädieschuhtechnik-Verbandschef Jehring schlug in dieselbe Kerbe angesichts des immer größer werdenden Aufwands für Betriebe, der in einer Krise noch zunehme: "Unser Aufwand wird von den Krankenkassen null honoriert."
BIV-OT-Präsident Reuter ging noch weiter und verwies auf die derzeit problematische Situation, dass die Krankenkassen den zusätzlichen Aufwand nicht erstatten und derzeit sogar mit der Corona-Pandemie als Argument den Kostendruck auf die Betriebe verstärken: "Im Endeffekt geht es doch darum: Wir handeln nicht mit irgendwelchen Dingen. Wir versorgen. Wir arbeiten am Menschen - und da kann es nicht sein, dass wir aufgrund eines Kostendrucks, den wir nicht zu verantworten haben, die Qualität reduzieren müssen", so Reuter.
Patientinnen und Patienten vor Bürokratie
Den Schwerpunkt legten die Teilnehmer auf die zunehmende Bürokratie. Wenn die Dokumentation weiterhin so wachse und Verwaltung sich ausweite, würde die Zeit für die Versorgung der Patientinnen und Patienten immer geringer. Eine Chance biete hier die Digitalisierung: Der Anschluss an die Telematikinfrastruktur und die Einführung des elektronischen Rezepts müssten ohne Medienbrüche auch für die Hilfsmittelbranche gewährleistet werden. "Damit wäre viel Zeit gewonnen", so der einhellige Tenor.
Gut gedacht, schlecht gemacht: Die bundesweite Mehrwertsteuersenkung
Rehavital-Chef Sellhorn legte den Finger in eine weitere Wunde - die bundesweite Mehrwertsteuersenkung: "Uns hat die Politik damit keinen Gefallen getan." Weil sämtliche Versorgungsverträge auf Basis von Nettopreisen kalkuliert würden, verdienten die Unternehmen nichts an der Mehrwertsteuerreduktion. Das Mehr an Verwaltungsaufwand bringe keinen Vorteil - weder für die Betriebe, noch die Versicherten. "Die Versicherten bekommen eine Sachleistung. Das heißt, sie sparen durch die Mehrwertsteuersenkung weder Geld noch sonst irgendetwas", erläutert EGROH-Chef Friehoff. Gerade die Abrechnung von Fallpauschalen führe sowohl bei Betrieben als auch bei den Krankenkassen zu einem riesigen Chaos und verbrauche zu viele Ressourcen. Alle Beteiligten waren sich einig: Die Lösung könne nur die Vereinheitlichung auf einen einzigen festen und konstanten Steuersatz sein.
Ein Blick in die Zukunft: Wie kann die Position der Hilfsmittelbranche gestärkt werden?
Angesichts der Entwicklung der Corona-Neuinfektionen in Deutschland sei es dringend an der Zeit, Leistungserbringer, die mehr als ein Viertel der Deutschen versorgen, als systemrelevant einzustufen, hieß es während der Podiumsdiskussion. Bereits jetzt würden Pflegeheime und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen wieder geschlossen. Das Chaos vom März dürfe sich nicht wiederholen. Einen positiven Aspekt betonten alle Teilnehmer der branchenpolitischen Debatte: Die Corona-Pandemie hat die Branche näher zusammenrücken lassen. Die Not habe die Leistungserbringer regelrecht zusammengeschweißt, doch es sei jetzt die Aufgabe aller, die Solidarität aufrechtzuerhalten. Die schnelle Reaktionszeit von Politik und Krankenkassen sei ebenfalls positiv zu betrachten und müsse für die Kommunikation genutzt werden. Mit der OTWorld.connect setze man gerade die richtigen Zeichen. Die Hilfsmittelbranche habe sich laut Reuter aus ihrer Komfortzone begeben und man sei zur Digitalisierung gezwungen worden. "Ich glaube, es hat noch nie so eine große Einigkeit im Fach gegeben. Wenn wir das nicht nutzen, sind wir dumm", resümierte der BIV-OT-Präsident.
Über den Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik: Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) vertritt als Spitzenverband des orthopädietechnischen Handwerks bundesweit die Sanitätshäuser und orthopädietechnischen Werkstätten mit etwa 40.000 Beschäftigten. Jährlich versorgen die angeschlossenen Häuser mehr als 20 Millionen Patienten mit Hilfsmitteln.
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