Eine aktuelle Datenauswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) für den Krankenhaus-Report 2021 nimmt die Entwicklung der Krankenhausfallzahlen in der zweiten Pandemiewelle genauer unter die Lupe. Danach ist in den Monaten Oktober 2020 bis Januar 2021 insgesamt ein etwas geringerer Fallzahlrückgang zu verzeichnen als im Frühjahr des letzten Jahres. Anlass zur Sorge geben die Rückgänge bei Notfällen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen, aber auch bei Krebs-Operationen, bei denen die Fallzahlen in der zweiten Pandemiewelle wieder stark eingebrochen sind. Die Auswertungen des WIdO beleuchten zudem die Versorgung der stationär behandelten Patientinnen und Patienten mit Covid-19, bei denen weiterhin eine hohe Sterblichkeitsrate festzustellen ist (18 Prozent). Dies gilt insbesondere für die beatmeten Patienten, von denen jeder zweite stirbt. Menschen unter 60 Jahren stellen ein Drittel der Covid-19-Patienten im Krankenhaus beziehungsweise ein Viertel der Beatmeten. Die Versorgung erfolgt zwar weitgehend in größeren, beatmungserfahrenen Krankenhäusern, es zeigen sich aber auch Verbesserungspotenziale.
Der Blick auf die Entwicklung der Gesamt-Fallzahlen der AOK-Versicherten in den Krankenhäusern (ohne psychiatrische Kliniken) zeigt: Der Rückgang der Fallzahlen fiel trotz höherer Infektionszahlen in der zweiten Pandemiewelle zunächst geringer aus als im Frühjahr 2020. Ab Dezember lag der Fallzahlrückgang mit Werten von mindestens 20 Prozent auf einem vergleichbaren Niveau wie in den Monaten März bis Mai.
Eine Auswertung zu einzelnen Indikationen zeigt Unterschiede im Detail: Bei den planbaren, weniger dringlichen Eingriffen waren nach leichten Nachholeffekten im Sommer zuletzt wieder sinkende Fallzahlen zu verzeichnen. So sank beispielsweise die Zahl der Hüftprothesenimplantationen bei Arthrose im Zeitraum von Oktober 2020 bis Januar 2021 um 21 Prozent. Der Rückgang war jedoch bei Weitem nicht so stark ausgeprägt wie in der ersten Pandemiewelle. Hier lag der Rückgang noch bei 44 Prozent. "Das hat vermutlich auch mit den geänderten Regelungen zur Freihaltung zu tun, die in der zweiten Pandemiewelle wesentlich differenzierter ausgestaltet waren", sagt Jürgen Klauber, Geschäftsführer des WIdO.
Erneuter starker Einbruch bei Notfall-Behandlungen gibt Anlass zur Sorge
Ein anderes Bild zeigt sich bei den Notfall-Behandlungen: Die Zahl der Herzinfarkt-Behandlungen sank zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 um 13 Prozent und damit fast genauso stark wie in der ersten Pandemiewelle (minus 16 Prozent zwischen März und Mai 2020). Das Gleiche gilt für die Zahl der Schlaganfall-Behandlungen, die in der zweiten Pandemiewelle um elf Prozent zurückgingen (erste Pandemiewelle: minus zwölf Prozent). "Diese erneuten Einbrüche sind Anlass zur Sorge - zumal wir in einer früheren Auswertung für den Qualitätsmonitor 2020 in der ersten Pandemiewelle bereits eine signifikante Steigerung der Sterblichkeit bei den Schlaganfall-Patienten festgestellt haben", erläutert Klauber. "Wiederholt haben Ärzte aus den Krankenhäusern darauf hingewiesen, dass Herzinfarkt-Patienten gehäuft verspätet und mit fortgeschrittener Schädigung des Herzens im Krankenhaus angekommen sind. Wir können angesichts der Zahlen nur den Appell an die Bevölkerung erneuern, bei Notfallsymptomen auch unter den Bedingungen der Pandemie nicht zu zögern, den Notruf zu wählen".
Starke Fallzahlrückgänge waren auch bei den Krebsoperationen festzustellen: Bei der operativen Entfernung von Brustkrebs und Darmkrebs zeigten sich in der ersten Pandemiewelle Rückgänge von zehn bzw. 17 Prozent. In der zweiten Pandemiewelle sind Unterschiede zwischen den Indikationen festzustellen: Während es bei den Brustkrebs-OPs in der zweiten Pandemiewelle - wohl auch infolge der Wiederaufnahme des Mammographie-Screenings nach dem Ende der ersten Lockdowns - zu geringeren Fallzahlrückgängen gegenüber 2019 kam (minus fünf Prozent), waren diese bei Darmkrebs-OPs stärker ausgeprägt (minus 20 Prozent). "Hier gab es offenbar auch in der zweiten Pandemiewelle eine deutlich reduzierte ambulante Diagnostik", so Klauber. "Inwieweit bei den Koloskopien Patienten mit Beschwerden bzw. bei der Früherkennung gezögert haben oder ob das Leistungsangebot aus Kapazitätsgründen reduziert wurde, können wir auf Basis der vorliegenden Daten allerdings nicht beantworten."
Ein Drittel der Covid-19-Patienten war jünger als 60 - hohe Beatmungsquote ab 50 Jahren
Eine Auswertung der Abrechnungsdaten zur stationären Behandlung der AOK-versicherten Covid-19-Patienten bestätigt die im Sommer 2020 veröffentlichten Ergebnisse. Danach sind Männer deutlich häufiger von einem schweren Verlauf der Erkrankung betroffen als Frauen: 66 Prozent der Patienten mit Beatmung waren Männer. Zudem steigt das Risiko mit dem Alter: 52 Prozent der stationär behandelten Covid-19-Patienten waren 70 Jahre oder älter. "Allerdings sehen wir auch viele schwere Krankheitsverläufe bei Jüngeren", betont Klauber: Ein Drittel der im Krankenhaus behandelten Covid-19-Patienten waren jünger als 60 Jahre - und immerhin rund ein Viertel der Beatmeten entfiel auf diese Altersgruppe.
Auch die Beatmungsquote der mit Covid-19 im Krankenhaus behandelten Patienten steigt ab 50 Jahren deutlich an und liegt bei den 60 bis 79-Jährigen mit 22 Prozent am höchsten. Dabei werden bei den 50- bis 69-jährigen mit durchschnittlich 16 Tagen die längsten Beatmungsdauern erreicht - gegenüber zehn Tagen bei Menschen ab 80 Jahren. "Die Zahlen verdeutlichen, dass sich die Intensivstationen angesichts steigender Infektionszahlen schnell mit Menschen mittleren Alters füllen können, die noch nicht geimpft sind", so Klauber. Die Intensivmediziner der DIVI berichteten aktuell schon über entsprechende Beobachtungen auf den Intensivstationen.
18 Prozent der Covid-19-Patienten sind während des Krankenhausaufenthaltes verstorben. Unter den beatmeten Patienten war die Mortalität mit 51 Prozent deutlich höher als bei den nicht beatmeten Patienten mit 13 Prozent. Ausgewertet wurden die Daten von rund 52.000 AOK-versicherten Covid-19-Patienten, die von Februar bis November 2020 in den deutschen Kliniken behandelt worden sind. "Eine gute Nachricht ist, dass wir gegen Ende dieses Auswertungszeitraums eine niedrigere Beatmungsquote und ein niedrigeres Sterberisiko der Patienten ohne Beatmung sehen. Das hat vermutlich mit der Verbesserung der medikamentösen Therapie zu tun", so Klauber.
Die Hälfte der Kliniken behandelte 86 Prozent der Covid-19-Fälle
An der Versorgung der AOK-versicherten Patienten mit einer Covid-19-Erkrankung waren laut der WIdO-Analyse von Februar bis November 2020 insgesamt rund 1.250 Krankenhäuser beteiligt. Rund die Hälfte dieser Häuser behandelten 86 Prozent der Covid-19-Fälle. "Hier zeigt sich, dass die stationäre Versorgung der erkrankten Patientinnen und Patienten in den allermeisten Fällen bereits in größeren Krankenhäusern erfolgt", betont Jürgen Klauber. Jedoch wurden auch 14 Prozent der stationär behandelten Covid-19-Fälle in mehr als 600 Kliniken behandelt, die zum Teil nur sehr kleine Fallzahlen aufwiesen.
Die Sachlage verdeutlicht eine weitere Analyse, bei der die Beatmungserfahrung der an der Versorgung beteiligten Kliniken berücksichtigt wird: 18 Prozent der AOK-versicherten Covid-19-Fälle, die eine Beatmung benötigten, sind - gemessen an der Beatmungserfahrung im Jahr 2019 - in Kliniken mit unterdurchschnittlicher Beatmungserfahrung behandelt worden. Am anderen Ende des Spektrums wurden 59 Prozent der beatmeten Covid-19-Fälle in Krankenhäusern mit sehr viel Erfahrung behandelt. Dies waren in den meisten Fällen sehr große Kliniken mit durchschnittlich 731 Betten. "Wir wissen nicht, wie gut die Beatmungspatienten in den meist kleinen Häusern mit wenig Erfahrung im Einzelfall versorgt wurden. In den Zeiten der höchsten Auslastung mag es regional unvermeidbar gewesen sein, dass auch diese Kliniken an der Versorgung beteiligt waren", so Klauber. Das Zielbild bleibe aber unstrittig: "Bei der Schwere des Krankheitsbildes Covid-19, das unter-schiedliche Organe betreffen kann und häufig eine Beatmung erfordert, sollten möglichst direkt besonders geeignete Krankenhäuser mit erfahrenen Behandlungsteams angesteuert werden", so Jürgen Klauber. "Um das zu gewährleisten, braucht es zur Bewältigung derartiger Krisen gute, zentral gesteuerte Stufenkonzepte, die Behandlungskapazitäten nach Erfahrung zuschalten und zugleich die Normalversorgung sichern."
Krankenhaus-Report 2021 mit Schwerpunkt-Thema "Versorgungsketten"
Die Auswertungen des WIdO zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Versorgung in den deutschen Kliniken sind unter anderem in den aktuellen Krankenhaus-Report eingeflossen. Sie wurden für die Pressekonferenz zur Vorstellung des Buches noch einmal aktualisiert. Das Schwerpunkt-Thema des Krankenhaus-Reports 2021, der heute als Buch und Open-Access-Publikation erscheint, lautet "Versorgungsketten - Der Patient im Mittelpunkt". Der Sammelband beleuchtet in mehreren Beiträgen die Versorgungsprozesse vom Krankenhauszugang bis zu den Herausforderungen der Anschlussversorgung. Dabei werden insbesondere Schnittstellenprobleme in den Blick genommen. Wie in jedem Jahr enthält der Krankenhaus-Report mit seinem ausführlichen Statistikteil ein umfassendes Kompendium von Analysen und Daten zu Stand und Entwicklung des deutschen Krankenhausmarktes. Ergänzt werden diese Datenanalysen durch eine krankenhauspolitische Chronik.
Jürgen Klauber, Jürgen Wasem, Andreas Beivers, Carina Mostert (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2021 - Versorgungsketten - Der Patient im Mittelpunkt, 1. Aufl. 2021, XXII, 523 S., 85 Abb. in Farbe.
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