Gemeinsame Pressemitteilung von Aktionsbündnis gegen AIDS, AIDS Action Europe und Deutsche Aidshilfe
Resolution der Staatengemeinschaft bleibt hinter Erwartungen zurück: Erneut ist keine Einigung auf eine ambitionierte Strategie mit konkreten Finanzierungszusagen möglich.
Vom 8.-10. Juni 2021 findet bei den Vereinten Nationen (UN) in New York das "Hochrangige Treffen zu AIDS" statt. Titel: "Ungleichheiten beenden. AIDS beenden". Die Vereinten Nationen verfolgen erklärtermaßen das Ziel, die Aids-Epidemie bis 2030 zu beenden. Bei der alle fünf Jahre abgehaltenen Versammlung zieht die Staatengemeinschaft Bilanz der bisherigen Maßnahmen und einigt sich auf gemeinsame Ziele und Vorgehensweisen für die Zukunft. Deutschland ist durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei der Konferenz vertreten. Das Aktionsbündnis gegen AIDS, Aids Action Europe und die Deutsche Aidshilfe sind für die Zivilgesellschaft Mitglied in der Deutschen Delegation.
Im Zentrum der Veranstaltung steht eine gemeinsame politische Resolution, die gestern bei der Eröffnungsveranstaltung verabschiedet wurde - nach langem diplomatischen Ringen, einer kontroversen Debatte und mit erheblichen Abstrichen gegenüber den ersten Entwürfen.
"Die politische Resolution bleibt weit hinter den Erwartungen zurück und Ignoranz einiger Regierungen ist erschütternd", kommentiert Sylvia Urban, Mitglied im Vorstand des Aktionsbündnis gegen AIDS und der Deutschen Aidshilfe. "Zwar werden in der Deklaration die besonders stark von HIV betroffenen Gruppen erwähnt sowie die soziale Benachteiligung als Haupthindernis für die Überwindung der HIV-Epidemie benannt, es mangelt aber an klaren Worten zu sexuellen Rechten und konkreten Finanzierungszusagen. So werden die Vereinten Nationen weder Ungleichheit noch Aids beenden. 40 Jahre nach den ersten Meldungen über Aids könnten wir viel weiter sein!"
Nicht ausreichend durchsetzen konnten sich fortschrittliche Kräfte bezüglich sexueller Rechte. Wirkungsvolle HIV-Prävention basiert auf Respekt und Schutz für geschlechtliche und sexuelle Identitäten sowie der Stärkung selbstbewusster, eigenverantwortlicher Entscheidungen und entsprechender Aufklärung. Für einige Staaten wie Russland, Saudi-Arabien oder China stellt aber schon der Begriff "sexuelle Rechte" ein rotes Tuch dar. Offenbar konnten sie sich damit durchsetzen, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aus der Deklaration zu streichen.
Betroffene Communitys schützen und einbeziehen
Die gute Nachricht: Gegen den Widerstand einiger Länder - vor allem Russland -wird klar anerkannt, dass die so genannten Schlüsselgruppen mit umfassenden Präventions-Maßnahmen unterstützt werden müssen, die sich an ihren spezifischen Bedürfnissen ausrichten. Weltweit entfallen laut UNAIDS 62% aller HIV-Neuinfektionen auf diese diskriminierten und marginalisierten Gruppen: Männer, die Sex mit Männern haben, intravenös Drogen konsumierende Menschen, Sexarbeiter*innen und trans Menschen sowie deren Sexpartner*innen. Weitere wichtige "Schlüsselgruppen" sind Migrant*innen und Menschen in Haft.
Besonders hervorgehoben wird auch der Stellenwert von Programmen, die durch Mitglieder dieser Communitys initiiert und umgesetzt werden. Solche Maßnahmen sind aufgrund von Verfolgung, Diskriminierung und staatlicher Willkür gegenüber diesen Gruppen in vielen Ländern dringend erforderlich.
Menschen mit HIV sind Teil der Lösung - nicht des Problems!
Es kann gar nicht oft genug betont werden: Menschen mit HIV und die betroffenen Gruppen sind Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. Die Schlüsselgruppen sind aufgrund struktureller Faktoren und Benachteiligungen besonders stark von HIV betroffen. Umso bedauerlicher, dass dann doch der stigmatisierende Gedanke in der Erklärung auftaucht, diese Gruppen wären für die Übertragung von HIV auf andere Menschen verantwortlich. Unglücklicherweise lässt die Deklaration den Staaten auch die Möglichkeit, ihre Schlüsselgruppen nach nationalen Kriterien selbst zu definieren - und damit Benachteiligung fortzusetzen.
Ferenc Bagyinszky, Koordinator des Bündnisses AIDS Action Europe, kommentiert:
"Wenn von Schlüsselgruppen die Rede ist, muss klar sein: Erfolgreiche HIV-Prävention öffnet Türen, statt sie zu schließen. Sie schafft Hürden beiseite, die Prävention und medizinische Versorgung verhindern, und befähigt alle Menschen, sich zu schützen - ohne Schuldzuweisungen an andere vorzunehmen. Stigmatisierung ist der schlimmste Feind jeder HIV- und Aids-Prävention. Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Schlüsselgruppen zementiert Ungleichheit, statt sie zu beseitigen."
Zusagen zur Finanzierung fehlen
Ein weiteres zentrales Defizit der Deklaration: Sie enthält zwar die allgemeine Verpflichtung, den Finanzbedarf für die HIV-Bewältigung in den benachteiligten Ländern in Höhe von 29 Milliarden US-Dollar zu decken, versäumt es aber, einen konkreten Weg für eine ausreichende Finanzierung aufzuzeigen.
Dazu sagt Joachim Rüppel vom Vorstand des Aktionsbündnis gegen AIDS:
"Was die Weltgemeinschaft zur Beendigung der HIV-Epidemie braucht ist ein konkreter Plan, der sowohl die finanziellen Anstrengungen der benachteiligten Länder als auch die notwendigen Beiträge durch wirtschaftsstarke Länder quantifiziert. Grundlage hierfür muss es sein, dass alle Länder mit hohen Einkommen den UN-Richtwert von 0,7% des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit erreichen. Bisherige Finanzierungslücken und die Covid-19-Pandemie führen zu einem erheblichen Nachholbedarf. Verstärkte finanzielle Bemühungen sind jetzt besonders wichtig."
Marktlogik kostet Menschenleben
Auch bei der notwendigen Überprüfung des TRIPS-Abkommens der Welt-Handels-Organisation beziehungsweise dem Umgang mit Patent- und Exklusivrechten sind keine Fortschritte zu erkennen. Wie schon 2016 wird die Bedeutung geistigen Eigentums in der Deklaration hervorgehoben. Ein Abschnitt, der die Aussetzung der TRIPS-Auflagen vorsah, um die Pandemie-Bekämpfung voranzubringen, fehlt in der Beschlussfassung der Resolution. Wichtige Aussagen zu öffentlicher Forschung und Förderung sind verwässert. Fluchtpunkt bleibt hier die Logik der Privatwirtschaft.
"Markt- und profitorientiertes Denken hat viele Jahre die HIV-Therapie in Afrika und anderen Regionen unerschwinglich gemacht, was Millionen Menschen mit dem Leben bezahlt haben. Der Schutz von Menschenleben muss über allen anderen Interessen stehen. Eine zukunftsweisende UN-Deklaration würde dies berücksichtigen", kommentiert Sylvia Urban.
EU als Fortschrittsmotor?
Wesentlich progressiver ist die politische Resolution des Europäischen Parlaments vom 20. Mai 2021 über "Beschleunigung der Fortschritte und Bekämpfung von Ungleichheiten bei der Beseitigung von Aids als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis 2030".
Wir fordern die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten der EU auf, diesen politischen Willen in konkrete Maßnahmen und finanzielles Engagement zu übersetzen - in der EU wie global.
EU-Deklaration (https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0250_DE.html)
UNAIDS zum High Level Meeting und zur Deklaration (https://hlm2021aids.unaids.org)
UNAIDS zu "Aids beenden" (https://www.unaids.org/en/resources/presscentre/pressreleaseandstatementarchive/2021/june/20210603_global-commitments-local-action)
Pressekontakt:
AIDS Action Europe: info@aidsactioneurope.org; www.aidsactioneurope.org
Aktionsbündnis gegen AIDS: Peter Wiessner, Referent für Advocacy und Öffentlichkeitsarbeit, Tel. 030 - 2790 999-8, mobil 0163 456 85 14, wiessner@aids-kampagne.de, www.aids-kampagne.de
Deutsche Aidshilfe: Holger Wicht, Pressesprecher,Tel. 030 - 69 00 87 - 16, holger.wicht@dah.aidshilfe.de, www.aidshilfe.de
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