Sollten Geimpfte mehr Freiheiten haben? Diese Streitfrage begleitet uns seit Beginn der Impfkampagne. Nun, da genug Impfstoff da ist, stellt sie sich immer drängender. Frappierend unterschiedlich ist der Weg, den manche Länder gehen. Das eine Extrem ist Großbritannien: Trotz einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 200 und trotz grassierender Delta-Variante werden wohl in Kürze die allermeisten Maßnahmen beendet. Ein Wagnis, ein Riesen-Experiment, buchstäblich am lebenden Objekt. Auf der anderen Seite geht in Deutschland bei einer Inzidenz von derzeit Fünf gefühlt eine Panikwelle durchs Land. Beide Extreme sind der falsche Umgang mit der Pandemie. Einige Fakten: In Deutschland stammen laut RKI 86 Prozent der Todesopfer in Zusammenhang mit dem Coronavirus aus der Altersgruppe der Ab-70-Jährigen; derzeit liegt die Inzidenz in dieser Gruppe bei 1,8 (70-79) beziehungsweise 1,3 (ab 80). Auf der anderen Seite sind in der Pandemie 23 Menschen unter 20 Jahren an oder mit dem Virus gestorben, bei mindestens 16 davon waren Vorerkrankungen bekannt. Klar ist: Corona trifft vor allem ältere Menschen (die inzwischen überwiegend geimpft sind), bei jüngeren sind die Folgen vergleichsweise mild. Bei Kindern (für die bis 12 Jahre noch kein Impfstoff zugelassen ist) sind sie sehr mild. Ja, es gibt die Gefahr durch Long-Covid; sehr groß sind auf der anderen Seite aber auch die Gefahren durch die Lockdownmaßnahmen, bei Jüngeren vor allem durch die Schulschließungen.Der wichtigste Faktor sind generell die Impfungen: In wenigen Wochen wird jeder, der sich hierzulande impfen lassen will, dazu die Möglichkeit haben. Zwar besagt eine neue Studie in Israel, dass der Biontech-Impfstoff weniger gut vor Infektionen schützt; vor schweren Krankheitsverläufen allerdings ist der Schutz noch immer sehr hoch. Derzeit deutet also nichts auf eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems hin, die stets die Begründung für einen Lockdown war. Deshalb, so schlimm jeder schwere Covid-19-Fall, gar Todesfall ist: Wenn sich jeder impfen lassen kann, muss es in die Verantwortung jedes einzelnen gestellt werden, wie er mit Corona umgeht. So wie dies auch bei anderen Krankheiten der Fall ist, gegen die es eine Impfung gibt. Dann entfällt auch die Grundlage für pauschale Maßnahmen, gar für einen Lockdown wie in den ersten Wellen. Das heißt nicht, dass alle Auflagen auf einen Schlag beendet werden sollten; die Maske, manche Abstands- und Hygieneregeln etwa werden uns in vielen Zusammenhängen wohl noch länger begleiten. Die Alternative zu diesem Weg hin zu mehr Eigenverantwortung wäre der Versuch, weiterhin mit pauschalen, strengen Beschränkungen möglichst viele Infektionen zu verhindern. Dies aber würde bedeuten, dass das Land auf Jahre hinaus in einem lockdownähnlichen Zustand verharrt, mit mehr oder weniger starken Lockerungen in den Sommermonaten. Dies kann nicht die Lösung sein.
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