Hongkong/Berlin (26.10.2010). Die Influenza-Forschungsziele der Weltgesundheitsorganisation WHO berücksichtigen ab sofort auch Naturprodukte, sowohl hinsichtlich der Prophylaxe als auch der Therapie [1], berichtete Prof. Dr. Stephan Ludwig, FluResearchNet, Universität Münster, bei einem internationalen Fachkongress in Hongkong [2]. Sein Grundsatzreferat umfasste aktuelle und innovative Forschungsansätze zu antiviralen Wirkstoffen auch aus Naturprodukten, die an seinem Institut erforscht werden – unter anderem die Prophylaxe von Influenza-Infektionen mittels unspezifischer Adhäsionsblockade durch Pflanzenextrakte.
Das antimikrobielle Potential zahlreicher Pflanzenextrakte ist seit langem bekannt und bildet sich in vielen traditionellen Indikationen ab, wie sie beispielsweise ausführlich in den von der WHO publizierten 118 aktuellen Heilpflanzen-Monographien beschrieben sind [3]. Viele der bisher getesteten Heilpflanzenextrakte wirken aufgrund ihres Polpyhenolgehaltes antiviral, beispielsweise der Zistrosenextrakt Cystus052 [4]. Die postulierte Wirkung besteht dabei aus einer unspezifischen Blockade viraler Oberflächeneiweiße, so Ludwig, im Falle von Influenza A-Viren beispielsweise des Hämagglutinins. Genau diese fehlende Spezifität begründet zum einen das breite antivirale Spektrum und die – im Gegensatz zu Neuraminidasehemmern – fast vollständig fehlende Resistenzentwicklung unter Behandlung mit einem speziellen Extrakt aus Cistus incanus [5]. Der in Münster untersuchte Pflanzenextrakt hat einen ausgesprochen hohen Gehalt an polymeren Polyphenolen. Die Cystus052-Behandlung hatte keinerlei Effekte auf zelluläre Vitalität und Metabolismus, intrazelluläre Signalübertragung oder Zytokinreaktionen. Deshalb geht Ludwig von einer unspezifischen Bindung von Extraktinhaltsstoffen an Viren aus, bei gleichzeitig fehlender pharmakologischer Wirkung auf Zellen. Die fehlende Spezifität bedingt auch die gegenüber Neuraminidasehemmern nahezu völlig fehlende Resistenzentwicklung der Viren gegenüber dem geprüften Cistus-Extrakt. Parallel zu diesen Studien haben andere Arbeitsgruppen, so Ludwig, die antivirale resp. therapeutische Effektivität in Tiermodellen sowie klinischen Studien untersucht. Jeweils mit ebenfalls ausgeprägt infektionsblockierenden Effekten (Tiermodell [6]) oder mit Verkürzung der Symptomdauer resp. beschleunigter Verbesserung der Beschwerden (RCT [7]).
Aus Sicht von Ludwig gibt es etliche, für den wirkungsvollen Kampf gegen Influenza Erfolg versprechende Produkte, die in ihrer Abkehrung von klassischen immunologischen Prophylaxekonzepten resp. von bisherigen postinfektiösen Therapieansätzen tatsächlich einen Paradigmen-Wechsel in der Virologie darstellen. Obwohl hierunter auch phytotherapeutische Ansätze zu finden sind, betonte Ludwig abschließend, dass Medizinprodukten aus der traditionellen Medizin mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Nicht nur, um den Empfehlungen der WHO besonders in Hinsicht auf ärmere Länder nachzukommen, sondern auch um sicherere Optionen zur Influenza-Prophylaxe und -Therapie zur Verfügung zu haben als bisher. Es verstehe sich von selbst, so Ludwig, dass hierzu vermehrt kontrollierte klinische Studien notwendig sind.
Quellen:
[1] Global Influenza Programme (WHO): WHO public health research agenda for influenza. WHO Press, Genf, 2010 (http://bit.ly/d2df1C).
[2] Kongreß: "Options for the Control of Influenza VII". Veranstalter: International Society for Influenza and other Respiratory Virus Diseases (isirv.org), Hongkong, 3.-7. September 2010 (http://www.controlinfluenza.com/webcasts/optionsvii).
[3] World Health Organization: WHO monographs on selected medicinal plants (Vol. 1-4). Genf, 1999-2005.
[4] Hudson JB: The use of herbal extracts in the control of influenza. J Med Plants Res. 2009 Dec;3(13):1189-95.
[5] Ehrhardt C, Hrincius ER, Korte V, Mazur I, Droebner K, Poetter A, Dreschers S, Schmolke M, Planz O, Ludwig S: A polyphenol rich plant extract, CYSTUS052, exerts anti influenza virus activity in cell culture without toxic side effects or the tendency to induce viral resistance. Antiviral Res. 2007 Oct;76(1):38-47.
[6] Droebner K, Ehrhardt C, Poetter A, Ludwig S, Planz O: CYSTUS052, a polyphenol-rich plant extract, exerts anti-influenza virus activity in mice. Antiviral Res. 2007 Oct;76(1):1-10.
[7] Kalus U, Grigorov A, Kadecki O, Jansen JP, Kiesewetter H, Radtke H: Cistus incanus (CYSTUS052) for treating patients with infection of the upper respiratory tract. A prospective, randomised, placebo-controlled clinical study. Antiviral Res. 2009 Dec;84(3):267-71.
Zusatzinformationen:
WHO: "Improve clinical management of patients: [...] Although antiviral drugs can reduce the duration and severity of illness and help control outbreaks, they are not widely used for treatment or prophylaxis in both under- and well-resourced countries during annual epidemics. They must be taken soon after the onset of illness and resistance can develop. Expansion and optimization of the current repertoire of antiviral drugs and development of clinical research to assess efficacy of putative adjuvant treatment modalities such as immunomodulators, passive immunotherapy and traditional medicine that are suitable for use in under-resourced areas would be most beneficial. [...] Develop novel and effective treatment strategies including adjunctive treatments (e.g. immunomodulators, immunoglobulin, natural products) that are applicable in low resource settings and easy to administer in pediatric and intensive care settings. [...]"
Source: Global Influenza Programme (WHO): WHO public health research agenda for influenza. WHO Press, Genf, 2010 (http://bit.ly/d2df1C).