Zu sagen, Silke Krieger hat Angst vor dem Zahnarztbesuch, wäre eine Untertreibung. Sie ist eine ausgeprägte Phobiepatientin, ihrer Angst regelrecht ausgeliefert, und stößt damit immer wieder auf Unverständnis. Oft verließ die Hanauerin eine Praxis wieder, ohne den Mund aufgemacht zu haben. Da ihre Zähne immer schlechter wurden und sie auch unter großen Schmerzen litt, pumpte sie sich über Jahre mit Schmerzmitteln voll. Sie schlief nachts kaum, wurde immer aggressiver, und das Lachen war ihr wegen der zerstörten Zahnfront ohnehin vergangen.
In ihrer Verzweiflung reagiert sie spontan auf die Zeitungsannonce eines Zahn-Zentrums. Für diese Fügung ist sie heute noch dankbar. Den Anruf muss ihre Schwester für sie erledigen, denn sogar mit einer Praxis zu telefonieren ist ihr unmöglich. Die Schwester war schon oft die Vorhut, wenn doch mal ein Zahnarztbesuch versucht werden sollte. Sie begutachtete die Atmosphäre in einer Praxis, bevor Silke Krieger sich hinein wagte. Immer wieder ist sie dennoch im letzten Moment vom Behandlungsstuhl aufgestanden mit den Worten: "Hier bleibe ich nicht." Weil sie sich nicht gesehen fühlte, missverstanden, komplett überfordert von ihrer Angst und einem Umfeld, das von ihr erwartete, sich zusammenzureißen.
Bei Dr. Kessler vom Zahn-Zentrum Nidderau bleibt sie. Er hält sich genau an ihre Anweisung, "nur gucken" - auf Wunsch von Frau Krieger ganz ohne Instrumente -, fertigt ein Röntgenbild an und macht mit ihr einen OP-Termin aus. Die Liste der anstehenden Maßnahmen ist lang. Kronen und Brücken für eine ästhetische Zahnversorgung sind notwendig, auch eine Wurzelbehandlung muss dringend durchgeführt werden. Vor dem Termin ist Silke Krieger furchtbar aufgeregt, aber sie hat auch Vertrauen. "Ich bin gut eingeschlafen und gut aufgewacht," berichtet sie heute. Dass in den drei Stunden dazwischen mehrere Zähne gezogen oder beschliffen, Gebissabdrücke gemacht, Stützpfeiler eingeschraubt und Zahnprovisorien eingesetzt wurden, davon hat sie nichts mitbekommen, denn Dr. Kessler ging von Anfang an auf ihre Ängste ein und besprach das mögliche Vorgehen.
"Bei Patienten mit solch ausgeprägten Ängsten ist es ganz wichtig, den Patienten und seine Angst absolut ernst zu nehmen," erklärt Dr. Kessler. "Neben einer guten Diagnostik ist hier auch eine gute Logistik, also die Planung und Koordination der Therapie, entscheidend. Verschiedene Behandlungsschritte sollten in einer Sitzung zusammengefasst werden, um den Stress für den Patienten so gering wie möglich zu halten." Der erfahrene Zahnmediziner hat auch sein Team auf den Umgang mit Angstpatienten vorbereitet. Neben dem freundlichen Umgang und der angenehmen Atmosphäre in der Praxis sind auch möglichst kurze Wartezeiten wichtig. So war die zweite Behandlungssitzung nur noch ein Kinderspiel, sogar für Silke Krieger. Wenige Wochen später wurden die neu angefertigten Zähne eingesetzt und problemlos angepasst.
Silke Krieger gehört zu etwa 10 % der Bevölkerung, die den Zahnarztbesuch aus zu großer Angst nicht schaffen. An einen Auslöser, zum Beispiel ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit, kann sie sich nicht erinnern. Für Phobiker werden zwar unterschiedliche Möglichkeiten diskutiert, wie sie ihre Angst, zumindest für die Dauer eines Zahnarztbesuches, beherrschen können.
Die Palette des Praktikablen ist jedoch begrenzt. Psychologische Unterstützung oder eine Psychotherapie können hilfreich sein, brauchen jedoch Zeit. In weniger schweren Fällen können auch Entspannungstechniken oder Beruhigungsmittel helfen, den Zahnarztbesuch zu "überstehen". Meistens empfiehlt sich eine Behandlung unter Vollnarkose wie bei Dr. Kessler, um das Ergebnis nicht durch Angstreaktionen zu gefährden. Der Einsatz von Hypnose bei stärkeren Phobien wird von Zahnärzten allerdings eher als kritisch beurteilt. Die Basis für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Zahnarzt und Phobiepatienten sind in jedem Fall Zeit, Verständnis und eine gute Portion Gelassenheit auf Seiten des Behandlers.
"Jetzt muss er nur noch solange durchhalten wie ich," ist Silke Kriegers Wunsch an Dr. Kessler. Sie fühlt sich in der Praxis sehr gut aufgehoben und kann sich nicht vorstellen, zu einem anderen Zahnarzt noch mal ein solches Vertrauen aufzubauen. An das neue Lebensgefühl mit ihren neuen, ästhetischen und funktionsfähigen Zähnen hat sie sich schnell gewöhnt. Sie kann wieder lachen und hat keine Schmerzen mehr. Zur Kontrolle geht sie allerdings regelmäßig alle zwei bis drei Monate. "Sonst nimmt die Angst wieder überhand," fürchtet Silke Krieger. Und damit das Bedürfnis zu flüchten.