Kolumne von Oliver W. Schwarzmann -
Die Welt ist wieder in Ordnung.
Kurz nach Krise und Kurzarbeit ruft die deutsche Wirtschaft den Fachkräftemangel aus und das Herbstgutachten der Wirtschaftsweisen verkündet die frohe Botschaft eines stabilen Aufschwungs, passend zur Vorweihnachtszeit.
Germany: well done.
Und Germany: ten Points, mindestens.
Da reibt sich ganz Europa die Augen, ob dem deutschen Wirtschaftswunder.
Doch von paradiesischen Zuständen mögen die Experten hierzulande trotzdem nicht sprechen, denn schon im nächsten Jahr soll sich das Wachstum von 3,7% auf 2,2% abkühlen. Expansionsarroganz ist ohnehin und damit besonders fehl am Platz. Störungen drohen aus der Überschuldung der Industriestaaten, einer schwächelnden US-Konjunktur und dem Währungskampf - billige Exporte durch schwaches Geld sollen in den konjunkturell angeschlagenen Ländern alles zum Besseren wenden, was anderen, den Stabilen, wiederum das Geschäft vermiest.
Summa summarum: Man ist subpositiv gestimmt; Aufschwung ja, Risiken auch.
Ja, so ist die Welt eben - komplex, dynamisch, unberechenbar.
Und es ist in einer solchen Welt äußerst kühn, die Zukunft aus der Vergangenheit hochrechnen zu wollen.
Genauer gesagt: Ich glaube nicht, dass die Zukunft vorhersagbar ist, außer sie wäre unabänderlich - doch wozu dann eine Prognose? Alles stünde ja schon fest.
Vorhersagen besitzen dennoch einen besonderen Reiz, zweifellos. In die Zukunft schauen will jeder. Was wird auf uns zukommen? Wie verändert sich die Welt? Wer soll all die Schulden bezahlen? Hat unser Geld überhaupt noch Zukunft? Und: Was wird aus uns?
Diesen Fragen mit Mathematik auf die Schliche kommen zu wollen, ist gewagt. Denn Hochrechnungen und Empirie haben so ihre Tücken: Sie beziehen sich auf vergangene und mengenmäßig relevante Daten, was sie für die Prophezeiung abrupt auftretender Einzelerscheinungen blind macht, siehe Krise.
Zudem leben wir mittlerweile in derart spezialisierten Märkten, dass die Konjunktur zur persönlichen Angelegenheit geworden ist. Freilich, ein Aufschwung reißt mit, doch richtige Erfolgsgeschichten werden nicht von Rahmenbedingungen geschrieben, sondern von mutigen Persönlichkeiten.
Nun, Prognosen sind auch Politik. Sie dienen Interessen, schüren Erwartungen, sie machen uns voreingenommen und verändern bereits selbst das Ergebnis, das sie voraussagen.
Wenn wir ihnen denn glauben.
Und hier sind wir am springenden Punkt - es ist der Glaube an unsere Träume und Fähigkeiten, mit denen wir unsere Zukunft letztlich tatsächlich zu verändern vermögen. Es ist der Glaube an die eigene Vorstellungskraft, die aus allgemeinen Prognosen persönliche Perspektiven macht. Und es sind Mut und Kreativität, die aus Perspektiven Realitäten werden lassen.
Prognosen erfüllen dennoch eine wichtige Aufgabe: Der Erfolg eines Wegs hängt nicht vom Ziel ab, sondern von der Sicht.
Wer Vorhersagen auf diese Weise nutzt, wird tatsächlich mehr sehen.
Das wusste bereits die bekannteste Weissagungsstätte der Welt - der Eingang des Orakels von Delphi empfing die Ratsuchenden mit der Weisheit: Erkenne Dich selbst.
Will sagen: Erkenne Deine Möglichkeiten.
Bedeutet: Nutze Dein Gespür und Deine Intuition.
Wie es auch schon Naturforscher Alexander von Humboldt sagte: "Überall geht ein frühes Ahnen dem späten Wissen voraus."
Ich glaube, er meinte damit - Weitblick.
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