fit und munter - Filme für Demenzkranke

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Filme für Demenzkranke

Die ehemalige MTV-Moderatorin und jetzige Filmemacherin Sophie Rosentreter schliesst eine Lücke: sie produziert Filme, die speziell für demenzkranke Menschen konzipiert wurden.
Es gibt immer wieder Ideen, die so naheliegend sind, dass man sich fragt, weshalb sie nicht schon längst realisiert wurden.
Sophie Rosentreter, ehemalige MTV-Moderatorin und heutige Filmemacherin, hatte so eine Idee.
Bei Besuchen ihrer an Demenz erkrankten Großmutter im Pflegeheim beobachtete Sie, dass dort
Demenzkranke oft vor dem Fernseher saßen und dieses Medium gerne als "electronical Babysitter" eingesetzt wurde. Nun muss man bei weitem kein Fachmann sein, um zu erkennen, dass die komplexe Bilderflut des heutigen Fernsehprogramms demenzkranke Menschen überfordert und einer enormen Reizüberflutung aussetzt, mit all den negativen Folgen wie Unruhe und Reizbarkeit. Von dieser Erkenntnis aus war es dann nur ein kurzer Weg bis zu der Idee, Filme für demenzkranke Menschen zu produzieren.
Bei der Konzeption dieser Filme greift Sophie Rosentreter intuitiv auf Erkenntnisse zurück, die sich im Umgang mit Demenzkranken bewährt haben. Hierzu zählt beispielsweise der Verzicht auf Belehrungen. Es gibt keinen Grund, die Welt des Kranken als falsch oder unrichtig zu entlarven - besser ist es, den Kranken in dieser Welt abzuholen. Auch wenn die intellektuellen Fähigkeiten dementer Menschen massiv eingeschränkt sind, bleibt die emotionale Ansprechbarkeit erhalten. Dass das Medium Film Emotionen in besonderer Weise anzusprechen vermag, hat jeder von uns schon selbst erfahren. Filme sprechen eben gleich zwei Wahrnehmungskanäle, die visuelle und die auditive Wahrnehmung, an.
Leider sind die meisten modernen Filme so konzipiert, dass sie demenzkranke Menschen verwirren und überfordern. Da das Publikum und der meist jüngere Kinogänger nach "action" verlangt, dominieren heute Stilmittel wie hektische Schnittführung, jump cuts und Achsensprünge. Der Soundtrack vieler Filme ähnelt einem Inferno, das Erzähltempo ist rasant. Mit solchen Darbietungen können Demenzkranke nicht nur wegen kognitiver Defizite nichts anfangen, sondern auch deshalb, weil sie im Widerspruch zu ihren biographischen Erfahrungen stehen. In der Jugendzeit der heute meist hochbetagten Kranken waren Filme völlig anders konzipiert und auch Technik und Stilmittel wiesen grundlegende Unterschiede zu denen des modernen Films auf. Beispielsweise wurden häufig Überblendungen anstelle der heute üblichen cuts eingesetzt.
Der Gerontologe, Adriano Pierobon, dessen Unternehmen HUMANIS bundesweit zahlreiche demenzkranke Menschen betreut, ist von Rosentreters konzeptionellen Ideen begeistert. Bereits in der Vergangenheit habe man mit älteren Filmen, wie beispielsweise "Die Feuerzangenbowle" mit Heiz Rühmann positive Erfahrungen gewonnen. Da fast jeder Demenzkranke diese Filme aus seiner Jugend kenne, seien sie eine nicht zu unterschätzende Erinnerungshilfe. Besonders positiv sei der Effekt dann, wenn man nach dem Betrachten des Films die déjà - vu Erlebnisse im Gespräch aufgreife und aus diesen Erinnerungsfragmenten weitere Erinnerungen ableite, also beispielsweise nachfrage, in welchem Kontext der Kranke den Film damals gesehen hat. Durch einfaches Nachfragen, so Pierobons Erfahrung, würden dann die Erinnerungen oft regelrecht sprudeln und eine erstaunliche Komplexität annehmen. Überdies werde durch das Betrachten der Filme Aufmerksamkeit gebunden und das Konzentrationsvermögen gefördert. Schließlich sei auch der Beschäftigungseffekt nicht zu unterschätzen, litten doch viele Kranke unter Beschäftigungsdefiziten und schlichter Langeweile.
Von Rosentreters Arbeiten verspricht sich Pierobon viel. Sein Unternehmen werde Rosentreters Filme und die Begleitmaterialien auf jeden Fall in der Dementenbetreuung einsetzen und die dabei gewonnenen Erfahrungen systematisch auswerten. In diesem Zusammenhang begeistern Pierobon auch die Begleitmaterialien zu den Filmen. Diese beinhalten Materialien, die zusätzliche Wahrnehmungskanäle ansprechen, so beispielsweise taktile Stimuli. Sophie Rosentreter greift hier offenbar auf theoretische Erkenntnisse, die dem Modell der selektiven Optimierung und Kompensation (SOK - Modell ) zugrunde liegen, zurück. Dieses Modell zeigt auf, wie Funktionsverlusten erfolgreich entgegengewirkt werden kann. Ob Rosentreter hier ihrer Intuition gefolgt ist, oder den Empfehlungen Ihres beratenden Experten, Dr. Jens Bruder, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Was zählt ist das Ergebnis!


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