Es gibt verschiedene Forschungsarbeiten. Manche entstammen der wissenschaftlichen Grundlagenforschung, andere dienen der Überprüfung von Zukunftsvisionen und andere beschäftigen sich mit konkreten Fragestellungen, die das Leben aufgibt. So eine Promotionsarbeit beschäftigt derzeit die Gießener Medizinstudentin Sophie Ruhrmann. Sie hat an der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie (Direktor Univ.-Prof. Dr. M. A. Weigand) im Rahmen ihres Projektes "Epidemiologische Untersuchung von medizinischen Notfällen in der Speziellen Rettung (EUMEDSR)" Höhenrettungsgruppen in Deutschland untersucht. Was bereits thematisch und hinsichtlich der gefundenen Ergebnisse spannend klingt, wird noch interessanter, wenn man den Werdegang dieses Projektes betrachtet: Die Fragestellungen entstammen nämlich ursprünglich dem Einsatzalltag der Gießener Höhenretter, einer Gruppe von Freiwilligen, denen Sophie Ruhrmann, sowie Ihr Betreuer Dr. Rainer Röhrig selbst angehört haben. Über diese ungewöhnliche Verknüpfung von bürgerschaftlichem Engagement und Forschung informierte sich nun der Gießener Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Staatssekretär Dr. med. Helge Braun.
Ruhrmann und ein Teil ihres Forschungsteams erläuterten dem Interessierten Parlamentarier die speziellen Fragestellungen und Zusammenhänge. So kommen im Bundesmittel auf 10.000 Einwohner jährlich 0,4 Einsätze, für die es zu dem Einsatzmittel Höhenrettung keine Alternative auf qualitativ gleichem Niveau gibt. Für den eigenen Landkreis Gießen sind dies statistisch knapp 12 Einsätze im Jahr, bei denen davon ausgegangen wird, dass die Vorhaltung einer Höhenrettungsgruppe wesentlichen Einfluss auf das so genannte Outcome, also den Gesundungsgrad des Patienten hat. Ein weiterer Befund ist, dass die beiden häufigsten Notfälle, mit denen Höhenretter konfrontiert werden, Suizidversuche und schwere chirurgische Verletzungen sind. Hierauf sei, so Ruhrmann in ihren Ausführungen, das Handlungs- und Versorgungskonzept bereits in der Ausbildung abzustimmen.
Allerdings sind nicht nur die Ergebnisse von Interesse, sondern der Weg dorthin. Bis 2009 war nicht nur Ruhrmann selbst, sondern auch ein Teil ihres Forschungsteams - darunter Notärzte, Biologen und Ingenieure - selbst ehrenamtliche Höhenretter. In dieser Gruppe ergab sich dann im Einsatz, aber auch in der konzeptionellen Planung die eine oder andere Fragestellung, die offen blieb. Florian Uhle, Mitglied der Forschungsgruppe und einer von zwei staatlich geprüften Ausbildern für Höhenrettung in Mittelhessen beschreibt das so: "Viele Annahmen in Rettungsdienst und Gefahrenabwehr beruhen nicht auf harten Fakten, sondern auf dem Bauchgefühl handelnder Personen, da aufgrund der Seltenheit von verschiedenen Einsatzsituationen Erfahrungen und Studien fehlen. Wir wollten in vielen Punkten wissen, wie es wirklich ist, um Risiken zu minimieren und die Qualität in der Versorgung von Notfallpatienten auch dann zu verbessern, wenn diese an ungewöhnlichen Orten, wie Baukränen, Sendeanlagen oder Steinbrüchen Hilfe benötigen."
Als Staatssekretär für Forschung und Bildung einerseits, als Notarzt aus der Region Mittelhessen andererseits weiß Braun genau, was dieses Ergebnis bedeutet: "Wenn freiwilliges Engagement einer Gruppe für die Gefahrenabwehr derart sinnstiftend ist, dass hieraus solide wissenschaftliche Forschung wird, dann ist dass vorbildlich, zukunftsweisend und bemerkenswert. Das ist ein Ergebnis, das für die Bildungs- und Medizinregion Mittelhessen typisch ist."