„Dieses Mal war der Berg stärker“
Überstürzter Abstieg vom kältesten Berg der Erde. Der Weilheimer Orthopäde und erfahrene Extrembergsteiger Dr. Karl Flock hat seine Expedition am Mount McKinley vorzeitig abgebrochen. Anhaltender Schneefall und akute Lawinengefahr, orkanartige Stürme von bis zu 120 Stundenkilometern und 25 Grad unter Null machten den Gipfelsturm unmöglich. Der Traum des Bergdoktors, dieses Jahr als dritter Deutscher die „Seven Summits“ zu bezwingen, ist nicht in Erfüllung gegangen: „Gesundheit und Sicherheit haben absoluten Vorrang.“
München, 11. Juli 2007. „Guten Morgen. Wir werden die Expedition sofort abbrechen. Im Moment verlassen alle, die können, fluchtartig den Berg. Wir haben unglaublichen Schneefall und Windgeschwindigkeiten von bis zu 120 Stundenkilometern. Wir bleiben heute Nacht noch auf Lager IV in 4.300 Metern. Morgen früh versuchen wir, nur mit kurzen Pausen, direkt zum Basislager auf 2.200 Metern durchzugehen.“ Das war die letzte Nachricht von Dr. Karl Flock über Satellitentelefon am 6. Juli um 7.48 mitteleuropäischer Zeit.
Drei Tage später, am 9. Juli, ist der Bergdoktor aus Schnee, Eis und extremer Kälte wohlbehalten in München angekommen: „Uns ging es gut. Höhenmedizinisch gesehen waren wir hervorragend akklimatisiert und für den Gipfel bereit. Auf Grund des katastrophalen Wetters hatten wir keine Chance den Gipfel zu erklimmen. Diesmal war der Berg stärker. Gesundheit und Sicherheit haben absoluten Vorrang vor bergsteigerischem Ehrgeiz.“ Der Mitbegründer des Orthopädischen Fachzentrums Weilheim/Garmisch-Partenkirchen war am 19. Juni nach Alaska gestartet, um den Mount McKinley, seinen letzten Berg der „Seven Summits“ zu besteigen. Begleitet wurde Dr. Karl Flock von einem Team aus erfahrenen Extrembergsteigern: vom Peißenberger Arzt Dr. Wilhelm Fischer, dem österreichischen Bergführer Walter Laserer, dem Weilheimer Manfred Pongratz sowie vom dreiköpfigen BR-Fernsehteam mit Michael Pause, Leiter der Bergsteigerredaktion.
Der Denali, so wird der Mount McKinley von den Althabasken-Indianern in Alaska genannt, was „der Große“ bedeutet, gilt auf Grund seiner Höhe von 6.194 Metern und der subpolaren Lage auch als der kälteste Berg der Welt. In den Sommermonaten Mai und Juni herrschen oberhalb 4.000 Metern durchschnittlich minus 25 bis minus 30 Grad Celsius. Auf Grund plötzlich auftretender Wetterwechsel, massivem Schneefall und akuter Lawinengefahr sowie orkanartiger Stürme, wird der Berg von erfahrenen Bergsteigern auch respektvoll der „eiskalte Riese“ genannt.
Dieses Mal hat der Berg seinem Namen alle Ehre gemacht: Am 19. Juni in Talkeetna, der Bergsteiger Ranger Station angekommen, musste das Team von Dr. Flock sechs Tage warten, bis es zum Basislager am Kahlitna Gletscher auf 2.200 Metern einfliegen konnte: starke Waldbrände in Talkeetna und Schneesturm im Basislager verursachten sogenannten Whiteout und machten einen Start zunächst unmöglich. Dieses Phänomen führt zu einem „Verschwimmen“ des Horizonts – Hindernisse, Abgründe und Entfernungen sind für Bergsteiger damit nicht mehr zu erkennen. Am Abend des 25 Juni ging plötzlich das Wetterfenster auf, so dass das Team starten konnte. Bis zum Lager IV, dem Medical Camp auf 4.300 Metern, das die Bergsteiger am 1. Juli erreichten, ging es recht gut voran. Dr. Karl Flock: „Das war enorm anstrengend. Denn jeder von uns hatte gut 45 Kilo Gepäck – Rucksack, Schlitten, Ausrüstung und Verpflegung – zu tragen. Daher sind wir die letzte Strecke in zwei Etappen gegangen. Pro Strecke sechs bis neun Kilometer, mit starken Steigungen – und das bei tagsüber 25 bis 30 Grad Celsius plus, bei teilweise herrlichem Sonnenschein. Danach ist man komplett fertig.“ Die Temperaturunterschiede am Mount McKinley sind extrem: in den unteren Abschnitten, bis zu den Lagern II und III haben Bergsteiger mit der großen Hitze zu kämpfen, ab Lager IV auf 4.300 Metern mit der enormen Kälte. Daher gehen Bergsteiger die unteren Abschnitte nachts – die 24-stündige Helligkeit ermöglicht das. Zudem ist es dann kühler, so dass die Spalten im Berg, die tagsüber aufweichen, dann noch gefroren sind.
Im Lager IV hat das Team eine dreitägige Pause eingelegt: regenerieren, Kraft schöpfen und vor allem an die Höhe akklimatisieren. Denn auf Grund der polarnahen Lage beträgt die Höhenwirkung dort 4.800 Meter, das heißt die Luft ist vergleichbar dünn wie am Mont Blanc. Auch die großen Temperaturunterschiede waren eine enorme Belastung für die Kondition: tagsüber sommerliche Temperaturen – und bis zu minus 25 Grad Celsius in der Nacht. Der Bergdoktor: „Alles was flüssig ist, gefriert dann. Wir mussten unsere Batterien, Kameras, Satellitentelefone und Spritzen in die Schlafsäcke einpacken.“
Vom Medical Camp aus hat das Bergsteigerteam alle notwendigen Vorbereitungen für den Gipfelsturm getroffen: Zwei Mal gingen sie über die unter Bergsteigern als Schlüsselstelle bekannte, mit Fixseilen versicherte Steilflanke der West-Buttress-Route auf 5.000 Metern und gruben dort Ausrüstung und Nahrungsmittel ein. Am 5. Juli hat sich die Wetterlage dann rapide verschlechtert: Stürme von bis zu 120 Stunden-kilometern und starke Schneefälle. Die damit verbundene akute Lawinengefahr am Denali-Paß machten einen Gipfelsturm unmöglich. Auch die Zeit lief den Bergsteigern davon, denn der Rückflug war ursprünglich für den 11. Juli geplant. Die letzten Schlechtwettermeldungen vom Wetterdienst in Innsbruck, mit dem die Bergsteiger über Satellitentelefon in ständigem Kontakt standen, bestärkten das Team in seinem Entschluss, die Expedition abzubrechen. Dr. Karl Flock: „Das war die einzig richtige Entscheidung. Denn zur gleichen Zeit, am 6. Juli, saßen fünf bis sechs weitere Bergsteiger im Hochlager auf 5.200 Metern bei minus 25 Grad Celsius fest. Auf Grund der hohen Windgeschwindigkeiten konnten sie nicht mal ihre Zelte abbauen.
Diesmal war der Berg stärker, aber der Weilheimer Orthopäde und Kniespezialist plant für das nächste Jahr einen zweiten Anlauf zur Besteigung des Mount McKinley. Denn an seinem Lebenstraum, die „Seven Summits“ zu bewältigen, hält der Bergdoktor fest.