In einem ungewöhnlichen und nicht erwarteten Schritt hat die FDA dem Pharmahersteller, Orexigen Therapeutics klar gemacht, dass eine Zulassung seines neuen Medikamentes, Contrave, nur nach Einreichen einer Langzeitstudie möglich sei, die beweise, dass das Produkt das Risiko für Herz-Kreislauf Erkrankungen nicht erhöhe.
Damit hat die Behörde ein unmissverständliches Signal an die Branche gesandt, dass sie ausserordentlich vorsichtig bei der Beurteilung neuer Gewichtsreduktionspräparate ist, nachdem einige ältere Präparate, die nicht mehr auf dem Markt sind, ernsthafte Nebenwirkungen gezeigt haben.
Contrave ist bereits das dritte Produkt, dem die FDA die Vertriebsbewilligung in den letzten Monaten verweigert hat.
Nachdem Orexigen am Dienstag die Entscheidung der FDA bekannt gegeben hat, haben sich verschiedentlich Experten und Patientenorganisationen kritisch zu Wort gemeldet und davor gewarnt, dass das Vorgehen und die Forderungen der FDA jeglichen weiteren Versuch, eine neue Diätpille auf den Markt zu bringen, hemmen oder sogar komplett vereiteln könnten.
"Die FDA hat sich mit diesem Entscheid keinen Gefallen getan, hat sie doch damit entschieden, dass das derzeit bedeutendste Gesundheitsproblem keinerlei medikamentösen Therapie zugänglich gemacht wird," schreibt Morgan Downey, Herausgeber des online Downey Obesity Report. "Bei der gegenwärtigen Auslegung der Sicherheitsaspekte würde nicht einmal Hahnenwasser von der FDA genehmigt."
Die Entscheidung der FDA kam nicht ganz unerwartet. Contrave hat in den klinischen Studien lediglich eine geringfügige Wirksamkeit zur Gewichtsreduktion gezeigt. Das Erstaunliche am Entscheid der FDA ist vielmehr, dass sie zum ersten Mal die Zulassung an die Bedingung geknüpft hat, dass das Risiko für Herz-Kreislauf Probleme mittels einer grossen Studie untersucht werden soll.
Grossangelegte Studien im Herz-Kreislauf Bereich können leicht über mehrere Jahre gehen und im schlimmsten Fall Hunderte von Millionen kosten - Todesurteile für viele Medikamente im Versuchsstadium. Die Verantwortlichen von Orexigen haben sich dazu noch nicht verbindlich geäussert. Sie suchen offenbar das Gespräch mit Verantwortlichen der FDA um die Rahmenbedingungen einer solchen Studie genauer definieren zu können. Sie machten aber in einer ersten Reaktion auf den Entscheid klar, dass nun alle Optionen geprüft würden, auch diejenige das Medikament in der Schublade zu versorgen.
"Das ist ganz klar das worst-case Szenario für Orexigen," meinte ein bekannter Wall-Street Analyst. Die Aktie verlor denn auch dramatische 72.5 Prozent ihres Vortagewertes. Aber nicht nur für Orexigen bedeutet dieses Verdikt einen grossen Verlust. Auch Takeda Pharmaceutical, ein Japanischer Pharmaproduzent, der sich die Amerikanischen Vertriebsrechte von Orexigen für anfänglich 50 Millionen Dollar gesichert hatte, geht jetzt mit leeren Händen aus. Analysten meinten denn auch, dass das das Ende der Zusammenarbeit von Takeda mit Orexigen bedeuten könnte.
Nachdem nun auch Contrave für die nächsten Jahre wohl kaum auf dem Amerikanischen Markt wird erscheinen können, ist Xenical der Firma Roche das letzte Gewichtsreduktionsmedikament, das 1999 von der FDA zugelassen wurde. Ein Medikament, das notabene in den letzten Jahren zusehends an Umsatz und Popularität eingebüsst hat und als alleinige Option für Übergewichtige kaum anzuwenden ist. Die letzten zwei Medikamente, die ein ähnliches Schicksal, wie dasjenige von Contrave erlitten haben, waren Lorcaserin der Firma Arena Pharmaceuticals und Qnexa von Vivus. Ausserdem hat die FDA die Firma Abbott Laboratories praktisch dazu gezwungen, Sibutramin (Reductil) freiwillig vom Markt zu nehmen.
Für Contrave sah die Sache anfänglich gar nicht so schlecht aus. Allgemein ging man davon aus, dass die FDA grundsätzlich ihr Einverständnis für das neue Produkt geben würde - möglicherweise verbunden mit kleineren Auflagen, die die Markteinführung lediglich um ein paar wenige Monate verzögert hätte. Gestützt waren diese Hoffnungen auf einem Entscheid der beratenden Kommission vom letzten Dezember, die sich ausdrücklich in einem 13 zu 7 Entscheid für die Einführung von Contrave ausgesprochen hatten.
Zwar hatte auch die beratende Kommission verlangt, dass das Risiko für Herz-Kreislauf Erkrankungen besser untersucht werden müsse, stimmte aber in einem Verhältnis von 11 zu 8 dafür, dass dieser Beweis nach der Markteinführung erbracht werden könne.
"Wir sind erstaunt und ausserordentlich enttäuscht über die Forderungen der FDA in Anbetracht der ausführlichen Diskussion dieses Themas innerhalb der vorberatenden Kommission, was sich ja auch in deren Abstimmungsergebnis vom 7. Dezember des vergangenen Jahres widerspiegelt," meinte Michael A. Narachi, Geschäftsführer von Orexigen in einem Statement.
Contrave ist ein Kombinationspräparat aus zwei bereits zugelassenen Medikamenten, die zusammen die Lust am Essen dämpfen oder unterdrücken sollen. Eine der Komponenten, Bupropion, ist ein Antidepressivum und hat als Zyban im Bereich der Raucherentwöhnung Furore gemacht, während das zweite Präparat, Naltrexon, ein Medikament zur Bekämpfung von Alkohol- und Drogensucht ist.
Bupropion, das Medikament, das bei Contrave für die möglichen Herz-Kreislauf Beschwerden verantwortlich ist, wird derzeit bereits von ungefähr sechs Millionen Amerikanern jedes Jahr verwendet, ohne dass es dabei zu ernsthaften Herz-Kreislauf Nebenwirkungen gekommen wäre.
"Die Inhaltsstoffe von Contrave sind Produkte, mit denen Ärzte seit Jahren operieren und die sie gut kennen," meinte Dr. Robert F. Kushner, klinischer Direktor des Adipositas Zentrums der Northwest University. Er fügte hinzu, dass die Voraussetzung zur Zulassung in einer grossangelegten Studie liege, "ein fürchterliches und alarmierendes Signal an die gesamte Branche" sende.
Eine Sprecherin der FDA meinte zu diesem Thema, dass die Behörde noch nicht grundsätzlich darüber entschieden habe, ob Herz-Kreislauf Studien in Zukunft für alle Übergewichts-Medikamente verlangt würden. Die Behörden verlangen zum jetzigen Zeitpunkt solche Studien nur von Diabetes-Medikamenten, was bereits dazu geführt hat, dass kleinere Firmen keine Forschungsgelder mehr für dieses Therapiegebiet mehr zur Verfügung stellen - ein klarer Verlust von Know-how. Waren es doch gerade kleine Firmen, die in der Vergangenheit mit überzeugenderen Präparaten auf den Markt gedrungen sind, als die grossen, bereits etwas behäbigen Pharmafirmen.
In den klinischen Studien hatte Contrave zu einer leichten Erhöhung der Pulsrate und des Blutdrucks geführt. Ein Warnzeichen, dass es auch das Risiko für Herzinfarkte, Hirnschläge und weitere Herz-Kreislauf Erkrankungen leicht erhöhen könnte. Mit den von Orexigen durchgeführten Studien liess sich ein solcher Verdacht allerdings nicht erhärten, zeigten doch die Patienten in der Contrave Gruppe keinerlei Anzeichen für ein erhöhtes Risiko im Vergleich zur Placebo Gruppe. Allerdings, so die FDA, seien die Studien zu kurz angelegt gewesen und mit zu wenigen Patienten durchgeführt, als dass man etwas anderes als ein immenses zusätzliches Risiko hätte finden können.
Demgegenüber steht die Erkenntnis, dass adipöse und übergewichtige Patienten aufgrund ihres erhöhten Körpergewichts per se einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf Erkrankungen und verschiedenen anderen Erkrankungen ausgesetzt sind. Bereits eine geringfügige Gewichtsreduktion kann das Risiko eines Diabetes oder auch anderer Erkrankungen massiv senken.
Die FDA sah sich aber möglicherweise aufgrund der Erfahrungen mit Sibutramin (Reductil) dazu gezwungen, eine grossangelegte Studie bezüglich der Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf System zu verlangen. Sibutramin (Reductil) wurde 1997 von der FDA für den Markt zugelassen, obwohl schon damals bekannt war, dass das Medikament die Herzfrequenz und den Blutdruck leicht anhob. Letzes Jahr nun hat eine von der Europäischen Zulassungsbehörde (EMEA) geforderte Studie gezeigt, dass Sibutramin (Reductil) tatsächlich das Risiko für Herzinfarkte und Hirnschläge erhöht - allerdings nur bei Patienten, die bereits eine vorbestehende Schädigung des Herz-Kreislauf Systems aufwiesen.
"Es scheint so, als würde die FDA ihre Lehren aus der Vergangenheit ziehen," meinte Dr. Sanjay Kaul, ein Kardiologe vom Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles, der die Entscheidung der Behörde begrüsste. "Die FDA versucht offenbar eine Warnung an die Pharmabranche zu geben, dass es in Zukunft nicht ausreicht, einfach alte Präparate neu zu verpacken," sagte Kaul, der sich im vergangenen Dezember als Mitglied der beratenden Kommission gegen die Einführung von Contrave ausgesprochen hatte. "Die Industrie muss neue, innovative Wege gehen, will sie in Zukunft ein Medikament gegen Übergewicht auf den Markt bringen."
Bleibt die Frage, ob es nicht doch besser wäre ein Medikament wie Contrave, dessen Wirksamkeit in den klinischen Studien unbestrittenermassen bescheiden ausfiel, einsetzen zu können um der grassierende Übergewichts-Epidemie zumindest teilweise Herr zu werden, als über gar kein Produkt zu verfügen und sich nachher mit den deutlich höheren Kosten der gewichtsbedingen Nebenwirkungen auseinander setzen zu müssen. Die FDA schweigt, wie immer, zu ihren Entscheidungen.