Eine generelle Herausforderung der Schmerzdiagnostik beschrieb Dr. Marianne Koch, Präsidentin der Deutschen Schmerzliga und Schirmherrin der Tagung, in ihrem Grußwort: „Schließlich gibt es keine objektiven Befunde, die Schmerzen bestätigen könnten, das heißt: Keine Laborwerte, keine Röntgen- oder Ultraschallaufnahmen belegen, dass und wie sehr ein Patient leidet.“
Das Programm mit seinen 11 Vorträgen und 10 Workshops erstreckte sich von der medizinischen Schmerzdiagnostik, pädagogischen, psychologischen und theologischen Sichtweisen von Schmerz über verschiedene Methoden der Schmerztherapie bis hin zu Aspekten der Naturheilkunde und Entspannungstechniken. Begleitet wurde die Tagung von einer Ausstellung mit Werken behinderter Künstler, die sich mit dem Thema Schmerz auf ganz eigene Weise auseinandergesetzt hatten.
Beeindruckende Modelle aus Wissenschaft und Praxis
Höhepunkt der Tagung war der Vortrag von PD Dr. med. Boris Zernikow vom Vodafone Stiftungsinstitut für Kinderschmerztherapie in Datteln, das bei Kindern mit schweren Behinderungen sowohl in Diagnostik als auch in der Therapie beispielhafte Arbeit leistet; das multidisziplinäre Team um Zernikow wurde auch mit dem diesjährigen Förderpreis der Stiftung Leben pur ausgezeichnet.
Der Kinder-Schmerztherapeut Dr. med. Raymund Pothmann vom Hamburger Zentrum für Integrative Kinderschmerztherapie beschrieb an Hand konkreter Beispiele das mögliche Zusammenspiel von Ernährung und Schmerz und begeisterte seine Zuhörer mit zahlreichen Tipps für den Alltag. Die homöopathische Kinderärztin Dr. med. Sigrid Kruse vom Haunerschen Kinderspital der LMU München konnte von Erfolgen homöopathischer Begleittherapien bei Kinder mit schweren Behinderungen oder spastischen Bewegungsstörungen berichten.
Doch nicht nur Mediziner kamen zu Wort. Heike Witte, ehrenamtliche Mitarbeiterin des deutschen Kinderhospizvereins, schilderte eindrucksvoll, wie ein ambulanter Dienst Eltern unterstützen kann. Dr. phil. Ursula Braun, Konrektorin einer Förderschule in Bad Aerosolen, beschrieb, wie mit Hilfe sorgfältig ausgewählter und reduzierter Zeichensprache eine Verständigung mit schwer geistig behinderten Kindern möglich werden kann.
Große Aufmerksamkeit ernteten auch ein junger Mann mit Tetraspastik und der Vater eines Sohnes mit schwersten Behinderungen. Beide schilderten eindrucksvoll ihre Erfahrungen mit Schmerzen, Therapien und Klinikaufenthalten und betonten, wie wichtig einfühlsames Verhalten der Ärzte, Therapeuten und der Pflegekräfte sei.
Das Ziel: Gute Versorgung für alle
Alle Referenten betonten die Notwendigkeit einer sorgfältigen Anamnese und eines interdisziplinären Ansatzes, weiter seien Geduld gefragt und ein sich langsames Herantasten an die individuell richtige Therapie. Dieser Prozess sei noch anspruchsvoller, wenn ein Gespräch mit der betroffenen Person nicht möglich ist. Verbleiben Mimik, Laute oder Körpersignale als alleinige Ausdrucksmittel, sind die engsten Bezugspersonen – hier spielen Mütter eine unvergleichlich wichtige Rolle – oft die besten Interpreten dieser Äußerungen. „Anfangs habe ich gedacht, meine Frau übertreibt, wenn sie wieder einmal meinte, mit unserem Sohn stimme etwas nicht, die Ärzte aber keine Veränderung feststellen konnten. Aber als sie zum dritten Mal richtig lag, habe ich das nie wieder in Zweifel gezogen“, so beschrieb ein Besucher dieses Einfühlungsvermögen.
Deutlich wurde auch, dass es bei der Schmerzbewältigung nicht nur um die Wahl der richtigen Medikamente und Therapien geht, sondern auch um Begleitung, Empathie und Mittragen, Mitleiden. Sich aufgehoben fühlen ist für Patienten und Angehörige von elementarer Bedeutung, denn Schmerzen gehen immer mit Ängsten und Leid einher, die wiederum das Schmerzempfinden verstärken können.
Versorgungslücken sind unübersehbar
Zum Ende der Tagung zogen Referenten und Teilnehmern ein fast einstimmiges Fazit: In den letzten Jahren konnten wesentliche Verbesserungen erreicht werden und bundesweit arbeiten viele Experten und Betreuer intensiv an einer Verbesserung der Schmerzsituation von Menschen mit schweren Behinderungen. Das Ergebnis sind viele Behandlungsansätze, die Mut machen und auf weitere Fortschritte hoffen lassen. Die Tagung konnte einen wichtigen Beitrag zum interdisziplinären Austausch leisten und den Dialog zwischen Experten und Praxis fördern und den Teilnehmer zahlreichen Anregungen für den Umgang mit Schmerz an die Hand geben.
Es wurde aber auch sehr deutlich, dass es an fundierten wissenschaftlichen Studien und verbindlichen Behandlungsstandards fehlt und es deutliche Versorgungslücken gibt. Besonders düster ist die Situation für Erwachsene mit schweren Behinderungen. Für sie und ihre Eltern gibt es deutschlandweit keine expliziten Anlaufstellen und in Kliniken für Kinder und Jugendliche dürfen sie nach aktueller Rechtslage nicht mehr aufgenommen werden.
Neue Forschungen anstoßen
Ausrichter der Tagung war das Wissenschafts- und Kompetenzzentrum der Stiftung Leben pur. Ihr Ziel ist es, durch Vernetzung, Wissenstransfer und Austausch neue und bessere Antworten und Therapien für die Alltagsbelange von Menschen mit schweren Behinderungen zu finden und Lücken im Wissenstransfer zwischen Wissenschaft, Praxis und den Betroffenen zu schließen.
Die Stiftung hofft, in naher Zukunft weitere Sponsoren zu finden, mit deren Hilfe neue Forschungsarbeiten angeregt und finanziell unterstützt werden können. Dies ist umso wichtiger, als nach dem aktuellen Kenntnisstand davon ausgegangen werden muss, dass Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen anders auf Therapien reagieren als Menschen ohne Handicap und vielfach medikamentös und therapeutisch unterversorgt sind – und dies, weil es an entsprechendem Wissen und Versorgungsstrukturen fehlt – auch und gerade bei Medizinern.
Weitere Informationen zur Stiftung und Pressefotos:
www.stiftung-leben-pur.de
Wichtiger Hinweis:
Zurzeit wird ein Tagungsbericht erstellt, in dem alle Vorträge kurz dokumentiert werden; im Sommer erscheint eine ausführliche Dokumentation der Tagung und ihrer Ergebnisse.
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