THYRNAU-KELLBERG - Nach Krebsoperationen setzen bayerische Rehabilitationsmediziner bereits während der Heilung von offenen Wunden auf innovative Therapieverfahren. "Statt nur Verbände zu wechseln, muss die Zeit genutzt werden, um die Beweglichkeit des Patienten möglichst frühzeitig herzustellen", sagt Prof. Dr. Hannes Schedel, Leiter der onkologischen Rehabilitationsklinik Prof. Schedel (www.klinik-prof-schedel.de), im bayerischen Thyrnau-Kellberg bei Passau.
Die 205-Betten-Klinik zählt mit jährlich rund 3.000 Patienten zu den größten Rehabilitationseinrichtungen für Krebspatienten im ostbayerischen Raum.
Der Wundheilung kommt in der onkologischen Rehabilitation eine entscheidende Rolle zu: Nur mit Hilfe eines modernen Wundmanagements heilt laut Professor Schedel die Wunde schneller und verbessert die Lebensqualität des Patienten: "Durchlässige Wundauflagen mit besonderer Beschichtung unterstützen und fördern den natürlichen Heilungsprozess." Rund ein Drittel der Reha-Patienten habe nach dem Akuteingriff ein Problem mit der Wundheilung. Von einem modernen Therapieverfahren profitieren laut Prof. Schedel Patienten, Mediziner, Pflegekräfte und die Gesellschaft. Der Patient erhalte durch moderne Wundbehandlung mehr Bewegungsfreiheit, Ärzte und Pflegekräfte werden entlastet. Eine schnellere Heilung sorgt dann auch für kürzere Klinikaufenthalte.
Rund 90 Prozent der Patienten in der Klinik Prof. Schedel können nach dreiwöchiger Anschlussheilbehandlung (AHB) an eine Operation mit verheilter Wunde nach Hause entlassen werden, somit auch früher wieder ihrem normalen Alltag nachgehen. Mit Wundheilung bezeichnet man den körpereigenen Verschluss einer Wunde durch weitestgehende Wiederherstellung des beschädigten Körpergewebes. "Das ist ein natürlicher Prozess, der von uns aber therapeutisch optimiert werden kann", sagt Chefarzt Dr. med. Markus Higi von der Klinik Prof. Schedel.
Phasengerecht, individuell und problemorientiert
Die moderne Wundbehandlung erfolgt nach Angaben des Mediziners phasengerecht, individuell und problemorientiert. Die Auswahl der geeigneten Wundauflage erfolge nach Anamnese und auch der Beurteilung der Wundheilungsphase. Wichtig seien die Tiefe, Flüssigkeitsabsonderungen, die Durchblutung und eventuelle Infektionen. "Unser grundsätzliches Ziel ist es, die Exsudationsphase mit austretenden Flüssigkeiten zu verkürzen und die Granulationsphase mit neuem wachsenden Bindegewebe zu beschleunigen", erläutert der Chefarzt, "das können wir beeinflussen."
"Zellen fliegen nicht, sie schwimmen"
Viele Wunden heilen unter feuchtwarmen Folien oder Hydroaktiv-Verbänden erheblich schneller und besser als an der Luft. Eine Abdeckung, unter der die Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse der Wunde konstant bleiben, schützt nach den Erfahrungen der Kellberger Experten am besten. Unterhalb einer Temperatur von 28 Grad Celsius findet nämlich kaum noch die notwendige Zellteilung (Mitose) statt. "Zellen fliegen nicht, sie schwimmen", gilt als Prinzip beim Wundprozess. Zur Wundreinigung wird in der Regel eine Kochsalzlösung verwendet. Leitungswasser sei nicht zu empfehlen. Ein Wunddesinfektionsmittel werde nur bei einer Infektion zur Reduktion der Keimlast eingesetzt.
Wundkissen mit Super-Absauger
Die Wunde sollte zum Schutz vor mechanischer und chemischer Reizung abgedeckt werden und die "Wundruhe" ungestört verlaufen. Funktion der Wundauflage sei es, Sekrete aufzunehmen und den Nährboden für Erreger zu entziehen. Wunden, die viel Flüssigkeit absondern, werden laut Higi mit einem Super-Absorber aus Polyacrylat versorgt. "Kaum ein anderes Verbandsmaterial hat eine so starke Saugkraft." Der Verband muss dann auch nicht mehrfach am Tag gewechselt werden. Higi warnt vor "alten Hausmitteln": Butter auf Brandwunden, Zucker in offene Wunden oder Zitronensaft als Spüllösung sei mit professioneller Wundtherapie nicht vereinbar. Vorbei sei auch die Zeit der gerbenden Farbstoffe, der abdichtenden Pasten oder austrocknender Wundpuder.
Heilungsstörung bei Diabetes
Manche Faktoren der Wundheilung wie das Lebensalter der Patienten oder Diabetes sind nicht beeinflussbar. Je älter ein Mensch ist, desto schlechter heilen die Wunden. Bei Menschen über 60 Jahre sei die Wundheilung dreimal so häufig gestört wie bei Jüngeren. Der Körper bilde nicht so schnell neue Zellen und Blutgefäße. Die Erfahrung der Kellberger Experten ist besonders bei Patienten mit Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes gefragt: Hier ist laut Higi das Risiko bis zu fünfmal häufiger, dass sich die Operationswunde entzündet.
In den Akutkrankenhäusern werden nach Ansicht der Rehabilitationsmediziner immer mehr Menschen operiert, die früher als inoperabel eingestuft waren. Deshalb komme der Rehabilitation eine neue Aufgabe zu: die der postoperativen Therapie. Bei einem Drittel der Patienten in der Rehabilitation sei mit Wundheilungsproblemen zu rechnen, was sich die Betroffenen bewusst machen sollten. In der nachoperativen Phase werden die Weichen für ein normales Leben gestellt: "Die Wunde muss abheilen und der Patient wieder auf die Beine kommen - dann sind wir zufrieden", sagt Chefarzt Dr. Markus Higi.