Der Barmer GEK-Report „Krankenhaus 2011“ enthüllt: Im Jahr 2010 wurden mehr als doppelt so viele Patienten mit psychischen Störungen im Krankenhaus behandelt werden mussten als noch vor zehn Jahren. 1990 mussten lediglich 3,7 von 1000 Patienten wegen seelischer Probleme – z.B. dem Burnout-Syndrom behandelt werden, im letzten Jahr waren es bereits 8,5 (!) von 1000 Patienten. Nach Angaben der Barmer, verursachen psychische Störungen mittlerweile die meisten (17,1 Prozent) Kliniktage, bei einem Kostenfaktor für die gesetzlichen Kassen von 5,5 Milliarden Euro. Auch im ersten Halbjahr 2011 hat sich nichts geändert:
So stieg der Anteil psychischer Erkrankungen (Burnout, Depression) bei Krankschreibungen auf 14,3 Prozent. Insgesamt betrug die Fehlquote der Beschäftigten im ersten Halbjahr 4,49 Prozent; 0,24 Prozentpunkte mehr als im Vorjahreszeitraum.
Das Burnout bundesweit auf dem Vormarsch ist, bestätigt auch der anerkannte Anti-Burnout-Experte Bernd Kollmann (40). Er warnt: „Die Zahlen werden weiter ansteigen. Besonders junge Menschen sind immer stärker gefährdet.“
Seit über acht Jahren berät Kollmann (www.derbewegtemensch.de) Firmen, im Umgang mit dem Thema bei ihren Mitarbeitern und bei der Entwicklung von Präventionsmaßnahmen. Und er coacht Betroffene aus ganz Deutschland, die Burnout gefährdet sind, bereits an dem Syndrom leiden oder sich nach einer ärztlichen Behandlung wieder im Alltag und Berufsleben zurechtfinden müssen.
Im Interview erläutert Bernd Kollmann, was Burnout überhaupt bedeutet, warum es nicht als Krankheit anerkannt ist und wie sich jeder schützen kann.
Erschrecken Sie die Zahlen?
Nein. Es ist schon lange bekannt, dass Burnout zu einem immer größeren problem unserer Leistungsgesellschaft wird. Das ist aber nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern betrifft alle Industrienationen weltweit.
Was bedeutet Burnout überhaupt?
Der Begriff „Burnout-Syndrom“ (von engl. „ausbrennen“) wurde 1974 von Herbert Freudenberger geprägt. Der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker beobachtete vor allem bei Menschen aus sozialen Berufen besonders häufige Krankschreibung, Arbeitsunfähigkeit oder Frühverrentung. Aus seiner Sicht lag der Grund in der berufsspezifischen Arbeitsbelastung in Verbindung mit einem besonders hohen persönlichen Engagement.
Burnout beschreibt den Zustand der eingeschränkten oder reduzierten Leistungsfähigkeit, verbunden mit einem hohen Grad emotionaler Erschöpfung.
Burnout steht am Ende einer langen Entwicklung, die sehr häufig mit Begeisterung und Idealen beginnt und nach Frustsituationen, gescheiterten Illusionen zu Aggressionen oder Depressionen führen kann.
Es sind nicht nur Menschen aus sozialen Berufen betroffen – heute kannn es jeden treffen. Burnout ist definitiv Berufsübergreifend.
Warum?
Der Leistungsdruck wird immer höher, die Selbstabgrenzung wird geringer, die reine Definition über Arbeit wird extrem hoch. Und auch die steigende Angst, vor dem Verlust des Arbeitsplatzes spielt eine entscheidende Rolle.
Das erklären Sie bitte.
Fangen wir mit dem Leistungsdruck an: Zum einen sind die individuellen Anforderungen an einen Arbeitsplatz mit der zunehmenden Technisierung um ein Vielfaches höher als noch vor 30 Jahren. Damit nicht genug – industrielle Veränderungen und technologischer Fortschritt erfolgen immer schneller und komplexer. Reichten früher alle paar Jahre Fortbildungsmaßnahmen, müssen sich die heutigen Arbeitnehmer immer öfter und in immer kürzeren Abständen weiter entwickeln, um auf der Höhe zu sein. Wer da nicht mehr mitkommt oder dem Druck nicht gewachsen ist, fällt schnell durchs Rost.
Und, auch dass darf nicht vergessen werden: Technologische Entwicklungen führen oft ebenso dazu, dass Arbeitsplätze wegfallen. Und damit bin ich beim zweiten entscheidenden Punkt: Auf der einen Seite wird von dem Arbeitnehmer immer mehr verlangt, andererseits gehen immer mehr Arbeitsplätze verloren – egal, ob die Wirtschaft floriert oder nicht. Unternehmer setzen auf Kurzarbeit, Leiharbeiter oder setzen Maschinen ein, die den Menschen überflüssig machen. Anders, als noch vor 30 Jahren, spielt der einzelne Mensch im Arbeitsprozess eine immer geringere Rolle. Dies merken schon Jugendliche, wenn sie eine Lehrstelle suchen. Oder ältere Menschen, die schon kurz vor 50 abgeschoben werden. Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust ist heute sehr viel deutlicher ausgeprägt als früher. Vor allem die Angst, dann keinen neuen Job mehr zu finden!
Noch ein wichtiger Aspekt: Wer sich heute die Untersuchungen der Krankenkassen genau ansieht, stellt fest, dass immer mehr junge Menschen an psychischen Problemen und damit auch am Burnout-Syndrom leiden. Der Grund ist einfach: Bei ihnen setzt der Leistungsdruck schon viel früher ein, bereits in der Schul- und Studienzeit. Wer einmal den Terminkalender von jungen Frauen oder Männern gesehen hat, erschrickt, was die alles leisten müssen. Dazu kommt: Diese Generationen wachsen mit dem Wissen auf, dass es keine Garantie auf lebenslanges Arbeiten, geschweige denn auf einen sicheren Job mehr gibt.
Wie viele Menschen sind konkret betroffen?
Es gibt keine genauen Zahlen. Burnout ist in Deutschland nicht als eine eigenständig diagnostizierbare psychische Erkrankung deklariert ist. Aber es gibt Schätzungen von der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz: Und die schätzen die wirtschaftlichen Folgekosten durch Burnout auf rund 20 Milliarden Euro jährlich in der EU! Mit steigender Tendenz.
Nach meinen Erfahrungen aus der täglichen Arbeit mit Burnout-Klienten, wage ich zu behaupten, dass allein in Deutschland weit über 50 Prozent aller Berufstätigen, die ständig mit anderen Menschen zu tun haben, gefährdet sind.
Gibt es einen Unterschied zwischen Ost und West?
Wenn man die Zahlen sieht, müsste man davon ausgehen. Aber dem ist nicht so. Die Statistik verschweigt, dass es zwischen Elbe und Saale längst nicht so viele Unternehmen und Arbeitnehmer gibt, wie etwa in Baden-Württemberg oder Bayern. Bereinigt wären – meiner Meinung nach – die Zahlen in etwa gleich. Was ich allerdings glaube: Langzeitarbeitslose oder Hartz IV-Empfänger, die seit vielen Lahren ohne Aussicht auf Arbeit sind, sind ebenso von Burnout betroffen, wie der „normale“ Arbeitnehmer und auch Führungskräfte. Und, wenn man hier Vergleiche anstellen oder Untersuchungen durchführen würde, lägen die neuen Länder an der Spitze – einfach weil proportional mehr Menschen betroffen sind.
Welche wirtschaftlichen Folgen hat Burnout?
2010 gab es in der Wirtschaft 1,8 Millionen Fehltage, die von 100.000 Deutschen mit Burnout verursacht wurden. 2004 waren es nicht mal halb so viele. Und in diesem Jahr werden die Fehlzeiten wieder ansteigen. Der volkswirtschaftliche Schaden ist dementsprechend groß. Hochgerechnet auf die Eurozone würde der Fehlbetrag wahrscheinlich reichen, um die Länder schuldenfrei zu machen.
Die renommierte Standford Univerität in Kalifornien hat ermittelt, dass die Kosten für einen an Burnout leidenden Mitarbeiter dem Unternehmen im Schnitt sein Jahresgehalt betragen. Da kann sich jeder selber ausreichnen, wie teuer Burnout für alle ist.
Dennoch ist Burnout keine anerkannte Krankheit…
…richtig, das ist die Schizophrenie. Kein Arzt darf auf dem Krankenschein vermerken, dass der Patient an Burnout leidet. Dann wird nicht gezahlt. Erschöpfung oder eine psychische Erkrankung dagegen sind kein Problem, die Kasse kommt für die Kosten auf.
Gibt es bei den Krankenkassen oder in der Politik ein Umdenken?
Schwer zu sagen. Ich hoffe es. Auf der einen Seite beschäftigen sich die unterschiedlichsten Wissenschaftler, vom Soziologen über den Psychologen bis hin zu Medizinern und Zukunftsforschern mit dem Phänomen Burnout. Andererseits darf es nicht zur Krankschreibung führen. Da aber viele Kassen mittlerweile offen vom Burnout-Syndrom sprechen und dazu lange wissenschaftliche Untersuchungen und Statistiken veröffentlichen, bin ich zuversichtlich, dass es demnächst als Kranheit anerkannt wird. Und es wird eine neue Volkskrankheit werden.
Wie gehen denn Firmen mit dem Bunout-Phänomen um?
Noch vor einigen Jahren war das Thema in den Betrieben und Unternehmen absolut tabu. Die Personalabteilungen weigerten sich, zuzugeben, dass Arbeit krank machen kann. Und die Betroffenen trauten sich nicht, sich im Betrieb zu offenbaren – aus Angst vor Repressalien oder sogar Entlassung.
In den letzten Jahren hat sich leider nur wenig geändert: Chefs erkennen, dass Präventionsmaßnahmen wichtig sind. Leider wird es mit reinen Einzelmaßnahmen nicht wirklich besser: Obwohl es positive Ansätze gibt mit Gymnastik und Entspannungsübungen am Arbeitsplatz, wie es ein großer Marzipanhersteller in Norddeutschland macht. Oder das Telekommunikationsunternehmen das ein „Handyverbot“ am Wochenende für Manager verordnet hat. Allerdings muss natürlich auf die Einhaltung geachtet werden. es nützt nichts, wenn der Chef von seinen Mitarbeitern Ruhe und Erholung am Wochenende verlangt, aber gleichzeitig am Freitagnachmittag fordert, dass bis Montagmorgen die neuesten Zahlen auf dem Tisch liegen sollen… Diese Ansätze sind gut – aber eben noch viel zu wenig. Und leider oft eine Alibiaktion um ja nicht an das eigentliche Problem ranzugehen.
Woher weiß ich, ob ich nur erschöpft bin oder tatsächlich am Burn Out Syndrom leide?
Jeder Mensch agiert und reagiert natürlich anders. Aber aus meiner praktischen Erfahrung lässt sich folgendes sagen: Eine einfaches Müde sein - nach einer anstrengenden Woche, einem intensiven Arbeitsprojekt oder nach Sonderschichten – bedeutet nicht, dass Sie am BO-Syndrom leiden.
Mein Rat: Verlassen Sie sich auf Ihren Bauch und Ihr gutes Gefühl.
Nur Sie allein spüren und merken, ob Sie nur unter einer vorübergehenden Erschöpfung leiden (weil es mal ein bisschen viel wurde und der Ausgleich fehlt) oder ob Sie sich komplett in einer „eigenen körperlichen Ausbeutung“ ohne Ausgleich und Entspannung befinden.
Nur Sie allein fühlen, ob Ihnen schon der Start in den Tag schwer fällt (sogar in einen freien Tag) oder, ob Sie einfach nur durch zu wenig oder falschen Schlaf müde sind.
Nur Sie allein erkennen, ob der eine oder andere Kollege einfach nur durch seine Art nervt oder ob die gesamte Arbeitssituation zu Frust führt.
Deshalb: Vertrauen Sie Ihrem Gefühl!
Wenn Sie unsicher sind, wenden Sie sich an einen Coach oder Psychologen wenden, der Ihnen schon im beginnenden Burnout-Stadium hilft, ihre individuelle Situation so zu verändern, dass Sie gar nicht erst schlimmer wird und Sie es lernen, auf Ihren Körper und seine Hilferufe zu hören.
Was muss ich tun, wenn ich glaube, ich leide am Burn Out Syndrom?
Holen Sie sich professionelle Hilfe. Es gibt ausgewählte Kliniken in Deutschland, die auf die Behandlung vom Burnout-Syndrom spezialisiert sind. Auch individuelle psychologische Behandlungen helfen.
Aber danach darf nicht Schluss sein!
Ich begleite meine Klienten, die aus medizinischen Maßnahmen kommen, in ihrem „neuen alten Leben“. Aus einem ganz simplen Grund: Ein „schlauer“ Tipp allein nützt nichts. Entscheidend ist, ZEITNAH, in der tatsächlichen Situation dann auch wirklich Hilfe zu bekommen und zu bestehen! Wer das beherzigt, wird im Kampf gegen Burnout erfolgreich sein. Und die Chance auf einen Neuanfang nutzen. A&T Pressebüro/Thomas Pfundtner
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