Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) hat am 06.12.2011 im Rahmen der Sendung „Visite“ veröffentlicht, dass die Zahl der Operationen wegen Bandscheibenvorfällen im Vergleich zu den Vorjahren um 50% zugenommen habe (http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/visite/gesundheitswesen/rueckenop101.html). Rückenoperationen seien in vielen Fällen überflüssig. Studien haben ergeben, dass vier von fünf Operationen durch konservative Methoden vermeidbar wären. Auch die Experten von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie bestätigen im Rahmen einer Sendung im Mittagsmagazin, dass viele Operationen nicht notwendig seien (http://www.br-online.de/mittagsmagazin/0712_Chirurgie.shtml). Grund für diese erschreckende Tendenz seien der Wunsch der Patienten nach schnellen Lösungen, die Technologiegläubigkeit mancher Ärzte und ökonomische Aspekte. Im Bericht des Mittagsmagazins heißt es, dass eine große Rückenoperation 20.000,00 Euro und der kleinere Eingriff zwischen 2.000,00 Euro und 3.000,00 Euro kosten würde. Da die meisten Krankenhäuser mittlerweile gewinnorientierte Unternehmen sind, ist die Steigerung solcher Zahlen unter ökonomischen Aspekten nur konsequent. Die Leidtragenden sind die Patienten, die einerseits gesundheitliche Schäden davontragen und aufgrund der zahlreichen teuren Operationsmethoden höhere Beiträge zu entrichten haben.
Erstaunlich ist, dass Vertreter der Ärzteschaft öffentlich zugeben, dass es in derart großem Umfang zu überflüssigen Eingriffen kommt. Damit fordern sie die Politik auf, diesem Missstand etwas entgegen zu setzen. Leider wird in absehbarer Zeit nichts in dieser Richtung geschehen, so dass die Patienten weiterhin auf sich selbst gestellt sein dürften. Zudem bestätigen die Ärztevertreter damit ein höchst unmoralisches Vorgehen vieler Chirurgen, was das Vertrauen zu dieser Berufsgruppe weiter schwinden lässt. Die Anregung, vor einer Rückenoperation eine Zweitmeinung einzuholen, ist nur zu unterstützen, insbesondere weil Krankenkassen die dabei entstehenden Kosten in der Regel übernehmen.
Leider mangelt es diesen Berichten an der Darstellung der rechtlichen Seite, die nach einer solchen überflüssigen Operation für den Patienten besonders interessant sein dürfte.
Juristisch betrachtet, handelt es sich bei der Durchführung einer überflüssigen Operation um einen Arztfehler, für den der Arzt haftet und Schmerzensgeld zahlen muss. Zudem hat das Krankenhaus im Falle von überflüssigen Therapien – im Gegensatz zu sonstigen Arztfehlern – das Ärztehonorar zurückzuerstatten. Die Aussage, dass Patienten eine schnelle Lösung suchen würden, ist nur bedingt richtig. In der Regel wollen die Patienten eine schnelle aber auch eine nachhaltige Lösung. Die Versteifungsoperation nach einer Bandscheibenentfernung führt dagegen i.d.R. zu einer nur kurzfristigen Behebung der Schmerzen. Später entstehen die gleichen Probleme wie vorher nur an den benachbarten Bandscheiben (vgl. Bericht des NDR, aaO). Weitere Versteifungsoperationen werden notwendig. Hiernach führt die erste überflüssige und damit fehlerhafte Operation zu Folgeoperationen, an denen das Krankenhaus dann nochmals gut verdient. Dies bedeutet, dass bei den Krankenhäusern ein hoher finanzieller Anreiz besteht, überflüssige Operationen durchzuführen. Wehrt sich der Patient nicht, wird sich das Phänomen der überflüssigen Operationen immer weiter verbreiten.
Eine überflüssige Operation führt nur dann nicht zu einem Schadensersatzanspruch, wenn die Klinik den Patienten eingehend über die alternativen Therapieoptionen und über die jeweiligen Risiken aufgeklärt hat. Da der Patient auch eine nachhaltige Lösung sucht, hat der Arzt auf die möglichen Risiken von Folgeoperationen und von Zustandsverschlechterungen aufzuklären. Oft wird allerdings die Rückenoperation als einzige Möglichkeit zur Schmerzfreiheit dargestellt, so dass die Aufklärung fehlerhaft und die Einwilligung in diese Operation unwirksam ist.
Das Aufklärungsgespräch wird mit Hilfe eines Aufklärungsformulars geführt, das vom Patienten zu unterschreiben ist. In der Regel heißt es darin, dass über alle alternativen Methoden aufgeklärt worden sei und auch über die Risiken des Eingriffs. Höchst problematisch ist, dass viele Patienten sich gar nicht im Klaren darüber sind, was diese Unterschrift rechtlich bedeutet. Kaum einer liest den Aufklärungsbogen wirklich durch. Insofern verwundert es nicht, dass die Patienten sich auf Operationen einlassen, die nicht notwendig sind und hinterher über die Folgeprobleme völlig überrascht sind und eine Leidensodyssee mitmachen, die mittels der richtigen Behandlungsmethode hätte verhindert werden können.
Juristisch ist anzuraten, drei Monate vor einem Eingriff eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen. Falls der Eingriff glückt, kann diese wieder gekündigt werden. Erfahrungsgemäß wehren sich Patienten ohne Rechtsschutzversicherungen sehr selten gegen Arztfehler. Die Prozesse sind langwierig und teuer. Außerdem ist die Gesundheit so weit geschädigt, dass häufig keine Kraft für einen solchen Prozess übrig bleibt.
Jeder Patient sollte sich allerdings die Zahlen aus den zitierten Berichten vor Augen führen. Wenn vier von fünf Operationen überflüssig sind, dann sind auch diejenigen am Fortbestand eines auf Kosten des Patienten bestehenden Systems verantwortlich, die sich nicht gegen Ärztepfusch und überflüssige Eingriffe wehren. Man bedenke auch, dass die Kosten der vier von fünf Eingriffen nicht entstanden wären und die Krankenkassenbeiträge ohne solche Operationen geringer sein dürften.
Köln, den 08.12.2011
Christian Lattorf
Rechtsanwalt für Patienten
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