fit und munter - Kinoerfahrungen im Blickpunkt der Wissenschaft

fit und munter

Kinoerfahrungen im Blickpunkt der Wissenschaft


Wer ins Kino geht, erwartet meist Action,
Leidenschaft oder schlicht Comedy - doch die Lichtspielhäuser waren
auch immer schon Orte der Wissensvermittlung. Solche Aspekte
untersucht unter Beteiligung der Universität Bonn das
Forschungsnetzwerk "Erfahrungsraum Kino", das von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Die überwiegend jungen
Wissenschaftler beleuchten außerdem das Kino als sozialen Raum und
die Rolle der neuen Medien.

"Heute stehen Wissenssendungen hoch im Kurs, doch die Bemühung,
Wissenschaft auch im Kinofilm darzustellen, gibt es seit die Bilder
laufen lernten", sagt die Film- und Medienwissenschaftlerin Prof. Dr.
Ursula von Keitz von der Universität Bonn, eine der Initiatoren des
DFG-Forschungsnetzwerks "Erfahrungsraum Kino". Die frühen Kinofilme
hatten nicht nur künstlerische oder unterhaltsame Qualitäten, sie
sollten auch praktische Lebenshilfe vermitteln. So klärte der
Ufa-Kulturfilm "Falsche Scham" von 1926 populärwissenschaftlich über
Geschlechtskrankheiten auf. "Es handelt sich dabei um eine Mischung
aus Dokumentation und Spielszenen in Form von Episoden aus dem
Tagebuch eine Arztes", berichtet Prof. von Keitz.

Verbreitet waren auch Lehrfilme für den Hochschulbetrieb: "Die
Bewegung des Gaumensegels beim Schlucken und Sprechen" heißt etwa ein
Streifen, der 1955/56 von der HNO-Klinik Tübingen produziert und über
das Göttinger Institut für den wissenschaftlichen Film vertrieben
wurde. Im Archiv des Arbeitsbereichs "Phonetik und sprachliche
Kommunikation" der Universität Bonn liegt eine Kopie vor. "Die
Lehrfilme wurden eingesetzt, weil sich beispielsweise damit das
Wissen über medizinische Inhalte leichter unter Studierenden
verbreiten ließ", sagt die Bonner Filmwissenschaftlerin.

Chirurgen operierten mit einer Kamera über dem OP-Tisch

Chirurgen operierten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit
einer Kamera über dem OP-Tisch, die sie dank eines Fußpedals bedienen
und damit besonders interessante Szenen des Eingriffs aufnehmen
konnten. "Das Bedürfnis, wissenschaftliche Themen und Inhalte zu
dokumentieren, führte auch zu zahlreichen filmtechnischen
Innovationen", sagt Prof. von Keitz. "So wurde der Zeitraffer zur
Dokumentation etwa des Wachstums von Pflanzen verwendet, während wir
ihn heute hauptsächlich von komischen Bewegungseffekten in
Spielfilmen kennen."

Wer ins Kino geht, huldigt einem Ritual

Neben der Bedeutung des Mediums für die Wissenschaftskommunikation
wird auch das Kino als sozialer Ort untersucht. "Wer ins Kino geht,
huldigt einem Ritual: Menschen verabreden sich, nehmen sich vor der
Leinwald als Gemeinschaft wahr und teilen ein Erlebnis", berichtet
Prof. von Keitz. "Hinterher setzen sich viele Zuschauer noch zusammen
und sprechen über den Film - das verstärkt die Eindrücke." Bücher
werden dagegen in der Regel alleine gelesen. "Auch Handy-Videos
vermitteln eher ein individuelles Erlebnis, dazu auf einem sehr
kleinen Bildschirm", sagt die Filmwissenschaftlerin. Das sei mit
einem Kinoerlebnis nicht vergleichbar.

Das Kino erfindet Bilder für sinnliche Eindrücke

Das Forschernetzwerk will außerdem ergründen, welche Rolle die
Sinnesreizung in Kinofilmen spielt. "Das Kino versucht, Bilder für
Emotionen - etwa Freude, Angst oder Ekel - zu finden", erläutert
Prof. von Keitz. Ein Paradebeispiel dafür ist der Streifen
"Notorious" (deutscher Titel: "Berüchtigt" und "Weißes Gift") von
Alfred Hitchcock. Ingrid Bergman in der Hauptrolle soll allmählich
vergiftet werden. Ihre zunehmende Schwächung wird durch eine
intelligente Kameraführung visuell umgesetzt: Als ein schwankendes,
verzerrtes Bild, wie es aus der Perspektive der halb ohnmächtigen
Frauenfigur gesehen würde.

Sechs Arbeitstreffen an verschiedenen Orten

"Das Forschungsnetzwerk Erfahrungsraum Kino fokussiert das Thema
aus verschiedenen Blickwinkeln", sagt Dr. Florian Mundhenke,
Juniorprofessor für Mediale Hybride an der Universität Leipzig. "Dazu
gehört, wie die neuen Medien mit den traditionellen Lichtspielhäusern
konkurrieren und sie beeinflussen." Prof. Mundhenke ist Sprecher des
Netzwerks und hat den Förderantrag gestellt. Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) stellt für Reise- und Sachkosten 25.000
Euro zur Verfügung. "Mit der Förderung des Forschungsnetzwerks
ermöglicht die DFG vor allem Nachwuchswissenschaftlern den
ortsübergreifenden themenbezogenen Austausch", sagt Prof. Mundhenke.
Am Netzwerk "Erfahrungsraum Kino" sind Wissenschaftler aus Zürich,
Berlin, Mainz, Siegen, Bochum, Leipzig und Bonn beteiligt.

Sechs Arbeitstreffen an verschiedenen Orten und eine
internationale Abschlusskonferenz in Berlin sind für die nächsten
drei Jahre geplant. Im Herbst 2012 findet ein Netzwerktreffen in Bonn
zum Thema "Wissensvermittlung und Sinneserleben im und durch Filme"
statt, das Prof. von Keitz veranstaltet. Die Ergebnisse des
Netzwerkprojektes sollen abschließend in einer Publikation
dokumentiert werden.

Ein Foto zu dieser Pressemitteilung finden Sie unter:
http://www3.uni-bonn.de/Pressemitteilungen/352-2011



Pressekontakt:
Prof. Dr. Ursula von Keitz
Universität Bonn
Institut für Sprach-, Medien- und Musikwissenschaft
Abteilung Medienwissenschaft
Tel. 0228/735635 oder 734746
E-Mail: keitz@ifk.uni-bonn.de

Juniorprof. Dr. Florian Mundhenke
Universität Leipzig
Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft
Tel.: 0341/9735703
E-Mail: mundhenke@uni-leipzig.de
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