THYRNAU-KELLBERG - Für Krebspatienten mit Tumorerkrankungen haben ostbayerische Rehabilitationsmediziner eine "maßgeschneiderte" Schmerztherapie entwickelt, mit der bis zu 80 Prozent der Patienten schmerzfrei werden. "Kein Mensch muss unnötig Schmerzen hinnehmen oder erdulden", sagt Klinikleiter Prof. Dr. med. Hannes Schedel von der gleichnamigen Klinik im niederbayerischen Kellberg (Lkr. Passau). Mit zwölf Ärzten und 125 Mitarbeitern zählt das 205-Betten-Haus zu einer der größten Einrichtungen für die Versorgung onkologischer Patienten im südostbayerischen Raum.
Mehr als 420.000 Menschen in Deutschland erkranken jährlich an Krebs. Etwa ein Drittel aller von Krebs Betroffenen leidet nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie bereits in einem frühen Stadium der Erkrankung an Schmerzen. Im weiteren Verlauf sind es bis zu 90 Prozent. Oberstes Ziel der rund dreiwöchigen Therapie ist laut Angaben von Prof. Dr. med. Hannes Schedel die "Schmerzfreiheit" der Patienten.
Die Rehabilitationsexperten orientierten sich neben den Standard-Leitlinien an einer "maßgeschneiderten" individuellen Betreuung für jeden einzelnen Patienten. "Nur wenige Tumorpatienten haben immer gleich starke Schmerzen. Diese sollen bei möglichst wenigen Nebenwirkungen gelindert werden", so beschreibt Schedel die Aufgabe. Gleichzeitig sei es wichtig, vorher abzuklären, ob die Tumorerkrankung oder die Therapie die Schmerzen verursacht. Außerdem spiele es eine Rolle, ob akute oder chronische Schmerzen behandelt werden müssen.
Die Kombination der möglichen Methoden "unter einem Dach" ist laut Schedel bundesweit nur in wenigen Rehabilitationseinrichtungen mit einer solchen Streubreite möglich. Die Präsenz der therapeutischen Streuung reiche von Krebsspezialisten, Anästhesisten über Diabetologen bis hin zu Physiotherapeuten und physikalischen Therapeuten. Psychologen und Therapeuten helfen, den Umgang des Patienten mit der Krankheit zu bewältigen. "Gut zuhören, gut fragen und das Thema gut beherrschen ist die Voraussetzung", so Schedel.
"Der Schmerzpatient benötigt ein Betreuerteam, das die vorgeschlagene Therapie umsetzt." Die Effizienz werde vom Patienten anhand einer regelmäßigen Verlaufsdokumentation erfasst. "Kurze Wege und die Nähe zu den Therapeuten sind dabei sehr hilfreich", resümiert der Klinikleiter. Wie klinische Tests ergaben, lassen sich mit solchen Behandlungsprogrammen länger anhaltende positive Effekte erzielen. Die Lebensqualität der Patienten verbessere sich und die Arbeitsfähigkeit werde wiederhergestellt.
Im Verlauf der Erkrankung entwickeln laut Chefarzt Dr. Markus Higi rund 50 bis 70 Prozent aller Krebspatienten Tumorschmerzen. Wenn etwa ein Tumor auf die Nervenbahn drückt, müsse für eine Übergangszeit ein Schmerztherapiekonzept umgesetzt werden. Die Region sei zwar bestrahlt worden, aber der Bestrahlungseffekt noch nicht eingetreten. "Die Zwischenzeit muss überbrückt werden." Gerade beim onkologischen Patienten sei es essentiell, so Higi, die Behandlung zwischen der eigentlichen Tumortherapie und der Schmerzkontrolle abzustimmen.
Schmerzen sind messbar
Patienten dokumentieren Higi zufolge die Schmerzstärke in einem Schmerztagebuch. In einer Skala von 0 (keine Schmerzen) bis 10 (stärkste Schmerzen) werde die empfundene Stärke eingetragen. Dies sei vor allem in der medikamentösen Einstellungsphase eine wichtige Richtgröße für das Schmerzmanagement. Je nach Wert können die Mediziner abschätzen, ob die Dosis erhöht oder ein stärker wirkendes Medikament eingesetzt werden soll. So können Arzt und Patient gemeinsam verfolgen, ob die Therapie anschlägt. Ein festes Zeitschema sei für eine optimierte Schmerztherapie von Vorteil, sagt der Mediziner, da Arzneimittel und die verschiedenen Verfahren unterschiedlich lang wirken.
Starke Schmerzmittel
Zu den Spezialisten gehören auch Ärzte, die für den Einsatz von starken Schmerzmitteln und deren komplexen Wechselwirkungen die nötigen Erfahrungswerte mitbringen. "Der Einsatz von starken Schmerzmitteln oder Entzündungshemmern ist für gewisse Zeit notwendig, um einer chronischen Ausbreitung vorzubeugen", sagt Klinik-Chefarzt Dr. Higi. "Aushalten" von Tumorschmerzen sei der falsche Weg. "Schmerzen lähmen den Patienten und entziehen seinem Körper die Kraft."
Schmerzgedächtnis auslöschen
Wenn akuten Schmerzen nicht effektiv gegengesteuert wird, so der Chefarzt, können sie chronisch werden. Ein Schmerzgedächtnis entwickelt sich, wenn die Nervenbahnen auf bereits bekannte Impulse schnell und überschießend zu reagieren lernen. "Mit der Zeit braucht die Bahn dann keinen Auslöser mehr, es reicht schon ein Gedanke, ein minimaler Reiz, und die Schmerzbahnen werden aktiviert." Dieser Aufbau eines Schmerzgedächtnisses mit besonders intensiven und lang anhaltenden Schmerzen müsse medikamentös verhindert werden.
Kombination entscheidend
Der optimale Mix aus Medikamenten, Entspannungstechniken und physikalischen Verfahren sei die Basis für einen Erfolg der dreiwöchigen Rehabilitationsmaßnahme, weiß Klinikleiter Prof. Dr. Schedel. Entscheidend sei immer das biologische Verhalten der Tumorregion. Wenn die Tumortherapie schnell anspreche, sich die Tumormasse verkleinert, lässt sich die Schmerzfreiheit meist schneller erreichen. Schreitet das Tumorwachstum fort, werde die schnelle Schmerzkontrolle allerdings schwieriger. Dennoch müssen die Rehabilitationsexperten innerhalb von 21 Tagen ein passendes Programm konzipieren und umsetzen. "Damit rücken wir Schmerzen meistens erfolgreich zu Leibe", so der Klinikchef.