Heidelberg - Wirkstoffe, die die Immunabwehr unterdrücken und gleichzeitig Virusinfekte in Schach halten, wären ein ideales Medikament für Empfänger von Organtransplantaten. Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum wiesen nun für bestimmte Substanzen mit einem solchen Wirkprofil nach, dass sie die Zellen in einen Stresszustand versetzten, der die Vermehrung von Hepatitis B-Viren begünstigt.
Menschen, die ein Spenderorgan erhalten haben, sind dauerhaft auf Medikamente angewiesen. Die Wirkstoffe sollen ihre Immunabwehr davon abhalten, das fremde Gewebe zu attackieren. Das gedämpfte Abwehrsystem lässt jedoch viele Infektionserreger zur Gefahr werden. Infektionen, etwa mit Cytomegalieviren oder bestimmten Polyomaviren, nehmen bei Transplantatempfängern häufig einen komplizierten Verlauf. Für diese Menschen wären daher Substanzen, die das Immunsystem dämpfen und gleichzeitig Virusinfekte in Schach halten, besonders vorteilhafte Medikamente - könnte man so doch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Gemeinsam mit Kollegen aus der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg testeten die Professoren Karin und Felix Hoppe-Seyler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum nun verschiedene Medikamente mit einem solchen Wirkprofil. Sie prüften die Substanzen unter anderem an Hepatitis B-Virus (HBV)-infizierten Leberzellen in der Kulturschale. Das Ergebnis: Behandelte Leberzellen produzierten sogar deutlich mehr Virusnachkommen als unbehandelte.
Die untersuchten Substanzen blockieren die Synthese von Erbgutbausteinen. Darauf beruht ihre immundämpfende Wirkung: Sie verlangsamen die Vermehrung der Immunzellen, die mangels Baumaterial ihr Erbgut nicht mehr verdoppeln können. "Der Mangel an Erbgutbausteinen kann in bestimmten Zellen eine Art von Stress auslösen, der sich darin äußert, dass ein Stressprotein namens p38 aktiviert wird", erklärt Felix Hoppe-Seyler. "p38 aktiviert in Leberzellen sehr wirkungsvoll die Vermehrung von Hepatitis B-Viren".
Die Ergebnisse der DKFZ-Forscher sind ein deutlicher Hinweis, dass der Einsatz dieser Medikamente bei Transplantatempfängern Risiken birgt. Gerade Lebertransplantationen werden oft deshalb erforderlich, weil das eigene Organ von Hepatitis B-Viren zerstört wurde. In diesen Fällen könnte eine Aktivierung noch im Körper vorhandener HBV durch Medikamente dazu führen, dass das Spenderorgan sogleich wieder von Hepatitis-Viren attackiert wird.
Felix Hoppe-Seyler hegt jedoch den Verdacht, dass neben den drei untersuchten Medikamenten auch andere Substanzen bewirken, dass p38 aktiviert wird. "Bei Krebspatienten, die eine Chemotherapie erhalten, kommt es oft zur Reaktivierung chronischer HBV-Infektionen. Das schob man bislang immer auf das geschwächte Immunsystem. Wir wollen nun prüfen, ob nicht auch hier eine Aktivierung des Stressproteins p38 dahinter steckt", schildert der Virologe die Ziele seiner weiteren Forschung.
Karin Hoppe-Seyler, Peter Sauer, Claudia Lohrey und Felix Hoppe-Seyler: The Inhibitors of Nucleotide Biosynthesis Leflunomide, FK778, and Mycophenolic Acid Activate Hepatitis B Virus Replication In Vitro. Hepatology, 2012, DOI: 10.1002/hep.25602
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BU: Elektronenmikroskopische Aufnahme von Hepatitis B-Viren. Thomas Bock, Hanswalter Zentgraf, Deutsches Krebsforschungszentrum.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Ansätze, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Das Zentrum wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
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