fit und munter - Umdenken in der Therapie der Alkoholabhängigkeit gefordert

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Umdenken in der Therapie der Alkoholabhängigkeit gefordert

Millionen Betroffene und Milliarden Euro Folgekosten erfordern aktives Handeln
Berlin, 13. Februar 2012 – Die Alkoholabhängigkeit bei Erwachsenen ist ein immer größer werdendes, gesellschaftliches Problem, das sich durch alle sozialen Schichten zieht. Mit ca. 1,6 Mio. Betroffenen zählt sie zu den häufigsten Suchterkrankungen in Deutschland; über 9 Mio. Erwachsene konsumieren Alkohol bereits in riskanter Form. Dennoch ist diese weit verbreitete Erkrankung des Zentralen Nervensystems (ZNS) immer noch ein Tabuthema und verkanntes Problem in der Gesellschaft. Unter dem Dach der Berliner Oberberg Stiftung fand daher am 26. Januar in Berlin die Veranstaltung „AktivA – Symposium für eine aktive Alkoholtherapie“ statt. Ziel des Symposiums war es, das Thema Alkoholabhängigkeit bei Erwachsenen auf die öffentliche Agenda zu setzen sowie eine gesundheitspolitische und gesellschaftliche Einordnung vorzunehmen. Deutlich wurde: Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Alkoholabhängigkeit sind enorm – und zeigen einen akuten Handlungsbedarf auf.

Die öffentliche Debatte konzentriert sich häufig auf den steigenden Alkoholkonsum bei Jugendlichen – obwohl die Zahlen bei den Erwachsenen wesentlich alarmierender sind. Ca.1,6 Mio. Erwachsene sind in Deutschland statistisch als alkoholabhängig erfasst, lediglich 10 Prozent davon befinden sich in therapeutischer Behandlung. Rund 80 Prozent erleiden innerhalb der ersten beiden Jahre nach Therapie einen Rückfall. Zudem konsumieren rund 9,5 Mio. Menschen in Deutschland Alkohol bereits in gesundheitlich riskanter Form.

„Vereinter sozialer Angriff gegen den Alkoholismus“

Günter Danner, PhD, stellvertretender Direktor der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung in Brüssel, sieht im steigenden Alkoholmissbrauch eine zusätzliche Belastung der bereits angespannten sozialen Sicherungssysteme. Deutschland sei zwar im europäischen Vergleich besser aufgestellt als viele andere EU-Mitglieder, aber „…auch wenn Deutschland weit mehr unternimmt als das europäische Umfeld, müssen wir die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein für das Problem Alkoholismus schärfen. Im Zuge knapper Kassen entsteht eine Krankheitskonkurrenz, die nicht zu Lasten der Alkoholkranken gehen darf. Deutschland muss seine staatsfernen Sozialstrukturen bewahren. Wir brauchen einen vereinten sozialen Angriff gegen den Alkoholismus.“

Riskanter Alkoholkonsum: volkswirtschaftliche Kosten von rund 26 Mrd. Euro

Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Wasem, Inhaber des Lehrstuhls für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen, machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass die ökonomische Belastung durch die Alkoholabhängigkeit in Deutschland ein erhebliches Ausmaß erreicht hat – wenngleich bislang nur wenige belastbare wissenschaftliche Studien zu diesem Thema vorlägen und noch ein erheblicher Forschungsbedarf bestehe. Dr. rer. pol. Rüdiger Meierjürgen, Leiter des Bereichs Prävention der Barmer GEK in Wuppertal, beziffert die volkswirtschaftlichen Zusatzkosten durch riskanten Alkoholkonsum auf rund 26 Mrd. Euro. So seien beispielsweise die alkoholbedingten Fehlzeiten am Arbeitsplatz nach Meierjürgens eigenen Unternehmensberechnungen rund dreimal so hoch wie bei gesunden Beschäftigten. Darüber hinaus berge ein riskanter Alkoholkonsum eine enorme Co-Morbidität: unter anderem leiden ca. 40 Prozent der an Alkoholabhängigkeit Erkrankten zeitgleich unter Depressionen.

Reduktion des Alkoholkonsums: effektive und attraktive Therapie

Diesen gesellschaftspolitischen Dimensionen kann im Behandlungsalltag nicht länger die alleinige Forderung nach Abstinenz gegenüberstehen. Die derzeit geringe Therapie- und hohe Rückfallquote zeigen deutlich, dass ein Umdenken in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit erfolgen muss. Nicht zuletzt, weil die Abstinenz als alleiniges Therapieziel dem komplexen Krankheitsbild und den unterschiedlichen Krankheitsverläufen der Patienten nicht gerecht wird. Prof. Dr. med. Jens Reimer, Direktor des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg, befürwortet daher „niedrigschwellige Interventionen“, mit Hilfe derer Betroffene bereits in einem frühen Stadium des riskanten Alkoholkonsums Unterstützung bei der Reduktion ihres Konsums angeboten werden können. Eine Alkoholtherapie müsse nicht nur effektiv, sondern auch attraktiv für die Betroffenen gestaltet sein. Denn oft könne eine stufenweise Reduktion des Alkoholkonsums für Patienten ein realistischerer und erfolgversprechenderer Therapie-Ansatz sein, so der Tenor der Diskussion. Zudem belegen wissenschaftliche Studien, dass eine Reduktion des Alkoholkonsums das Risiko alkoholbedingter Schädigungen verringert und gleichzeitig mit einem messbaren Gewinn an Gesundheit verbunden ist. Jürgen Wasem betonte darüber hinaus, dass bereits allein die Reduktion von einem sehr hohen auf einen hohen Alkoholkonsum auch zu einer maßgeblichen Kostenentlastung führen kann.

Alkoholabhängigkeit: eine chronische ZNS-Erkrankung

Neben der geforderten notwendigen Therapiealternativen sei jedoch auch die Vernetzung zwischen Behandlung und Rehabilitation in Deutschland nicht ausreichend, so Suchtmediziner Reimer. Diese „Schnittstellenproblematik“ müsse gelöst werden. In diesem Zusammenhang sieht er auch die mangelnde Sensibilisierung vieler Hausärzte für die Alkoholabhängigkeit als chronische ZNS-Erkrankung als besonders problematisch. Diese sei neben einem aktiveren Umgang der Betroffenen mit ihrer eigenen Erkrankung enorm wichtig, um frühzeitig Präventionsmaßnahmen bei erkennbarem riskantem Alkoholkonsum zu ergreifen. „Eine flächendeckende Diagnostik und Basistherapie der Alkoholerkrankung ist im hausärztlichen Bereich möglich, wird aber nicht ausreichend genutzt. Durch eine bessere Vernetzung der Hausärzte mit der Suchthilfe könnte die frühe Behandlung der Alkoholerkrankung deutlich verbessert werden“, so Reimer.

Langfristiger Diskurs angestrebt

Das AktivA-Symposium soll nun auf Wunsch der Teilnehmer in eine Initiative münden, die einen langfristigen Diskurs zu an Schadensminimierung orientierten Therapiezielen anstrebt und alle Betroffenen einbindet. Denn nur ein aktiver und offener Umgang mit der ZNS-Erkrankung Alkoholabhängigkeit trägt dazu bei, dieses gesamt-gesellschaftliche Problem nachhaltig und langfristig erfolgreich anzugehen.

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