Muskeln, Sehnen, Bänder und 23 Bandscheiben stellen flexible Verbindungen zwischen insgesamt 33 bis 34 Wirbeln her – so lautet die vermeintlich einfache Erklärung der Wirbelsäule. Tatsächlich stellt sich der Rücken allerdings als sehr komplexes Gebilde dar. Wie funktioniert das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren, was verursacht Schmerzen und was tut dem Rücken gut? Fragen wie diese weiß Dr. Reinhard Schneiderhan, Orthopäde aus München und Präsident der Deutschen Wirbelsäulenliga, zu beantworten. Mit dem Rücken-ABC erläutert er Fachbegriffe, Ursachen, Symptome, Maßnahmen und mehr rund um das Rückgrat.
Häufige Beschwerden
Verschiedene Krankheiten können die Beweglichkeit im Rücken einschränken und Schmerzen verursachen. So leiden beispielsweise viele Patienten unter Arthrose, also einem Verschleiß der Wirbelkörper. Als Ursache gelten meist schlechte Körperhaltung, Extremsport oder falsches Heben. Auch Bandscheibenvorfälle können durch solches Fehlverhalten entstehen. „Dabei dringt aus der Bandscheibe Gallertmasse heraus, welche den Rückenmarksnerv bedrängt und starke Schmerzen verursacht“, beschreibt Dr. Schneiderhan. „Bestehen Beschwerden länger als drei Monate, sprechen wir von chronischen Schmerzen.“ Gut zu wissen: Spezialisten bezeichnen einen Bandscheibenvorfall auch als Diskushernie.
Gesundes Rückgrat
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Rückengesundheit. Dr. Schneiderhan sagt: „Ungesunde Ernährung wie der häufige Konsum von Fast Food und süßen Getränken schwächt die Knochen. Vitamin D und Calcium, beispielsweise in Milchprodukten, stärken das Skelett.“ Fehlbelastungen wirken sich schnell negativ auf die Wirbelsäule aus. Eine schiefe Haltung, schweres Heben mit gekrümmtem Rücken und mangelnde Bewegung schaden Knochen und Gelenken, aus denen auch die Wirbelsäule besteht. Daher sollten Menschen manche Verhaltensmuster überdenken, um den Rücken nicht zu überfordern.
Hexenschuss und Ischias
Auch der Hexenschuss zählt zu den häufigen Erkrankungen am Rückgrat. „Er tritt plötzlich in der Lendenwirbelsäule oder dem Nacken auf und verursacht akute Beschwerden“, erklärt Dr. Schneiderhan. „Oft wird er durch eine falsche Bewegung ausgelöst.“ Ebenfalls in hoher Zahl zeigen sich Schmerzen am Ischiasnerv. Instabile Wirbel, Bandscheiben oder knöcherne Vorsprünge engen sensible Nervenstränge ein und verursachen manchmal sogar Taubheitsgefühle oder Lähmungserscheinungen in Bein und Fuß. Patienten können diesen Erkrankungen vorbeugen, indem sie sich bei Aktivitäten wie beispielsweise Joggen, Schwimmen oder Radfahren regelmäßig bewegen.
Form der Wirbelsäule
Von der Seite betrachtet, weist die Wirbelsäule eine flache S-Form auf. Auf Höhe der Brustwirbel krümmt sie sich nach hinten, an Hals- und Lendenwirbeln nach vorne. Erstgenannte Krümmung bezeichnen Orthopäden als Kyphose. „Verstärkt sich die normale Beugung, kommt es zu einem starken Rundrücken, einer sogenannten Hyperkyphose“, erläutert Dr. Schneiderhan. „Das Gegenteil einer Kyphose stellt die sogenannte Lordose dar, also die Krümmung der Wirbelsäule nach vorne.“ Auch hier kann es eine zu starke Beugung geben. Dann liegt ein Hohlkreuz – in der Fachsprache Hyperlordose genannt – vor, das oft zu Fehlbelastungen der Wirbel führt und damit starke Schmerzen verursacht.
Verschiedene Spezialisten
Diagnosen stellen Experten häufig mithilfe eines Magnetresonanztomografen, kurz MRT. Dieses bildgebende Verfahren ermöglicht es, Gewebe und Organe des menschlichen Körpers darzustellen und so krankhafte Veränderungen zu erkennen. An der Behandlung von Beschwerden beteiligen sich oft mehrere Fachleute. Dr. Schneiderhan sagt: „Neurochirurgen beschäftigen sich mit dem Nervensystem, beispielsweise in Gehirn und Rückenmark. Denn manche Rückenschmerzen lassen sich auf Störungen der Nervenleitungen zurückführen.“ Betrifft eine Erkrankung jedoch Gelenke, Knochen oder Muskeln, übernimmt ein Orthopäde die Behandlung. Neben einer Schmerztherapie führt dieser, wenn nötig, minimalinvasive Eingriffe durch, um Patienten von ihren Leiden zu befreien. Oft arbeiten diese Spezialisten Hand in Hand mit Physiotherapeuten, um Beschwerden zum Beispiel mithilfe von Krankengymnastik und Massagen zu behandeln.
Rückenfreunde
Um quälende Rückenschmerzen zu vermeiden, empfiehlt es sich, einige grundlegende Verhaltensmuster zu beachten. Unter anderem schadet beispielsweise Rauchen der Rückengesundheit stark, da die Bandscheiben notwendige Nährstoffe durch das Nikotin nur erschwert aufnehmen. Auch zu wenig Bewegung wirkt sich negativ auf die Wirbelsäule aus. „Patienten sollten deshalb regelmäßigen Sport in ihren Alltag integrieren“, erklärt Dr. Schneiderhan. Außerdem besonders wichtig für ein gesundes Rückgrat: ausreichendes Trinken. Mindestens 1,5, besser 2 Liter Flüssigkeit sollte der Mensch über den Tag verteilt zu sich nehmen. Sonst verlieren Gewebe und Bandscheiben zu viel Wasser und damit Elastizität.
Ursachen
Rückenschmerzen lassen sich auf verschiedene Ursachen zurückführen. Beispielsweise kann ein Unfall Beschwerden auslösen. „Wenn Patienten stürzen oder einen Autounfall haben, kann es häufig zu einem Schleudertrauma oder Wirbelbruch kommen“, erläutert Dr. Schneiderhan. „Aber auch Verschleißerscheinungen verursachen oft starke Schmerzen.“ Falsche Haltung über viele Jahre kann zu behandlungsbedürftigen Abnutzungen führen. Beide Ursachen bedingen oft eine Verminderung der Bandscheiben oder Wirbelkörper, die das Rückgrat stützen und Bewegungen abfedern.
Der kleine Unterschied
Auch unser Erbgut begünstigt bestimmte Rückenschmerzen: Frauen, die zwei X-Chromosomen besitzen, leiden häufiger unter Problemen im Bereich der Halswirbelsäule. Männer, die zusätzlich zum X- auch ein Y-Chromosom besitzen, betreffen hingegen eher Beschwerden an der Lendenwirbelsäule. Dies lässt sich oft mit unterschiedlichen Berufsfeldern erklären. Auf stehend arbeitende Frauen wirken andere Belastungen als auf Männer, die einen Beruf mit starkem Kraftaufwand ausüben. Dr. Schneiderhan rät: „Um das Rückgrat, ein Zusammenspiel aus vielen kleinen Bausteinen, zu schonen, gilt es also, falsche Bewegungen zu vermeiden, die Muskulatur zu stärken und für eine gute Versorgung der Bandscheiben zu sorgen. Dann steht einem schmerzfreien Leben nichts im Weg.“