IGeL-Monitor und Toxoplasmose-Test in der Schwangerschaft
Die Toxoplasmose wird durch das Protozoon Toxoplasma gondii verursacht. Das Dilemma einer Erstinfektion der Mutter während der Schwangerschaft besteht darin, dass es zu schweren Schädigungen des Kindes kommen kann, die Mutter selbst aber keine spezifischen klinischen Symptome aufweist. Aus diesem Grund kommt einer geeigneten serologischen Untersuchung (Screening) eine besondere Bedeutung zu, insbesondere dann, wenn eine Therapie zur Verfügung steht.
In seinem neuen Internet-Portal "IGeL-Monitor" hat der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. die individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) einer Bewertung unterzogen und Empfehlungen ausgesprochen. In die Kategorie "negativ" fiel, zusammen mit der Colon-Hydro-Therapie, Ultraschall der Eierstöcke und Bestimmung des Immunglobulin G (IgG) gegen Nahrungsmittel auch der Toxoplasmose-Suchtest bei Schwangeren. Entgegen der gängigen Lehrmeinung sind die Autoren des IGel-Monitor zu dem Schluss gekommen, dass "wir aus den vorliegenden Erkenntnissen keine Hinweise für einen Nutzen des Toxoplasmose-Suchtests für Schwangere ableiten" aber "auf der Grundlage der derzeitigen Studienlage sehen wir mindestens Hinweise für erheblichen Schaden, der sowohl die körperliche Gesundheit der werdenden Mutter und des Kindes bis hin zu induzierten Fehlgeburten sowie die psychische Gesundheit der Eltern während und nach der Schwangerschaft betreffen".
Für die Bewertung hat der MDS mehrere Publikationen, vor allem aus dem Ausland, einbezogen. Methodisch gibt es aus unserer Sicht zwar keine große Kritik, allerdings muss auf die z. T. sehr geringe Anzahl der in die Bewertung eingeschlossenen Studien hingewiesen werden. Bei der Evidenzsynthese wurde der Hinweis darauf, dass schwere Fälle einer konnatalen Toxoplasmose durch rechtzeitige Therapie zu vermeiden sind, unterbewertet, der negative Einfluss der Amniozentese für die deutschen Verhältnisse und die Prophylaxe durch Hygiene überbewertet.
Das Gesundheitsproblem und die Folgen einer konnatalen Toxoplasmose sind sicher höher, als im IGeL-Monitor angegeben. Die Dunkelziffer ist aufgrund der oft erst im höheren Lebensalter sich manifestierenden Retinochorioiditis mit Sicherheit sehr hoch. Mathematische Modelle gehen von mehr als 1.000 Betroffenen/Jahr in Deutschland aus.
Die für die Schwangere wesentlichen Übertragungswege sind in Deutschland bisher nicht bekannt. Der im IGeL-Monitor gemachte Verweis auf Hygienemaßnahmen als alleinige Infektionsprophylaxe lässt außer Acht, dass für viele fleischhaltige Nahrungsmitteln und ebenso frische, pflanzliche Lebensmittel die potentielle Infektionsgefahr derzeit nur schwer zu kalkulieren ist. Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass die als Infektionsprophylaxe geforderten strengen Hygienemaßnahmen für Schwangere nur schwer durchzuhalten sind und die Angst vor "falschen" Nahrungsmitteln eine große psychische Belastung darstellt. Auf die "Ängste der Eltern" im Hinblick auf das Toxoplasmose-Screening wurde in nur einer einzigen Studie eingegangen, so dass eine entsprechende Bewertung für den IGeL-Monitor auf nicht belastbarer Grundlage steht.
Beim Meinungsstreit über Wert und Aussagekraft von Screeningtests werden häufig, wie auch im IGeL-Monitor, zwei Zielsetzungen vermischt: das Erkennen der mütterlichen Infektion und die Folgen dieser Infektion für das ungeborene Kind: Das Schwangerschafts-Screening ist primär eine Maßnahme zum Erkennen einer mütterlichen Infektion. Aktuelle Daten aus Deutschland weisen darauf hin, dass nur noch ca. 20%-25% aller Schwangeren im 1. Trimenon eine Immunität besitzen (seropositiv) und bis zu 75% der Schwangeren ohne Immunschutz sind (seronegativ) (Enders et al., 2010). Für alle seronegativen Frauen besteht das Risiko einer Erstinfektion während der Schwangerschaft.
Im IGeL-Monitor wird die Wertigkeit der serologischen Testergebnisse angezweifelt. Entgegen der Angabe im IGel-Monitor kann eine frische Toxoplasma-Infektion jedoch durch einen geeigneten Screeningtest oder kombinierte IgG-/IgM-Untersuchung sehr früh erkannt werden. Die Qualität der Diagnose als Grundlage für die Therapieindikation, die primär auf dem Nachweis von Antikörpern beruht, ist in Deutschland hoch und unterliegt einer regelmäßigen externen Qualitätskontrolle (BA?K_Richtlinie_7_2011). Dabei wird in den entsprechenden Speziallaboren eine Spezifität und Sensitivität von nahezu 100% erreicht; eine Diagnose kann im Einzelfall durch weitere Methoden gesichert werden (Montoya und Remington. 2008). Qualitativ hochwertige Tests erfassen erste spezifische IgM-Antikörper bereits 1-2 Wochen und IgG-Antikörper meist 3-4 Wochen nach der Toxoplasma-Infektion. Entgegen den Angaben des IGeL-Monitors ist die "Fehlerrate" oder "Fälle, in denen der mütterliche Infektionsstatus falsch positiv diagnostiziert wurde", d.h. eine Relevanz für die Schwangerschaft nicht sicher auszuschließen war, gering. Die Fehlerrate kann maximal so hoch wie der Anteil der IgM-positiven Schwangeren sein. Dieser Anteil lag im Jahr 2005 zwischen 1,6% bis 2,5% (Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)" 2005/Uhlemann).
Wie bereits erwähnt, geben Toxoplasmose-Screeningtests keine Auskunft über das Risiko einer fetalen Infektion, sondern nur über den Immunstatus der Mutter. Marker aus mütterlichem Serum, die eine Risikoabschätzung für den Feten erlauben, stehen derzeit nicht zur Verfügung. Wie bei anderen pränatalen Infektionen (Röteln, Parvovirus, CMV) kann ggf. nur die invasive Pränataldiagnostik Untersuchungsmaterial liefern, welches bei positivem Erregernachweis eine fetale Infektion sichert. Allerdings wird in Deutschland - im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich und Österreich - eine invasive Diagnostik nicht routinemäßig empfohlen. So konnte kürzlich in einer Studie an mehr als 650 schwangeren Frauen mit Primärinfektion gezeigt werden, dass in Deutschland eine Amniozentese tatsächlich in nur etwas mehr als 10% der Fälle durchgeführt wird (Hotop et al., im Druck).
Anstelle der Fruchtwasseruntersuchung steht in Deutschland bei auffälliger serologischer Konstellation der Mutter die antibiotische Therapie im Vordergrund. In der Frühschwangerschaft (bis zur 16. SSW) steht Spiramycin zur Verfügung, ab der 16. SSW Pyrimethamin und Sulfadiazin (Kombinationstherapie). Die Kombinationstherapie wird ohne Nachweis der fetalen Infektion über mindestens 4 Wochen verabreicht. Nur bei auffälligem Ultraschallbefund und/oder Nachweis einer fetalen Infektion bzw. Infektion im 3. Trimenon wird die Kombinationstherapie bis zum Ende der Schwangerschaft durchgeführt. Auf diese speziellen deutschen Therapierichtlinien mit einer potenziell besseren Effizienz der Kombinationstherapie wurde im IGeL-Monitor nicht eingegangen.
In einer aktuellen Studie aus Deutschland konnte gezeigt werden, dass bei frühzeitigem Therapiebeginn innerhalb der ersten 4 Wochen die Häufigkeit klinischer Manifestationen bei ca. 15% liegt, während bei spätem Therapiebeginn nach der 8. Woche die Manifestationsrate auf ca. 70% ansteigt. Dabei wiesen alle infizierten, symptomatischen Kinder bei der Geburt nur geringfügige Veränderungen auf, die unter Therapie postpartal eine gute Prognose aufweisen. Keines der therapierten Kinder hatte Symptome, die zu einer klinischen Beeinträchtigung führte, und keines der Kinder wäre ohne Kenntnis der Anamnese bei der Geburt aufgefallen (Hotop et al., Clin. Infect. Dis., 2012). Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit einer kürzlich publizierten Arbeit aus den USA, in der gezeigt wurde, dass bei fehlender Therapie 85% der infizierten Kinder schwere klinische Symptome aufweisen (Olariu et al., 2011).
Was die unerwünschten Wirkungen durch Medikamente bei Mutter und Kind anbelangt, so bestätigt der IGeL-Monitor: "die Risiken durch die Therapie sind vermutlich nicht groß und Schäden eher unwahrscheinlich". Auch hier wurden in der o.a. Studie keine schweren Gesundheitsschäden durch die Therapie beobachtet.
Für eine abschließende Beurteilung der Therapieeffizienz fehlt die seit langem geforderte prospektive, randomisierte, vergleichende Studie mit Schwangeren. Eine solche Studie wurde in Frankreich vor kurzem gestartet (Laufzeit 2010-2015, ClinicalTrials.gov NCT01189448). Erst wenn die Ergebnisse dieser Studie verfügbar sind, kann abschließend darüber geurteilt werden, ob ein Toxoplasmose-Screening die Morbidität durch konnatale Toxoplasmose senken kann. Bis dahin ist es gerechtfertigt, bei vermuteter oder nachgewiesener, subklinischer oder klinischer Toxoplasma-Erstinfektion eine Therapie nach dem in Deutschland üblichen Schema durchzuführen. Leitlinien werden dann erarbeitet.
In Deutschland liegt bisher keine Leitlinie zur diagnostischen Vorgehensweise bzw. dem Screening vor. Wegweiser sind der RKI-Ratgeber, das Handbuch der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI; Schrod et al., 2009) und die Mikrobiologisch-infektiologischen Qualitätsstandards (MiQ).
In der Gesamtschau widersprechen wir daher der Empfehlung des MDS, den Toxoplasmose-Suchtest im IGeL-Monitor als "negativ" zu bezeichnen. Nach aktuellem Wissensstand kann davon ausgegangen werden, dass bei rechtzeitiger Diagnosestellung und daraus ableitender Therapie die Erstinfektion in der Schwangerschaft effizient behandelt und Schäden beim Kind vermindert werden können.
Literatur:
1. Enders M, Reiter-Owona I, Knotek F, Rilling V, Krczal D, Enders G. 2010. Seroepidemiology of Toxoplasma gondii infection in pregnant women from Southern and North-Western Germany and bone marrow donors. IVth International Congress on Congenital Toxoplasmosis (ICOCT). Marseille, France.
2. Hotop A, Hlobil H, Groß U. 2012. Efficacy of rapid treatment initiation following primary Toxoplasma gondii infection during pregnancy. Clin Infect Dis, 2012 Mar 29. [Epub ahead of print], doi: 10.1093/cid/cis234
3. Montoya JG, Remington JS. 2008. Management of Toxoplasma gondii infection during pregnancy. Clin Infect Dis 47:554-66.
4. Olariu TR, Remington JS, McLeod R, Alam A, Montoya JG. 2011. Severe congenital toxoplasmosis in the United States: clinical and serologic findings in untreated infants. Pediatr Infect Dis J 30:1056-61.
5. Schrod L., Groß U, Garweg J, Hlobil H, Prusa A, Reiter-Owona I, Rudin C. 2009. Toxoplasmose. In: DGPI (Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie) Handbuch, 5. Auflage, Thieme-Verlag, Stuttgart, S. 514-520.
Unterzeichner:
Prof. Dr. Uwe Groß, Nationales Konsiliarlabor Toxoplasma, Universitätsmedizin Göttingen
Prof. Dr. Sebastian Suerbaum, Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie, DGHM
PD Dr. Ionis Mylonas, Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, DGGG, AG für
Infektionen
Dr. Anton Aebischer, Robert-Koch-Institut, FG 16 - Mykologie, Parasitologie und intrazelluläre Erreger
Dr. Harald Hlobil, Toxoplasmose-Beratungslabor, Laborärzte Sindelfingen
Dr. Ingrid Reiter-Owona, Toxoplasmose-Beratungslabor / AG Toxoplasmose der PEG, Stellv. Ringversuchsleitung Toxoplasmose, INSTAND
Dr. Lorenz Leitritz, Berufsverband der Ärzte für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, BÄMI
PD Dr. Roswitha Bruns, Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, DGPI
PD Dr. Lothar Schrod, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Klinikum Frankfurt Höchst
Dr. Martin Enders, Toxoplasmose-Beratungslabor, Labor Prof. Gisela Enders und Kollegen, MVZ, Stuttgart