Die Begründung des abschlägigen Entscheids der
Strafvollstreckungskammer im Amtsgericht Augsburg gegen die Klage von
zwei Inhaftierten auf Substitutionsbehandlung ist - nach Einschätzung
des JES Bundesverbands - von fehlender Fachlichkeit und Neutralität
des Gerichts geprägt.
Die substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger stellt seit
mehr als 30 Jahren eine der erfolgreichsten Behandlungsformen der
Opiatabhängigkeit dar. In Deutschland werden aktuell ca. 80.000
Opiatkonsumenten substituiert. Die zumeist eingesetzten Medikamente
Methadon und Buprenorphin wurden in die Liste der unentbehrlichen
Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgenommen.
Folgt man den Begründungen der Beschlüsse, sieht das Gericht in
der Substitution keine Behandlungsform, die dazu beitragen kann, die
Inhaftierten bei einem zukünftigen Leben ohne Drogen zu unterstützen
und so einen Beitrag zu leisten, Delikte zur Beschaffung von
Betäubungsmitteln zu vermeiden.
Hiermit negiert das Gericht wesentliche medizinische und
psychosoziale Effekte der Opiatsubstitution. Die wissenschaftliche
Evidenz belegt, dass die Substitution Krisensituationen vorbeugt und
Suchtdynamiken reduziert, die sich unter anderen in einem
unkontrollierbaren Verlangen (Craving) nach dem Suchtstoff
ausdrücken. Sie beugt somit Rückfällen und damit potenziellen
kriminellen Handlungen nach der Haftentlassung vor.
Das Gericht wertet stattdessen die immer wiederkehrenden Versuche
des einen Gefangenen, sich Betäubungsmittel zu beschaffen, als für
die Substitution nachteilig und mutmaßt, dass der Konsum auch mit der
Substitutionsbehandlung nicht eingestellt würde. Stattdessen erklärt
das Gericht, dass der Gefangene die Chance nutzen solle, während der
Haftzeit Abstand von den Drogen zu gewinnen. Angesichts eines
40-jährigen Lebens mit einer Abhängigkeitserkrankung erscheint dieser
Rat als zynisch und negiert die Situation in Haft sowie das
Krankheitsbild des Antragstellers.
Die Haltung des Gerichts gegenüber dem Gefangenen und der
Substitutionsbehandlung kommt darin zum Ausdruck, dass das Gericht
die beleidigende, unsachliche und unfachliche Argumentation der JVA
Kaisheim stützt, die dem Antragsteller aufgrund seiner Abhängigkeit
eine "antisoziale Charakterstruktur" unterstellt.
"Es ist unfassbar, mit welchen Vorurteilen und Haltungen ein zur
Neutralität verpflichtetes Gericht dem Gefangenen gegenübertritt", so
Marco Jesse, Vorstand des JES Bundesverbands. "Drogenabhängigkeit
wird hier als charakterliches Defizit dargestellt. Diese Sichtweise
ist seit mehr als 30 Jahren wissenschaftlich ad absurdum geführt."
"Die fehlende Neutralität des Gerichts drückt sich auch darin aus,
dass es der Einschätzung der Ärzte der JVA Kaisheim, die keinerlei
Gründe für eine Substitutionsbehandlung sehen, umfänglich folgt und
der nachweislich fehlenden Fachkunde im Bereich der Suchtmedizin
keine Bedeutung beimisst", ergänzt Mathias Häde vom JES-
Bundesvorstand.
Nach Ansicht des JES Bundesverbands wird überdies völlig außer
Acht gelassen, dass Überdosierungen nach Haftentlassung ohne
begleitende Substitution ein maßgeblicher Faktor für Drogentodesfälle
sind und Substitution die Überlebenswahrscheinlichkeit von
Drogenkonsumenten nachweislich erhöht.
Der JES Bundesverband wird mit seinen Bündnispartnern aus Medizin,
Wissenschaft, Drogenhilfe sowie mit Patientenorganisationen alles
dafür tun, dass solche antiquierten und unfachlichen Urteile
deutscher Gerichte keinen Bestand haben und wird den Antragstellern
alle erdenkliche Unterstützung zur Anfechtung des Urteils zukommen
lassen.
Weitere Informationen:
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Pressekontakt:
Marco Jesse
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