(NL/1236292522) Sie waren nicht sonderlich einfallsreich, als es darum ging, dem Dachfonds einen Namen zu geben. Sie nannten ihn einfach „Premium Management Immobilien-Anlagen“, kurz PMIA. Ein paar Monate später, als sich die Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 zuspitzte, geschah etwas Sonderbares. Massenhaft riefen Commerzbank-Berater ihre Kunden an und drängten sie zum Kauf eben dieses „Premium“-Fonds. Ein Produkt aus dem Konzernverbund, empfohlen von einem Berater, dem man traute. Was soll da schon schief gehen, dachten sich Tausende und folgten dem Rat.
Manch ein Kunde stieß wie empfohlen den offenen Immobilienfonds Hausinvest ab und investierte stattdessen in den PMIA. Ein Fehler - wie sich später herausstellte. Denn der angepriesene Fonds fiel wenig später wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Im September 2010 schloss die Commerzbank wegen Liquiditätsproblemen den Fonds. 50.000 Kunden der Commerzbank sind betroffen. Mehrere hundert Millionen Euro Anlagegelder sind futsch. Der Kieler Rechtsanwalt Helge Petersen glaubt an keinen Zufall. Er vermutet, dass die Bank wohlüberlegt vorging: „Das kann nicht aus Versehen passiert sein.“ So sei die Bank nach einem Schema vorgegangen. Kunden seien am Telefon aufgefordert worden, dringend in die Filiale zu kommen. Er nennt das Vorgehen „hinterhältig“. Von tausenden Beschwerden und Schadenersatzklagen wurde die Commerzbank im Anschluss förmlich überrollt. Der Druck war so groß, dass die Verantwortlichen schließlich unter bestimmten Voraussetzungen eine Entschädigung anboten. Trotzdem blieben Kunden auf Verlusten sitzen. Die Bank entgegnet auf die Kritik: Grundsätzlich würden alle Kunden über die Chancen und Risiken umfassend informiert. Zu dem damaligen Zeitpunkt seien die Finanzkrise und das damit verbundene Risiko nicht absehbar gewesen. Immerhin seien neun von zehn Kunden auf das Entschädigungsangebot eingegangen, betont ein Sprecher des Unternehmens.
Jurist Petersen kritisiert zudem eine Hybridanleihe der Commerzbank. Diese riskanten Anleihen gab das Traditionshaus an Kunden mit einer unvorstellbaren Laufzeit von 500 Jahren aus. Sie sammelte damit 1,27 Milliarden Euro ein. Im Dezember 2011 beschloss der Vorstand, das Papier für 643 Millionen Euro von Anlegern zurückzukaufen. Also kurz bevor das Geschäftsjahr zu Ende ging, blieb ein Plus von über 600 Millionen Euro für das Institut. Manch ein Anleger verlor rund die Hälfte des Einsatzes. Der Verlust der Kunden sei der Gewinn für die Bank, meint Petersen. „Es ist eine Möglichkeit, selbst Geld zu drucken. Man freut sich, wenn der Kunde Geld verliert.“ Massenhaft gehen Anwälte gegen die Bank vor. Mitte April reichte beispielsweise die Bremer Kanzlei Sommerberg für einen Kunden, der mit einer solchen Anleihe die Hälfte seines Einsatzes verloren hat, Schadenersatzklage wegen Falschberatung ein. Rechtsanwalt André Krajewski kritisiert, dass sein Mandant, ein Kleinsparer, einen englischsprachigen Prospekt im Umfang von weit über 500 Seiten erhalten habe und damit völlig überfordert gewesen sei. Die Schrift sei wenige Millimeter klein, die Anleihebedingungen seien selbst für einen Wirtschaftsexperten nur mühevoll zu verstehen. Ein Sprecher der Bank entgegnet, dass niemand zur Rücknahme gezwungen sei, es handele sich um ein freiwilliges Angebot. Es gehe mit der Maßnahme darum, das Kernkapital der Bilanz zu stärken.
Solche Verfahren zehren am Image, sie können die Führungsspitze paralysieren. Konträr dazu liest sich der aktuelle Geschäftsbericht, der unter dem Motto „Mehr für unsere Kunden“ erscheint. Darin heißt es: „Die Zufriedenheit unserer Kunden steht im Mittelpunkt unserer Aktivitäten. Dafür setzt sich die Commerzbank uneingeschränkt ein und daran misst sich unser Erfolg.“ Das könnte sich in der Tat als Knackpunkt herausstellen. Denn im Geschäftsbericht wird gleichzeitig unter den größten Risiken der Verlust der Reputation aufgeführt. Die Führungsspitze weist ausdrücklich auf „die Gefahr eines Vertrauens- oder Ansehensverlusts der Commerzbank bei ihren Anspruchsgruppen aufgrund von negativen Ereignissen der Geschäftstätigkeit“ hin.
Seit dem Jahr 2000 stürzte die Aktie der Commerzbank von 35 Euro auf jetzt 1,65 Euro ab. Traurige 95 Prozent verlor der DAX-Titel. Willkommen in der Finanzkrise! Das Papierchen hüpft mittlerweile täglich wie ein Optionsschein in beide Richtungen. Die „Mittelstandsbank“ (Eigenwerbung) musste die Regierung mit 18 Milliarden Euro vor dem Konkurs beziehungsweise einer feindlichen Übernahme bewahren. Berlin ist nun mit 25 Prozent am Grundkapital beteiligt. Aktionäre haben Milliardensummen mit dem maroden Konzern verloren. Mehr noch: Durch Kapitalerhöhungen sind sie massiv verwässert worden. Ständig muss die Bank neue Aktien ausgeben. Nun gibt es 5,6 Milliarden Anteilsscheine - so viele wie nie zuvor. Auf der bevorstehenden Hauptversammlung am 23. Mai möchte der Vorstand die Ermächtigung erhalten, die Zahl der Anteilsscheine erneut zu verdoppeln. Die Verwässerung geht demnach weiter.
Die Börsenwaage zeigt nur 10,7 Milliarden Euro an. Dem steht ein Eigenkapital von 25 Milliarden Euro gegenüber. Börsianer billigen dem Traditionshaus bloß 37 Prozent des ausgewiesenen Buchwerts zu. Woran liegt diese Diskrepanz? Es gibt Befürchtungen, dass weitere Leichen im Keller liegen. Es stellt sich ohnehin die Frage, ob der Konzern langfristig unabhängig in dieser Form fortbestehen kann. Im Jahr 2008 hatten die Frankfurter einen Verlust von 6,5 Milliarden Euro erlitten. Fehlspekulationen und die Übernahme der Dresdner Bank waren die Ursache für das Desaster. Seither tauchen immer neue Löcher in der Bilanz auf.
Lichtblicke, dass das 1870 gegründete Institut eine seiner schwersten Krise übersteht, gibt es indes. Im ersten Halbjahr 2012 stellt Konzernlenker Martin Blessing ein operatives Ergebnis von 1,2 Milliarden Euro in Aussicht. In der zweiten Jahreshälfte peilt er ebenfalls ein positives Resultat an. Ob seine optimistische Prognose in Erfüllung geht, hängt natürlich auch von den Sanierungsfortschritten der kriselnden Euro-Staaten ab.
Die von der europäischen Bankenaufsicht EBA identifizierte Bilanzlücke in Höhe von 5,3 Milliarden Euro hat Blessing mit verschiedenen Maßnahmen gestopft. Darunter fällt etwa die für Anleger folgenschwere Umwandlung der Hybrid-Anleihe. Mitarbeiter erhalten Boni nicht mehr ausgezahlt, sondern müssen Aktien akzeptieren, um die Liquidität zu schonen. Die angeschlagene Immobilientochter Eurohypo wickelt Blessing ab, die EU gab grünes Licht hierfür. Nun ist die Kernkapital-Quote wie geplant erhöht und die Auflagen der Aufsichtsbehörde erfüllt worden, doch bleibt die Bilanz ein Buch mit sieben Siegeln.
Offiziell weist die Commerzbank 2010 und 2011 einen Überschuss von 1,4 Milliarden beziehungsweise 747 Millionen Euro aus. Doch fällt gleichzeitig der operative Cash Flow mit jeweils 14 Milliarden Euro knallrot aus. Kurzum, in dem Zahlenwerk stecken viele unterschiedliche Botschaften.
Für Außenstehende ist die Lage nicht zu durchschauen. Wie viele Staatsanleihen europäischer Wackelkandidaten wie Spanien oder Griechenland befinden sich noch in den Büchern? Wie ist es um die Bonität der Kunden bestellt? Weil sich die Details kaum klären lassen, gewährt die Konzernbilanz einen ersten Eindruck: So ist die Bilanz mit dem Faktor 27 gehebelt. Seit Jahren ist dieser extreme Hebel das Kernproblem. Zuletzt befanden sich 24 Milliarden Euro Eigenkapital in der Bilanz, während sich die Bilanzsumme auf 661 Milliarden Euro türmte. Damit ergibt sich eine lausige Eigenkapitalquote von ca. 3,6 Prozent. Im Umkehrschluss bedeutet dies: 96,4 Prozent des Geschäfts sind fremdfinanziert. Keine amerikanische Großbank kommt auf eine vergleichbar dürre Ausstattung. In Europa sind die Hessen mit diesem Problem nicht der einzige Branchenvertreter. Auch die Deutsche Bank hat mit 2,5 Prozent eine sehr niedrige Eigenkapitalausstattung und muss sich nun von Töchtern wie der internationalen Vermögensverwaltung trennen, um die Bilanz zu stärken.
Untergehen dürfte die Commerzbank vermutlich nicht. Ein Viertel des Grundkapitals befindet sich in Staatshand. Die Regierung hat ein Interesse an einer Rettung: Komme, was wolle. Sonst müsste sich Bundeskanzlerin Angela Merkel die Frage gefallen lassen, warum Steuergeld verschwendet und warum nicht von Anbeginn an einer Abwicklung des Kolosses hingearbeitet worden ist. Geht die zweitgrößte deutsche Privatbank pleite, besteht ferner die Gefahr, dass auf dem Finanzmarkt ein Chaos ausbricht. 15 Millionen Privatkunden und eine Million Geschäfts- und Firmenkunden wären betroffen. Es handelt sich also um eine systemrelevante Adresse. Für die Münchner Hypo Real Estate ordnete dagegen das Kabinett 2008 die Verstaatlichung an. Deren Ex-Chef Joachim Funke fühlt sich ungerecht behandelt. Funke kritisiert seither unentwegt, warum die Commerzbank nicht ebenfalls verstaatlicht wurde.
Tim Schäfer, New York
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