fit und munter - Inkontinenz: die tabuisierte Krankheit

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Inkontinenz: die tabuisierte Krankheit

Prof. Dr. Axel Heidenreich im Interviewüber eine weit verbreitete, aber in derÖffentlichkeit nicht thematisierte Erkrankung
Inkontinenz, also die mangelnde Fähigkeit, Darm oder Blase kontrolliert zu entleeren, ist weiter verbreitet als man meint. Wie viele Menschen sind betroffen?

Heidenreich: Das ist schwierig zu sagen, weil es eine hohe Dunkelziffer gibt. Fachleute gehen davon aus, dass sechs bis acht Millionen Menschen bei uns betroffen sind. Wenn man die Dunkelziffer berücksichtigt, ist die tatsächliche Zahl wohl bedeutend höher. Es handelt sich also durchaus um ein verbreitetes Krankheitsbild.

Wie entsteht die mangelnde Kontrolle über Blase und Darm?

Heidenreich: Die Ursachen sind vielfältig. Auslöser können Krankheiten wie Diabetes, medizinische Eingriffe oder auch Verletzungen infolge von Unfällen sein. Auch psychosoziale Faktoren, ein geänderter Lebensstil oder die Einnahme bestimmter Medikamente sind häufig die Ursache für Inkontinenz. Oft lösen auch hormonelle Veränderungen, wie zum Beispiel in den Wechseljahren, die Erkrankung aus. Und im zunehmenden Alter gibt es weitere Risiken einer Inkontinenz, etwa aufgrund einer eingeschränkten Mobilität oder Erkrankungen, die mit einer fortschreitenden Einschränkung der geistigen Funktionen einhergehen, wie die Demenz.

Welche Folgen hat die Inkontinenz für die Betroffenen?

Heidenreich: Viele haben Scheu, mit ihrem Hausarzt über das Thema zu sprechen. Das Schamgefühl und die damit verbundene andauernde Sorge, jemand könnte etwas von der Erkrankung bemerken, führen zu Ängsten und Verzweiflung. Die Erkrankten leiden unter Schlafstörungen, Depressionen und teils auch Aggressionen. Das Selbstwertgefühl sinkt und die Betroffenen ziehen sich zurück, was in soziale Isolation und nicht selten auch Arbeitslosigkeit münden kann. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden. Hilfe bieten ärztliche Beratungsstellen und sogenannte interdisziplinäre Kontinenzzentren.

Was muss man sich darunter vorstellen?

Heidenreich: In Kontinenzzentren, die meist an größeren Kliniken untergebracht sind, werden Patienten vor, während und nach der Therapie kompetent begleitet. Hier erfolgt die Diagnose der Ursachen der Erkrankung, aber auch die Planung und Durchführung individueller Therapien. Interdisziplinäre Kontinenzzentren bieten die Chance auf Vernetzung aller relevanten Kompetenzbereiche, wie der Gynäkologie, der Geriatrie und der Urologie. Dabei steht den Betroffenen in der Regel ein Ansprechpartner zur Verfügung, der alle Behandlungsschritte zwischen den Bereichen koordiniert.

Was viele Betroffene nicht wissen, durch einen chirurgischen Eingriff kann die Inkontinenz behoben werden. Wann raten Sie Patienten zu einer Operation?

Heidenreich: Eine operative Therapie ist zu empfehlen, wenn sich körperliche Ursachen der Inkontinenz finden lassen, etwa eine Blasen- oder Gebärmuttersenkung bei Frauen, eine Beckenbodenschwäche oder ein Defekt des Schließmuskels durch vorangegangene Operationen oder Verletzungen. Ein chirurgischer Eingriff ist auch dann sinnvoll, wenn andere Therapien erfolglos bleiben. So zum Beispiel Beckenbodengymnastik, Elektrostimulation oder die Biofeedback-Therapie, bei der das bewusste Wahrnehmen bestimmter Körperfunktionen und das Reagieren hierauf erlernt werden.

Wie sind die Erfolgsaussichten, welche besonderen Risiken bestehen?

Heidenreich: Das Einsetzen von Bändern ist in sieben von zehn Fällen erfolgreich. Die Risiken eines Eingriffs sind minimal. Nur selten muss ein Band aufgrund von Komplikationen wieder entfernt werden. Bei der Implantation eines künstlichen Schließmuskels liegt die Erfolgsrate bei mehr als 90 Prozent. - Vor allem gilt: Betroffene sollten frühzeitig aktiv werden und sich nicht scheuen, Rat zu suchen. Deutschlandweit helfen mehr als 900 ärztliche Beratungsstellen und Kontinenzzentren in allen Fragen zu dieser Krankheit und ihrer Behandlung weiter.

Infos unter: www.urologische-klinik-aachen.de

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