Forderung: Austauschpflicht von starken
Schmerzmitteln endlich mit Gesetzesänderung abschaffen
Nach über einem Jahr Wartezeit dürfen Schmerzpatienten, die zur
Linderung ihrer Beschwerden auf stark wirksame Opioid-Analgetika
angewiesen sind, endlich hoffen, dass ihr größtes Anliegen von der
Politik berücksichtigt wird. Einstimmig entschied der
Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, die Verpflichtung zum
automatischen Austausch Betäubungsmittelverordnungs-pflichtiger
Schmerzmittel zu beenden und beauftragte das Gesundheitsministerium,
diesen erklärten politischen Willen umzusetzen. Dennoch: Die Deutsche
Schmerzliga als größte Patientenorganisation für chronisch
Schmerzkranke in Deutschland ist aufs höchste besorgt. Ein aktueller
Änderungsantrag im Rahmen der AMG-Novelle lässt befürchten, dass
dieses berechtigte Anliegen der Schmerzpatienten auf stillem Weg
ausgehebelt werden soll. Erneut scheint das Ministerium bestrebt, den
Schwarzen Peter der Selbstverwaltung - vor allem den Ärzten -
zuschieben zu wollen. Denn der Änderungsantrag von CDU/CSU und FPD
vermeidet nach Überzeugung der Patientenorganisation unverändert eine
eindeutige Regelung im Sinne der an starken chronischen Schmerzen
leidenden Patienten. Vielmehr wird die Chance zu einer
Gesetzesänderung verpasst. Somit drohen die berechtigten Bedürfnisse
Betroffener durch die angestrebte neuerliche Delegation der
Verantwortung an Ärzte und Apotheker wieder den üblichen politischen
Ränkespielen zum Opfer zu fallen.
Zwar sieht der Änderungsantrag vor, dass der Deutsche
Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband zukünftig im
Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V Ausnahmen von der
Substitutionspflicht regeln können (im Wortlaut: "Im Rahmenvertrag
nach Artikel 2 kann vereinbart werden, in welchen Fällen Arzneimittel
nicht nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ausgetauscht werden dürfen"
(1)), doch für die Deutsche Schmerzliga ist dieser Vorschlag alles
andere als zielführend: "Der aktuell vorliegende Änderungsantrag wird
in keiner Weise dem Hauptanliegen der von uns eingebrachten und vom
Ausschuss einstimmig befürworteten Petition gerecht, die der
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung unterliegenden stark
wirksamen Opioid-Analgetika komplett von der automatischen
Austauschpflicht auszuschließen" kritisiert der Präsident der
Patientenorganisation, Privatdozent Dr. med. Michael Überall. In der
im Januar 2011 eingebrachten und von über 72.000 Bürgern
unterstützten Petition wird auf die seit 2007 geltende
Austauschpflicht für Arzneimittel verwiesen. Nach dieser sind
Apotheker gesetzlich verpflichtet, bevorzugt rabattbegünstigte
Vertragsarzneimittel abzugeben, auch wenn der Arzt ein Präparat eines
anderen Herstellers verordnet hat. Dies gelte auch für starke
Schmerzmittel, die als besondere Substanzklasse der
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) unterlägen und laut
einer Leitlinie der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft aufgrund
der für sie nicht nachgewiesenen therapeutischen Äquivalenz explizit
von derartigen Substitutionsregularien auszunehmen sind.
"Dieser Verschiebebahnhof dringend notwendiger gesetzgeberischer
Entscheidungen steht in krassem Gegensatz zu der immer wieder
postulierten bürgernahen und patientenzentrierten
Gesundheitspolitik", so Überall. "Die Ablehnung einer konkreten
gesetzlichen Stellungnahme stellt aus unserer Sicht eine schuldhafte
Verletzung des medizinischen Qualitätsgebots durch die
verantwortlichen politischen Entscheidungsträger dar und untergräbt
sowohl den grundlegenden Heilungsauftrag als auch die Zielbestimmung
einer qualitätsgesicherten Medizin."
Aus diesem Grund fordert der Präsident der Deutschen Schmerzliga
eindringlich, Betäubungsmittel gemäß dem Gesetz über den Verkehr mit
Betäubungsmitteln (BtMG), Anlage III, von der automatischen
Austauschpflicht konkret auszuschließen. Mit dieser Vorgabe sollen
nicht nur die Fakten geschaffen werden, die der gesetzgeberischen
Ur-Intention zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung auf allen
Ebenen der vom Institute of Medicine definierten Qualitätsdimensionen
entsprechen, sondern auch den Grundbedürfnissen chronischer
Schmerzpatienten nach einer ausreichend sicheren medikamentösen
Grundversorgung.
Dr. Marianne Koch: "Erneutes Hin- und Hergeschiebe wäre eine
Katastrophe"
Der Petitionsausschuss hat der Petition einstimmig und
uneingeschränkt zugestimmt und das Anliegen zur weiteren Bearbeitung
an das Gesundheitsministerium überwiesen. Die Deutsche Schmerzliga
fürchtet, dass mit der vorliegenden "Kann-Bestimmung" die vielfach
diskutierte Problematik erneut von der gesetzgeberischen Ebene auf
die Schultern der Selbstverwaltung übertragen wird. "Dadurch würde
eine rasche und vor allem zielorientierte grundsätzliche Lösung des
Problems zu Gunsten der betroffenen Patienten erneut in weite Ferne
rücken", vermutet die Petentin Dr. Marianne Koch. "Dieses Hin- und
Hergeschiebe wäre eine Katastrophe. Es wird dann wieder einmal nichts
passieren." Die Selbstverwaltung habe bewiesen, dass sie dieses
Problem überhaupt nicht wahrnimmt, geschweige denn löst. Nach Überall
ist nur eine eindeutige gesetzliche Lösung für die klar definierte
Gruppe von Medikamenten, die der Betäubungsmittelverordnung
unterliegen, sinnvoll. "Sonst wird den Ärzten und Apothekern der
schwarze Peter zugeschoben und sie werden wieder zu Handlangern einer
patientenfeindlichen Politik gemacht."
Mitglieder Gesundheitsausschuss für rasche Lösung im Sinne der
Petition
Auch Wolfgang Zöller, Patientenbeauftragter der Bundesregierung,
hat sich stets für eine rasche Lösung im Sinne der Petition stark
gemacht. Die Deutsche Schmerzliga fordert das Bundesministerium
eindringlich auf, den Absatz wie folgt zu ändern: "Betäubungsmittel
gemäß dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG),
Anlage III, sind von der automatischen Austauschpflicht gem. Absatz 1
Satz 1 ausgeschlossen." Der FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Ackermann,
Obmann seiner Partei im Gesundheitsausschuss und stellvertretendes
Mitglied des Petitionsausschusses, fordert eine rasche Lösung im
ursprünglichem Sinne der Petition: Das einstimmige Votum des
Petitionsausschusses zeige, dass die Deutsche Schmerzliga ein
wichtiges Patientenanliegen überzeugend darlege.
Austauschpflicht nicht nur medizinisch, sondern auch
wirtschaftlich unsinnig
Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft
für Schmerztherapie, weist darauf hin, dass jede Umstellung eines
Opioids einer Neueinstellung gleichkommt. Auch wenn Wirkstoff und
Dosierung identisch seien, variiere häufig das Freisetzungsverhalten
der Präparate. Die Folge seien unterschiedliche Wirkprofile, eine
kürzere oder längere Wirkdauer sowie Über- oder Unterdosierungen. Der
automatische Austausch sei zeit- und kostenaufwendig und berge alle
Schwierigkeiten und Risiken einer Neueinstellung, wie stärkere
Schmerzen und vermehrte Nebenwirkungen. Um die negativen Folgen des
Opioid-Austauschs auszugleichen, seien häufig zusätzliche
Medikamentenverordnungen sowie Arztkontakte und sogar
Krankenhauseinweisungen notwendig. "Den kaum vorhandenen Einsparungen
bei Arzneimitteln stehen weit höhere Folgekosten für das gesamte
Gesundheitssystem gegenüber. Die Austauschpflicht ist also nicht nur
medizinisch sondern auch wirtschaftlich unsinnig", so Müller-Schwefe.
Dies belegt auch eine Studie (2), die zeigt, dass Patienten vermehrt
unter Schmerzen oder mehr unerwünschten Wirkungen leiden, wenn ihr
gewohntes Arzneimittel ohne medizinischen Grund ausgetauscht wird.
Die Verantwortung dem Arzt zuzuschieben, der durch Setzen eines
"Aut-Idem"-Kreuzes den Austausch in der Apotheke ausschließen kann,
hebele durch die Regressgefahr die angestrebte Lösung aus.
In Deutschland sind Millionen Schmerzpatienten regelmäßig auf
stark wirksame Opioid-Analgetika angewiesen. Für diese oft von
Tumoren, Arthrosen oder schweren Bewegungseinschränkungen betroffenen
Menschen müsse eine Regelung gefunden werden, die die
Austauschpflicht von Opioiden aufgrund von Rabattverträgen endgültig
beendet, so die Forderung der Deutschen Schmerzliga.
(1) http://ots.de/FNv1G
(2) Überall M. A., Müller-Schwefe G.: Häufigkeit und Verlauf
medizinisch nicht indizierter Umstellungen einer Therapie mit stark
wirksamen Opioid-Analgetika aus ärztlicher Sicht - mehr Folgen als
vermutet mit zahlreichen Konsequenzen für Patient und Arzt;
MMW-Fortschr Med Supplement Nr. 1 /2009 (151 Jg.)
Quellen:
Pressekonferenz der Deutschen Schmerzliga e. V.
"Schmerzpatienten nicht im Stich lassen: Klarer Auftrag an
Gesundheitsministerium durch einstimmiges Votum des
Petitionsausschusses", am 15. Juni 2012 in Berlin
Herausgeber:
Deutsche Schmerzliga e. V.
Adenauerallee 18, 61440 Oberursel
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