"Überall wo Menschen arbeiten, passieren Fehler -
auch in der Medizin. Hier können Komplikationen oder unerwünschte
Behandlungsergebnisse verschiedene Gründe haben. Dabei vermengen sich
häufig die Ursachen, was die Beantwortung der Frage schwierig macht,
ob ein Behandlungsfehler für eine Komplikation ursächlich ist oder
nicht. Umso wichtiger ist es, dass die Patientinnen und Patienten bei
einem vermuteten Schadensfall nicht allein gelassen werden. Sie sind
bei der Aufklärung eines möglichen Behandlungsfehlers auf die
ärztliche Expertise angewiesen." Das sagte Dr. Andreas Crusius,
Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und
Schlichtungsstellen, bei der Vorstellung der
Behandlungsfehler-Statistik 2011 in Berlin.
Wie aus der Statistik hervorgeht, haben die Gutachterkommissionen
und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern im Jahr 2011 insgesamt
7.452 Anträge zu mutmaßlichen Behandlungsfehlern bearbeitet (11.107
Anträge wurden eingereicht). Dabei lag in 2287 Fällen ein
Behandlungsfehler oder Risikoaufklärungsmangel vor. In 1901 Fällen
wurde ein Behandlungsfehler als Ursache für einen Gesundheitsschaden
ermittelt, der einen Anspruch des Patienten auf Entschädigung
begründete. Die häufigsten Diagnosen, die zu
Behandlungsfehlervorwürfen führten, waren wie in den Vorjahren Knie-
und Hüftgelenkarthrosen sowie Unterarm-, Unterschenkel- und
Sprunggelenkfrakturen. In den Krankenhäusern stieg die Zahl der
nachgewiesenen Fehler bei Kniegelenkarthrose (71 Fälle) und
Unterarmfrakturen (65 Fälle) leicht an. Bei der Behandlung von
Brustkrebs im niedergelassenen Bereich hat sich die Zahl der
nachgewiesenen Fehler im Vergleich zu den Vorjahren hingegen deutlich
reduziert (15 Fälle).
"Eine völlig fehlerfreie Behandlung wird es nie geben. Schon
daraus resultiert die Verpflichtung, alles dafür zu tun, das Risiko
so klein zu halten wie irgend möglich", sagte Crusius. Er verwies
darauf, dass die Ergebnisse der Gutachterkommission und
Schlichtungsstellen seit zwölf Jahren mit Hilfe des Medical Error
Reporting Systems (MERS) in einer bundesweiten Statistikdatenbank
erfasst und ausgewertet werden. "Die Ergebnisse werden von der
Ärzteschaft für Fortbildungs- und Qualitätssicherungsveranstaltungen
aufbereitet um Strategien zur Fehlervermeidung zu entwickeln",
berichtete Crusius.
"Jeder Schaden muss Anlass für uns sein, etwas besser zu machen",
sagte Prof. Dr. Walter Schaffartzik, Ärztlicher Leiter des
Unfallkrankenhauses Berlin und Vorsitzender der Schlichtungsstelle
für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern.
"Gleichwohl kann man nicht jeden gesundheitlichen Schaden , der bei
einer Therapie auftritt, auf einen ärztlichen Behandlungsfehler
zurückführen. Dies sagte Schaffartzik mit Blick auf Anfang des Jahres
in den Medien veröffentlichte Zahlen aus der Todesursachenstatistik
des Statistischen Bundesamtes. Diese hatten zum Teil zu irreführender
Berichterstattung über eine angeblich massiv gestiegene Zahl von
Behandlungsfehlern geführt.
Prof. Dr. Karl Wessel, Chefarzt der Neurologischen Klinik des
Klinikums Braunschweig und Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
der Norddeutschen Ärztekammern in Hannover, wies darauf hin, dass
auch und gerade der medizinische Fortschritt mit ein Grund für
Behandlungsfehlervorwürfe sein kann. Anhand des Beispiels der
Schlaganfallversorgung berichtete er: "Mitunter kommt es zu
Fehlervorwürfen, weil Ärzte nicht oder nicht sofort eine Behandlung
auf Spezialstationen veranlasst haben."
Auf die Neuregelungen des geplanten Patientenrechtegesetzes ging
Johann Neu, Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für
Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern, ein. "Es ist zu
begrüßen, dass mit dem Gesetz die Patientensicherheit erhöht und die
Fehlervermeidungskultur gefördert werden soll." Neu bemängelte aber,
dass die Unterlagen von freiwilligen Fehlermeldesystemen, wie MERS
oder das Critical Incident Reporting System, auch künftig nicht durch
ein Beschlagnahmeverbot vor dem Zugriff in Strafverfahren geschützt
werden. Eine entsprechende Regelung in der Strafprozessordnung könnte
das Bemühen unterstützen, Fehler offensiv anzugehen und zu melden.
Gut ein Viertel aller vermuteten Arzthaftungsfälle in Deutschland
wird durch die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der
Ärztekammern bewertet. Die seit 1975 bei den Ärztekammern
eingerichteten Stellen bieten eine Begutachtung durch unabhängige
Experten und außergerichtliche Streitschlichtung bei
Behandlungsfehlervorwürfen an. Der Patient kann durch ein effizientes
und gebührenfreies Verfahren überprüfen lassen, ob sein
Behandlungsfehlervorwurf gerechtfertigt ist. In ca. 90 Prozent der
Fälle werden die Entscheidungen der Gutachterkommissionen und
Schlichtungsstellen von beiden Parteien akzeptiert und die
Streitigkeiten beigelegt. Wird nach Begutachtung durch diese
Institutionen doch noch der Rechtsweg beschritten, werden die
Gutachten der Kommissionen überwiegend bestätigt.
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