Bei Lampenfieber sind Politiker die besten Therapeuten
Nicht jeder muss beruflich vor vielen Menschen stehen und ihnen etwas erzählen, ohne ihnen etwas sagen zu wollen. Diese Disziplin brauchen nur Politiker zu beherrschen.
Manchmal ist der Mut von politischen Rednern wirklich zu bewundern. Sie stellen sich vor eine Menschenmenge und fangen an zu reden. Sie reden über dies und reden über das und reden und reden und reden. Aber sie sagen nichts.
Welche Fähigkeiten muss man besitzen, sich vor ein Publikum zu stellen und loszureden ohne wirklich etwas sagen zu wollen, denn das dürfen Politiker bekanntlich nicht, weil es ihrer Karriere schadet? Nun, die Antwort auf diese Frage lautet: Man muss sich selbst gern reden hören. Anders ausgedrückt: Politiker reden, weil sie gern reden. Wenn jemand etwas macht, was ihm großen Spaß bereitet, dann ist es nur allzu menschlich, wenn die Person davon nicht genug bekommen kann.
Menschen, die vor Gruppen reden müssen oder wollen und diese (unbewusste) "Politiker-Strategie" nicht beherrschen, benötigen eine Alternative. Ohne eine nützliche Strategie, die dem Vortragenden nicht bewusst sein muss, kann die Präsentation oder der Vortrag zu einem Leidensweg werden.
Ein wenig Lampenfieber vor einer Geschäftspräsentation zu haben, ist sogar nützlich. Es mobilisiert körperliche und mentale Reserven und sorgt unter Umständen dafür, dass der Redner sich gut auf seinen Auftritt vorbereitet. Aber wann wird eine Rede oder ein Vortrag zur Qual?
Welches Motiv hat ein von Redeangst Betroffener, sich vor Menschen zu stellen und ihnen etwas zu erzählen oder sie zu unterhalten? Die Antwort lautet: Er hat kein Motiv.
Menschen, die unter ihrer Redeangst leiden, haben keine Strategie, die Ihnen zu einer positiven Absicht verhilft. Sie haben z.B. kein Verlangen danach, sich selbst Reden zu hören. Zu reden, weil man gern redet, ist für sie kein Beweggrund.
Ohne eine positive Absicht, wird es allerdings für Menschen unmöglich, z.B. Spaß an einer Sache zu entwickeln. Wenn ich aber keinen Spaß an einem Vorgang habe, werde ich ihn natürlich nicht gern durchführen.
Noch wesentlich kritischer wird es, wenn ich mir vorstelle, bei einem von mir durchzuführenden Vorgang, Nachteile zu erleiden. Zum Beispiel, sich vor einer Gruppe von Menschen zu blamieren oder von ihnen ausgelacht zu werden. Menschen, die unter Redeangst oder Lampenfieber leiden, machen sich Vorstellungen von negativen Auswirkungen, die sie erwarten, wenn sie auf der Bühne stehen, einen Vortrag halten werden oder eine Geschäftspräsentation durchführen werden.
Ein ähnlicher (unbewusster) Prozess läuft auch bei Menschen ab, die sich einer prüfenden Situation stellen müssen und unter Prüfungsangst leiden.
Menschen, die von Redeangst oder Lampenfieber betroffen sind, haben eines gemeinsam: Ihnen fehlt die positive Absicht, sich vor Menschen zu präsentieren. Die positive Absicht vieler Politiker, sich selbst gern reden zu hören, ist natürlich nicht ein generalisierter Lösungsweg für alle Betroffenen. Von den meisten wäre diese Strategie wahrscheinlich auch gar nicht erstrebenswert. Aber trotzdem kann man von Politikern etwas lernen: Spaß daran zu haben, sich zu präsentieren.