Berlin, 09.08.2012. Verfehlung Einzelner oder Versagen des Systems? Der Organspende-Skandal zieht immer weitere Kreise, die weit über die Uniklinken in Göttingen und Regensburg hinausgehen. Während die verantwortlichen Ärzte zur Rechenschaft gezogen werden sollen, wird in der Öffentlichkeit, in Bundesärztekammer und im Bundesgesundheitsministerium heftig über Fehler und Lösungen diskutiert. Offenbar sind manipulierte oder unbeachtete Wartelisten kein Einzelfall-Problem. Denn es kann bei Transplantationen um Leben und Tod gehen, häufig jedoch auch um viel Geld.
Im Zentrum der Debatte steht das „beschleunigte Vermittlungsverfahren“, das in den vergangenen Jahren einen sprunghaften Anstieg zu verzeichnen hat und an Transparenz oft zu wünschen übrig läßt. Dabei geht es zumeist um von Kliniken abgelehnte Organe oder um solche, die binnen kurzer Zeit unbrauchbar würden. Diese können dann regional vergeben oder gegebenenfalls in der Entnahmeklinik selbst genutzt werden.
Das Vertrauen vieler Bürger in Deutschland scheint nachhaltig erschüttert. Dabei ist es gerade das Vertrauen, das gebraucht wird, um mehr Bürger dazu zu bewegen, ihre Organe zu spenden. Mit diesem Ziel ist erst vor zwei Monaten die Änderung des Transplantationsgesetzes verabschiedet worden, die u.a. die Kontrollmechanismen bei der Organspende verschärft, z.B. durch den Einsatz von Transplantationsbeauftragten in Entnahmekrankenhäusern.
Da das System insgesamt aber bestehen bleibt, gibt es nun Zweifel, ob die Änderungen für mehr Sicherheit sorgen werden. Gefordert werden noch bessere Kontrollen, härtere Strafen und eine striktere Regulierung - nach dem Vorbild anderer europäischer Länder. Dort gibt es häufig zentrale staatliche Spenderegister und es gilt die sogenannte Widerspruchsregelung: Jeder gilt als Organspender, solange er nicht Einspruch erhebt. Das sorgt für eine hohe Spenderrate - in Spanien ist diese mehr als doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik. Und wo es genügend Spender gibt, da ist auch weniger Raum für Manipulation.
Denn die Kriminalität bei Transplantationen weist auch auf den Mangel an Organen hin: 2010 konnten in ganz Europa weniger als 50% der Organe zur Verfügung gestellt werden, die gebraucht wurden. Die Bedarfssituation kann zwar durch die grenzüberschreitende Bereitstellung von Transplantaten, wie sie in den beiden Verbundsystemen Eurotransplant und Scandiatransplant praktiziert wird, gemildert, jedoch nicht beseitigt werden. Die Frage lautet daher, wie man mehr Menschen dazu bewegt, nach ihrem Tod lebenswichtige Organe wie Herz, Lunge oder Leber zur Verfügung zu stellen? In Europa gehen die Länder dabei unterschiedliche Wege - mit höchst unterschiedlichem Erfolg - und auch die EU schaltet sich ein.
Europa-Kontakt hat den aktuellen Stand der Organspende-Regelungen in den EU-Mitgliedstaaten zusammengetragen. Diese sind auf der Internetseite von Europa-Kontakt in der Reihe „Europanorama“ kostenlos zugänglich. Ein ebenfalls kostenloses Leseexemplar des „Europäischen Informationsbriefs Gesundheit“, in dem regelmäßig über dieses und weitere Gesundheitsthemen berichtet wird, kann im PDF-Format über die Internetseite von Europa-Kontakt bestellt werden.