Das Thema:
Der Beschneidungsstreit: Wie weit dürfen religiöse Rituale gehen?
Gäste:
Dieter Graumann (Vorsitzender des Zentralrats der Juden)
Bilkay Öney (SPD, Integrationsministerin Baden-Württemberg)
Christa Müller (kämpft gegen Genitalverstümmelung)
Necla Kelek (Soziologin und Islamkritikerin)
Dr. Sebastian Isik (Allgemeinmediziner)
Dr. Wolfgang Bühmann (Urologe)
Dieter Graumann / Der Zentralrats-Präsident sieht die
Beschneidungsdebatte in Deutschland mit größter Sorge. Falls es bei
der Rechtsauffassung bleibe, wonach die Beschneidung eines Jungen
strafbare Körperverletzung ist, wäre "am Ende jüdisches Leben hier
gar nicht mehr möglich", fürchtet Dieter Graumann. Die Debatte werde
auch von einigen missbraucht, "um wieder alte antisemitische
Klischees und Vorurteile zu transportieren". Für die Juden sei die
Beschneidung elementar. Graumann fordert jetzt eine klare gesetzliche
Regelung.
Bilkay Öney / Die Integrationsministerin fragt sich, warum jetzt
eine Art Religionskrieg angezettelt werde. Das Argument mit dem
Kindeswohl ist für sie fadenscheinig. "Als hätten Juden und Muslime
das Kindeswohl nicht im Blick. Das finde ich unverschämt." Sie wolle
nicht, dass Deutschland einziges Land auf der Welt sei, das
Beschneidungen verbiete. "Damit würde die freie Religionsausübung
eingeschränkt", sagt Bilkay Öney.
Christa Müller / "Es wäre eine Katastrophe, wenn die Beschneidung
von Jungen aus religiösen Gründen jetzt in Deutschland gesetzlich
erlaubt wird. Dann würde es sofort Klagen geben, um auch die
Mädchenbeschneidung zu erlauben", fürchtet die Mutter eines Sohnes,
die mit ihrem Verein "Intact" seit 16 Jahren gegen die
Genitalverstümmelung von Mädchen kämpft. Das Recht auf körperliche
Unversehrtheit sei vom deutschen Grundgesetz geschützt und höher zu
bewerten als Religionsfreiheit und Elternrecht, so die gläubige
Katholikin: "Wer in Deutschland lebt, muss sich unserer Verfassung
beugen."
Necla Kelek / In ihrem Buch "Die verlorenen Söhne. Plädoyer für
die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes" beschreibt die
Soziologin die Beschneidung ihrer beiden Neffen in der Türkei und
löste damit die juristische Überprüfung der Knabenbeschneidung aus
religiösen Gründen in Deutschland überhaupt erst aus. Die
Islamkritikerin fordert, archaische religiöse Sitten und Traditionen
zu hinterfragen und ist überzeugt: "Beschneidung ist
Körperverletzung, der Eingriff kann traumatische Folgen haben.
Darüber müssen wir in Deutschland endlich ausführlich diskutieren."
Dr. Sebastian Isik / Seit 35 Jahren beschneidet der Hamburger Arzt
muslimische, jüdische und christliche Jungen. Für Sebastian Isik ist
klar, dass hinter dem religiösen Ritus die Gesundheitsprävention
steckt und pocht auf "Sauberkeit, Sauberkeit, Sauberkeit". Die
Warnung vor möglichen Traumata hält der Mediziner für maßlos
übertrieben. Vielmehr warnt er vor den Gefahren, wenn Beschneidungen
fortan in Hinterzimmern durchgeführt werden. "Dann müssen wir
Mediziner viele Korrekturen verpfuschter Eingriffe vornehmen", ist er
überzeugt.
Dr. Wolfgang Bühmann / "Ich rate von einer Beschneidung ab, wenn
sie medizinisch nicht notwendig ist. Und diese Notwendigkeit liegt
bei einer rituellen Beschneidung nicht vor", sagt der Urologe. "Als
Arzt bin ich dazu verpflichtet, Schaden vom Kind abzuwenden", so
Wolfgang Bühmann, der Eltern vor körperlichen und seelischen Folgen
warnt. Sein Vorschlag: "Warum warten wir nicht mit der religiösen
Beschneidung, bis die Jungen mit mindestens 14 Jahren selbst
entscheiden können, ob sie das wollen oder nicht?"
"Menschen bei Maischberger" ist eine Gemeinschaftsproduktion der
ARD, hergestellt vom WDR in Zusammenarbeit mit der Vincent TV GmbH.
Redaktion: Hans-Georg Kellner
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Agnes Toellner, Presse und Information Das Erste,
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