""Die demografische Entwicklung wird einen relativen und absoluten Anstieg der Zahl älterer Menschen mit sich bringen. Dieser Anstieg hat natürlich auch Auswirkungen auf das Krankheitsgeschehen in der Bevölkerung", sagte Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, zur Einführung in die diesjährige Thematik des Tages der Zahngesundheit 2012 bei der zentralen Pressekonferenz am 12. September in Berlin.
Was sich bei den Vorträgen der Referenten aus Zahnärzteschaft, Krankenkassen und zahnmedizinischer Wissenschaft zum diesjährigen Motto "Gesund beginnt im Mund - mehr Genuss mit 65 plus!" sehr deutlich zeigte, ist der große Gewinn an mundgesundheitsbezogener Lebensqualität als Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen. "Ein Zahnersatz kann heute wichtige ästhetische und funktionelle Anforderungen erfüllen", sagte die wissenschaftliche Referentin, Prof. Dr. Ina Nitschke, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin, "und auch ein greisenhaftes Gesicht, wie es sich bei Zahnverlust einstellt, ist heute vermeidbar. Das gehört zu den vielen Errungenschaften der modernen Zahnheilkunde, um die uns frühere Generationen beneiden würden." Entsprechende Anerkennung gab es vom Vertreter des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen, Dr. Michael Kleinebrinker: "Die durchschnittliche Mundgesundheit der über 65-Jährigen hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. So ist die Anzahl der Totalprothesenträger in den letzten Jahren gesunken, gleichzeitig bleiben bei den Senioren immer länger und immer mehr die eigenen Zähne erhalten." Zu dieser erfreulichen Entwicklung trägt auch bei, dass die Zielgruppen präventionszahnmedizinischer Maßnahmen sich erweitert haben: Wie Professor Oesterreich erläuterte, ist für die Prävention neben den Kindern und Jugendlichen mittlerweile auch die ältere und alte, teilweise auch pflegebedürftige Bevölkerung als Zielgruppe von großer Bedeutung. Die intensive Forschungsarbeit der Zahnärzteschaft, die sowohl medizinische als auch soziale Aspekte im Blick hat, habe dazu beigetragen, neue Erkenntnisse über die Chancen und Probleme dieser Patientengruppen in der Zahnarztpraxis zu gewinnen. Es zeige sich, dass der Wunsch der Menschen im Alter von "65 plus" nach hoher Lebensqualität und aktiver Beteiligung am sozialen Alltag einen starken Einfluss auf die Entwicklung entsprechender zahnmedizinischer Verfahren und Produkte ausgeübt habe - eine
Entwicklung, die sich als stete Herausforderung an das Fach zeige, allerdings auf bereits eindrucksvollem Niveau. "Zielsetzung unserer Bemühungen" sagte Professor Oesterreich, "ist die sogenannte Kompression der Morbidität, d.h. die Verschiebung der Krankheitslast für den einzelnen Patienten in einen möglichst kurzen endständigen Lebensabschnitt."
Körper, Seele, Alltagswelt
Wie erheblich die Anstrengungen sind, die zur Sicherung der oralen und systemischen Gesundheit der älteren Bevölkerung beitragen, zeigte sich an einer Vielzahl von Aufgaben und Maßnahmen, die bei der Pressekonferenz dargestellt wurden. Menschen verändern sich beim Älterwerden nicht nur biologisch, sondern auch im Hinblick auf ihre Allgemeingesundheit, auf ihre seelische und auch soziale Situation. Die biologischen Verhältnisse im Mund können beim Alterungsprozess zu Gewebeabbau führen, sodass beim Hinzutreten von Risikofaktoren Krankheiten ausgelöst werden, die zum Zahnverlust führen. Die gesundheitliche Situation kann die Mundgesundheit durch Auswirkungen
chronischer Erkrankungen und regelmäßiger Medikation belasten. Andererseits wirken sich beispielsweise entzündliche Parodontalerkrankungen auch auf die im Alter oft geschwächte Allgemeingesundheit aus. Seelische Belastungen wie geänderte Alltagsabläufe im Ruhestand oder auch der Verlust eines Partners haben - wie jeder andere Stress auch - Einfluss auf das Immunsystem und damit auch auf den Heilungsprozess. Die sozialen Veränderungen und der Wunsch, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und sich "jugendlich" zu fühlen, so Professorin Nitschke, erfordern von der Zahnmedizin Behandlungen, die sowohl in Funktion als auch in Bezug auf Ästhetik und Komfort sehr anspruchsvoll sind. Alle diese Konstellationen patientenindividuell zu beachten, sei eine große Aufgabe, der sich ihr Berufsstand aber gerne stelle. Allerdings sei auch der Patient selbst aufgerufen, seinen Teil zu dieser Entwicklung beizutragen.
"Die gesetzlichen Krankenkassen stellen einen umfangreichen Behandlungskatalog zur Verfügung", sagte Dr. Kleinebrinker, und empfahl der Altersgruppe 65 plus, die Angebote rund um die Früherkennung auch konsequent zu nutzen: "Es muss alles getan werden, dass die Menschen nicht nachlässig mit der Vorsorge umgehen. Auch Senioren sollten die üblichen Kontrolluntersuchungen wahrnehmen!" Regelmäßige Mundhygiene, auch in den Zahnzwischenräumen, und sorgfältige Prothesen-Hygiene seien unumgänglich, wie alle Referenten betonten - zudem gebe es vielfältige spezielle Hilfsmittel, die z.B. auch bei nachlassender Mobilität eine gute Mundhygiene ermöglichen. Professor Oesterreich: "Die regelmäßige und individuelle präventionsorientierte Betreuung in der zahnärztlichen Praxis, auch zur Optimierung der eigenen Mundhygiene, besitzt für diese Bevölkerungsgruppe ebenso einen erheblichen Stellenwert."
Disziplinen übergreifende Aufgaben
Dass die gewünschte Sicherung der oralen und systemischen Gesundheit der älteren Bevölkerung keine Aufgabe allein für die Zahnärzteschaft sein kann, wurde in den Ausführungen der Referenten mehr als deutlich. Professor Oesterreich: "Die Ursachen für Unterschiede in der Gesundheit und für das Entstehen von Erkrankungen sowie die Bedingungen für gesundheitsbewusstes Verhalten sind
mehrdimensional. Grob zusammengefasst sind die dafür verantwortlichen Bereiche zu unterteilen in Gesundheits(versorgungs)system(-Politik), sozio-ökonomisch-kulturelle Umfeldrisiken und biologischsomatische sowie Umwelt-Risiken." Die Bundeszahnärztekammer habe als Zielsetzung für das Jahr 2020 festgelegt, dass "die Häufigkeit der vollständigen Zahnlosigkeit in der Altersgruppe 65 bis 74 Jahre auf möglichst 15 Prozent reduziert werde. Die 4. Deutsche Mundgesundheitsstudie (2005) weist noch rund 23 Prozent aus. Da mehr natürliche Zähne aber auch mehr Erkrankungen wie Wurzelkaries und Parodontitis mit sich bringen, müsse von einer deutlichen fachlichen, aber auch ökonomischen Herausforderung ausgegangen werden. Auch dies zeige, so Professor Oesterreich, dass nicht nur die Zahnärzteschaft und die Krankenkassen, sondern auch Politik und Gesellschaft gefragt und gefordert sind, die Bewältigung der Herausforderungen durch den demografischen Wandel und dem damit verbundenen Ziel, "gesund älter zu werden", aktiv und kreativ in Angriff zu nehmen.
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Judith Frey
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