Robert Hermann ist Arzt für Anästhesiologie und Klinische Pharmakologie und Geschäftsführer des Forschungsdienstleisters cr.appliance, einem wissenschaftlichen Beratungsunternehmen mit Schwerpunkt auf der Untersuchung von Arzneimittelkandidaten in der frühen klinischen Entwicklungsphase. Oliver von Richter ist Apotheker und in der Arzneimittelentwicklung des Pharmaunternehmens Merck Serono tätig.
Die Autoren haben für den aktuellen Übersichtsartikel umfangreiche Datenbanken wie die Metabolic and Drug Transporter Data Base der Universität Washington (DIDB), Scopus und PubMed gesichtet, um einen Überblick über die vorhandenen Studien zu klinischen Arzneimittelinteraktionen mit den 6 weltweit populärsten Phytotherapeutika zu erhalten. Sie fanden 21 einschlägige Studien zu Ginkgo biloba-Zubereitungen, 13 Studien zur Mariendistel (Silymarin), 9 Studien zu Gingseng, 8 zu Knoblauch, 8 zur Kanadischen Gelbwurzel (Goldsiegelwurzel, Hydrastis canadensis) und 7 Studien zu Echinacea-Präparationen. Die Anzahl der klinischen Studien zu Arzneimittelinteraktionen ist seit 2005 deutlich angestiegen, was auch auf zunehmende Aktivitäten und dabei resultierenden neueren Arbeiten einiger chinesischer Arbeitsgruppen zurückgeht. Gute und belastbare Daten existieren heute für Ginkgo biloba und die Mariendistel (Silymarin). Für die anderen untersuchten pflanzlichen Präparate sind die Daten deutlich weniger umfassend.
Insgesamt dürften bei den empfohlenen Dosierungen der Phytotherapeutika nur schwache bis moderate Effekte im Sinne einer Hemmung oder Induktion von Cytochrom P450 Enzymen bzw. des Arzneimitteltransporters P-Glycoprotein (ABCB1) resultieren. Es sollte aber nicht unterschätzt werden, dass schwache Wirkungen auf diese Enzyme und Transporter bei bestimmten Patientengruppen, die z.B. Arzneimittel mit einer engen therapeutischen Breite einnehmen (z.B. Immunsuppressiva oder gerinnungshemmende Medikamente), zu klinisch bedeutsamen Arzneimittelinteraktionen beitragen können. So ist bei Patienten mit einer Krebserkrankung und Chemotherapie, bei HIV-infizierten Patienten, bei Patienten mit einer Organtransplantation, bei Patienten mit Polymorbidität und komplexen Pharmakotherapie-Schemata sowie bei älteren Patienten grundsätzlich die zusätzliche Einnahme von Phytotherapeutika im Hinblick auf mögliche Arzneimittelinteraktionen zu beachten. In entsprechenden Untersuchungen ist belegt, dass gerade diese vulnerablen Patientengruppen mit einem regelmäßigen, umfangreichen Gebrauch von hochpotenten Arzneimitteln gerne zusätzlich auch Phytotherapeutika einnehmen, was ein Risikofaktor für klinisch relevante Arzneimittelinterkationen vor dem Hintergrund der bestehenden Polymedikation darstellt.
Für zukünftige Untersuchungen sind zwei Aspekte von Bedeutung. Erstens könnten sogenannte Cocktail-Studien, d.h. die gleichzeitige Messung der Inhibition oder Induktion mehrerer Cytochrom P450 Enzyme, den klinischen Studienaufwand verringern und so das Wissen über das Interaktionspotential von Phytotherapeutika mit Arzneimittel deutlich verbessern. Zweitens sollte nicht nur die Wirkung der Phytotherapeutika auf andere Arzneimittel sondern auch die Wirkung von häufig verwendeten Arzneimitteln auf Phytotherapeutika untersucht werden. Dazu existieren heute praktisch noch keine Daten.
Der Mangel an klinischen Daten zu Interaktionen mit Phytotherapeutika ist inzwischen auch von behördlicher Seite erkannt und in entsprechende Handlungsanweisungen umgesetzt worden. So fordert die Europäische Arzneimittelbehörde EMA in der Neufassung der Richtlinie zur Untersuchung von Arzneimittelinteraktionen, die Durchführung entsprechender Interaktionsstudien bei der Neuentwicklung von phytotherapeutischen Produkten.
Publikation
Planta Med. 2012 Sep;78(13):1458-77
Clinical evidence of herbal drugs as perpetrators of pharmacokinetic drug interactions.
Hermann R, von Richter O.