"Kaum ein Begriff ist im deutschen
Gesundheitswesen in den vergangenen Monaten so oft gefallen, wie der
der Industrialisierung", sagt Dr. Max Kaplan, Präsident der
Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) vor dem 71. Bayerischen
Ärztetag. Von der Industrialisierung werde erwartet, dass sie
einerseits zu mehr Effizienz und Kosteneinsparung führt und
anderseits seien damit aber auch Begriffe wie Fließband- und
Akkordarbeit, Stückkosten oder Massenproduktion verbunden, was
überhaupt nicht zur Gesundheitsversorgung passe. Die genaue Analyse
zeige jedoch, wie vielfältig die Industrialisierung in die Medizin
bereits eingezogen sei - beispielsweise im Verhältnis zwischen den
gesetzlichen Krankenkassen und ihren Versicherten
[Disease-Managment-Programme (DMP) als Einnahmequelle, Wahltarife,
Bonuszahlungen], zwischen den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten
und den gesetzlichen Krankenkassen bzw. den privaten
Krankenversicherungen (Rabattverträge, DMP, Managed-Care), zwischen
den stationär tätigen Ärztinnen und Ärzten und ihren
Krankenhaus-Arbeitgebern (Boni-Verträge, DRGs, Case-Mix-Punkte,
Kodierung und Fallzahlen) oder zwischen den Ärzten und ihren
Patienten [(DMP, bestimmte individuelle Gesundheits-Leistungen
(IGeL)].
"Inwieweit lässt sich die Industrialisierung mit dem Berufsbild
des Arztes einerseits und andererseits mit dem solidarischen System
der gesetzlichen Krankenversicherung überhaupt vereinbaren?", frägt
Kaplan. Wirtschaftliche Überlegungen müssten bei der Behandlung von
Patienten eine Rolle spielen, ganz klar. Diese seien auch gesetzlich
vorgeschrieben, z. B. im § 12 des V. Sozialgesetzbuchs (SGB V).
Effizienz- und Qualitätsverbesserungen können und müssen von
Ärztinnen und Ärzten erwartet werden. "Ob diese Ziele durch die, mit
der Implementierung von Konzepten und Anreizmechanismen aus der
Industrie, erreicht werden können oder ob hierdurch nicht spürbare
Nachteile bei der flächendeckenden Versorgung der Patienten und
Fehlanreize für Ärzte entstehen, ist zu hinterfragen", so der
Präsident. Ärzte und Medizinethiker warnen davor, dass der
medizinische Alltag mehr und mehr den Fertigungsprozessen in der
Industrie angepasst wird. Auf das Entscheidende, das vertrauensvolle
Arzt-Patienten-Verhältnis wirke sich das unweigerlich aus. Diese
individuelle Beziehung werde in die Begrifflichkeit von
Geschäftskontakten überführt und standardisierte Verfahren
berücksichtigten das Individuum Patient zu wenig. Die wichtigen
psychologischen, spirituellen und humanistischen Aspekte der
Beziehung zum Patienten drohten darüber verloren zu gehen.
"Humanisierung statt Industrialisierung!", plädiert Kaplan
abschließend.
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