ZEMPOW - Die Ankunft der Kuhflüsterer in Ausbildung bleibt nicht lange verborgen. "Dort, die Schwarze, die hat uns schon gesehen", sagt Landwirt Wilhelm Schäkel und deutet in Richtung Kuhherde. Die aufmerksame Schwarze ist ein kräftiges Angusrind. Zottelige 600 Kilogramm, die sich auf der Weide fläzen und gemütlich wiederkäuen. Auf den ersten Blick keine Spur von Aufregung. Aber die Ohren der Kuh verraten mehr. Sie sind nach vorn geklappt. Das heißt, die Kuh passt ganz genau auf, hat alles im Blick.
Biobauer Schäkel steuert seinen Trecker langsam mit einer Hand voll Städter im Schlepp auf die Herde zu. Er fährt Schlangenlinien, denn der direkte Kurs könnte den Tieren ein Signal der Aggression vermitteln. Und genau das soll vermieden werden. Schäkel bietet auf seiner Bio Ranch in Zempow (Ostprignitz-Ruppin) sogenannte Kuhflüster Kurse an. Die Menschen lernen dabei, die gewichtigen Vierbeiner auf der Weide ganz sanft, sozusagen im Flüstermodus, zu dirigieren. Die potenziellen Kuhversteher, die gerade auf die Weide rollen, sind eine Gruppe von Trainern für gewaltfreies Handeln. "Bei unserer Arbeit kommt es auf Körpersprache an und darauf, Situationen schnell einzuschätzen", erklärt Sebastian Seelig aus Leipzig. Er hofft, auf der Weide im Brandenburgischen etwas dazuzulernen.
"Die Kuh ist der Lehrer der Aufmerksamkeit", doziert Schäkel. Der Mensch lernt, das Tier genau zu beobachten und zum richtigen Zeitpunkt aktiv zu werden, damit "die Kuh das tut, was ich möchte", so der Landwirt. Zum Beispiel, ein paar Schritte nach vorn zu gehen. "Ich dachte, es geht darum, die Kühe zu streicheln", sagt die Berlinerin Verena Mosen lächelnd. Aber nichts ist mit Kuschelkuh-Idylle. Mosen pendelt gemeinsam mit Bauer Schäkel in ehrfurchtsvollem Abstand von drei, vier Metern hinter der Kuh über eine holprige Weide, die mit Kuhfladen gespickt ist. "Zuerst holen wir uns das rechte Auge", sagt der Fachmann und zieht Mosen in das rechte Blickfeld des Wiederkäuers. Weit müssen die beiden nicht gehen. Denn die Kuh hat in einem Winkel von 270 Grad alles im Blick. Der Mensch bringt es nur auf schlappe 180 Grad.
Die Kuh klappt das Ohr nach vorn. Aha, erkannt. Die Aufmerksamkeit ist da. Schäkel dirigiert die Berlinerin: "Stopp. Wieder zurück. Jetzt holen wir uns das linke Auge. Stopp." Die Kuh ist bereit für den Impuls. "Das Tier geht dorthin, wohin es schaut", erklärt der Biobauer. Also nach vorn. Und so muss der Antrieb schräg von hinten erfolgen. Ein paar ruhige Schritte in Richtung Hinterteil der Kuh. Sie trottet los. Für den Menschen heißt es: Stopp. Zurück. Das gibt dem Tier Freiraum und vermittelt ihm ein gutes Gefühl.
Viele Menschen hätten Probleme damit, zurückzugehen, berichtet Schäkel. Auf der Weide gewöhnen sie sich daran, auch mal zurückzustecken. Und sie erfahren, dass es gar nichts bringt, sich dem Tier Auge in Auge entgegenzustellen. "Augenfokus ist für Herdentiere furchtbar", so der Experte. Das bindet sie. Macht sie regungslos. Bekommen sie dann einen Impuls zur Bewegung, sind sie vollends verwirrt.
Dem Verhalten der Kuh wird auf der Bio-Ranch Zempow seit etwa vier Jahren ganz besondere Aufmerksamkeit zuteil. Hier werden rund 150 Mutterkühe gehalten. Wenn die Tiere zusammen mit ihren Kälbern beispielsweise auf eine andere Weide getrieben werden sollen, bedeutete das in der Vergangenheit "ganz viel Stress, Schreierei, Angst und fünf bis sechs Leute, die am Abend von oben bis unten mit Kuhscheiße bespritzt waren", erinnert sich Schäkel. Er suchte nach Alternativen. Und lernte die Kunst des stressarmen Umgangs mit Tieren, die ursprünglich in den USA entwickelt wurde. Keine Gewalt. Keine Angst. Keine Leckerlis für die Tiere, die Futterneid oder Gier wecken. Der Biobauer setzt auf das bloße Vertrauen im Zusammenspiel mit den Tieren.
Kleine Impulse an der richtigen Stelle, und die Kühe gehen auch durch ein enges Weidetor ruhig hindurch, ohne in Stress oder Panik zu verfallen. Was den Vierbeinern so guttut, verkauft der Ökohof-Chef seit nunmehr zwei Jahren in Seminaren an Zweibeiner. Hobbytierhalter, Städter, Manager. Sie genießen die frische Landluft im äußersten Norden Brandenburgs und lernen nach einer kurzen theoretischen Einführung, Vertrauen zu den Tieren aufzubauen und sie so zu führen.
In Schäkels Kuhherde rappelt sich ein betagtes Tier mit weißem Kopf auf und trottet näher an die anderen Tiere heran. Ein Kälbchen folgt dem Vorbild. "Alles, was passiert, passiert, weil wir da sind", sagt der Oberflüsterer. Angesichts der Neuankömmlinge ist eben doch Vorsicht das wichtigste Gebot der Herde. Verena Mosen macht sich schon Sorgen: "Die armen Kühe, die wir so hin und her scheuchen." Doch der Landwirt kann sie beruhigen. Die Tiere haben durch das Seminar keinen Stress. Da achtet er schon drauf.
In einiger Entfernung zur Weide grummelt ein Motorengeräusch. Zunächst noch ganz leise. Dann wird es immer lauter und aufdringlicher. Schließlich knattern mehrere Motocross-Räder auf einem Weg direkt an der Kuhweide vorbei. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Die Tiere springen auf, rennen so schnell es geht und möglichst weit weg von der Lärmquelle.
Schäkel, der eben noch allein zwischen den Tieren stand, sucht den schützenden Traktor. Mit Flüstern ist jetzt nichts mehr zu machen. Die Kühe sind in Panik, und da geht es für sie nur noch geradeaus. Mit aller Kraft. Egal, was im Weg steht. Dieser Stresslauf der Tiere ist etwas, was der Landwirt Schäkel gar nicht gern sieht. Für den Kuhflüsterer Schäkel ist die Motocross-Reaktion allerdings der praktische Beleg für seine Seminar-Theorie: "Rennt die Kuh bis ans Ende der Weide, dann ist etwas mit der Impulsstärke nicht in Ordnung." (Von U. Sommer/MAZ)
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