fit und munter - Interdisziplinäre Behandlungschancen bei Parodontitis und Diabetes mellitus

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Interdisziplinäre Behandlungschancen bei Parodontitis und Diabetes mellitus

- Thema des Parlamentarischen Abends der DGP
Berlin, Oktober 2012 - Die Rolle der Parodontologie in Behandlung und Prävention am Beispiel der Wechselwirkungen von Parodontitis und Diabetes mellitus war Gegenstand des Parlamentarischen Abend der DGP (Deutsche Gesellschaft für Parodontologie). Bei beiden Erkrankungen handelt es sich um chronisch systemische Volkskrankheiten mit Wechselwirkungen und steigender Prävalenz, deren Behandlungserfolg bei frühzeitiger Diagnose maßgeblich erhöht werden könnten. Die DGP hatte neben Experten aus der Parodontologie Präsidiumsvertreter der BZÄK und der DGZMK sowie renommierte Diabetologen und Versorgungsforscher eingebunden. In der vielschichtigen Diskussion tauschte man sich über neue Wege der vernetzten Versorgung über die Disziplin-Grenzen hinaus aus. Als regelmäßige Ansprechpartner der Patienten seien Zahnärzte prädestiniert, Eingangsärzte in der hausärztlichen Grundversorgung zu sein, war eine der Botschaften des Abends. Die dazu nötigen formalen und qualifikatorischen Voraussetzungen wurden intensiv diskutiert. Die Politiker zeigten großes Interesse und waren offen für neue Wege. Sie machten aber auch klar, dass es keine neuen Budgets geben werde. Für gute Argumente und Studien zum bestmöglichen Mitteleinsatz sei man jedoch immer ansprechbar.

DGP-Präsident, Prof. Dr. Peter Eickholz, hob in seiner Begrüßung hervor, dass es ein vorwärtsweisendes Signal sei, einen solchen Abend gemeinsam zu gestalten. Die DGP führt damit den Gedanken der "Konsensusgruppe" fort. Dieses Expertengremium von Diabetologen und Parodontologen, darunter auch DGP-Vorstände, hat Empfehlungen für ein abgestimmtes Vorgehen unter behandelnden Ärzten erarbeitet. Eickholz verdeutlichte zunächst das Ausmaß der Parodontalerkrankungen und verwies auf die dramatische Unterversorgung der Bevölkerung: In Deutschland gibt es 20 Millionen Patienten mit behandlungsbedürftigen Parodontalerkrankungen, davon 8 Millionen schwere Fälle - mit Zahnfleischtaschen ? 6 mm. Über die gesetzliche Krankenversicherung aber werden nur 954.100 Parodontalbehandlungen abgerechnet (KZBV 2011). Gleichzeit ist bekannt, dass Parodontitis und Diabetes mellitus in einer Wechselbeziehung stehen. Doch in der täglichen Praxis schlägt sich dies kaum nieder. Dort werden die Krankheitsbilder isoliert betrachtet.

Gut belegte Studien
Der Direktor des Diabeteszentrums an der Ruhr Universität Bochum, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Diethelm Tschöpe, legte dar, dass Diabetes die Entstehung, Progression und den Schweregrad von Parodontitis begünstigt: 3-fach höheres Risiko; 15-fach häufiger Zahnverlust im Vergleich zu Stoffwechselgesunden. Umgekehrt werde die metabolische Kontrolle bei Diabetikern durch Parodontitis erschwert. Für die bidirektionale Beziehung zwischen entzündlichen Erkrankungen des Parodonts und gestörtem Glukosestoffwechsel werden gleiche inflammatorische Prozesse verantwortlich gemacht. "Studien belegen, dass Parodontitis die glykämische Situation verschlechtert und dass sich eine unzureichende Blutzuckereinstellung negativ auf parodontale Erkrankungen auswirkt. Durch Prävention und rechtzeitige Therapie können Entzündungsprozesse, Insulinresistenz und daraus resultierende Probleme aufgehalten werden. Deshalb ist eine Zusammenarbeit zwischen Zahn- und Stoffwechselmedizinern unabdingbar", so Tschöpe, der ebenfalls Mitglied der Konsensusgruppe sowie Vorsitzender der Stiftung DHD (Der herzkranke Diabetiker) ist.

Was können Zahnärzte tun?
Prof. Dr. Thomas Kocher, DGP-Vorstand und ebenfalls Mitglied der Konsensusgruppe, appelliert dafür, die hohe Kontaktrate zwischen Zahnarzt und Patient für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung zu nutzen. Jeder 20- bis 70jährige Deutsche geht im Schnitt zweimal im Jahr zum Zahnarzt. Das ist eine gute Möglichkeit, große Teile der Bevölkerung zu screenen. Zahnärzte könnten in ihrer Praxis Blutzuckerkontrollen durchführen und bei Verdacht auf Diabetes den Patienten zum Hausarzt schicken. Geschultes Hilfspersonal sei verfügbar, das Patienten in Verhaltensänderung unterweisen und über lange Zeit führen könne. Dieses Netz könnte auch für die Mitbehandlung von Diabetikern bzw. Prädiabetikern genutzt werden. Die Parodontalbehandlungen sind technisch nicht anspruchsvoll und auch nicht teuer. Sie wirken sich aber positiv auf den Blutzuckerspiegel aus. "Selbst eine mäßige Verbesserung des Blutzuckerspiegels durch eine Parodontalbehandlung kann eine bevölkerungsweite Auswirkung auf den Diabetes und seine Folgeerkrankungen haben", erläuterte Kocher.

Neue Rolle in der Regelversorgung
Der Versorgungsepidemiologe, Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, von der Universitätsmedizin Greifswald unterstrich die Chancen einer erweiterten Rolle des Zahnarztes als weiterer Primärarzt in der Regelversorgung. Zudem seien weitere Krankheiten mit Krankheiten der Zähne und des Zahnfleisches assoziiert. Eine Früherkennung in der zahnärztlichen Praxis ist möglich, um beispielsweise Komplikationen des Diabetes wie Nierenschäden, Schlaganfälle und Herzinfarkte zu vermeiden.

Die hohe Inanspruchnahme und die flächendeckende Verteilung der Zahnarztpraxen bilden gute Voraussetzungen für eine bessere Verzahnung der Zahnärzte im Gesundheitssystem. "Wenn die Kooperation zwischen zahnärztlich, hausärztlich und internistisch tätigen Medizinern gelingt, werden Patienten hinsichtlich verbesserter Früherkennung, Behandlung und Prognose profitieren", betonte Hoffmann. Zudem könne das dem Gesundheitssystem helfen, Kosten zu reduzieren.

"Erste Schritte sind getan", ergänzte Kocher. DGP und DDG (Deutsche Diabetes-Gesellschaft) haben inzwischen eine Behandlungsleitlinie bei der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) eingereicht. Die Fachgesellschaften seien auch gefordert, bei der Aus- und Weiterbildung bis in die Approbationsordnung hinein eine bessere Vernetzung beider Disziplinen zu knüpfen.

Auf Seiten der Politiker gab es in diese Richtung volle Unterstützung. Dr. Rolf Koschorrek betonte, dass die CDU in der vernetzten Versorgung einen wichtigen gesundheitspolitischen Ansatz sehe. Dem stimmte Dr. Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen, zu. Er identifizierte die sektorenübergreifende Versorgung als ur-grünes Thema, durch die Doppeluntersuchungen vermieden und mehr Patientenorientierung erreicht werden könne. Hier sei nicht nur die Politik sondern auch die Selbstverwaltung der Ärzteschaft gefragt. DGP-Präsident Eickholz machte auf das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage aufmerksam: "Wir haben zur Zeit keine Basis, um überhaupt vom Zahnarzt zum Arzt oder umgekehrt überweisen zu können." Auch bei der Honorierung steht man vor Problemen. Linke-Politikerin, Dr. Martina Bunge, befürwortete eine Kostenübernahme bei der professionellen Zahnreinigung ausdrücklich. Diese Behandlung, als Grundstein parodontaler Prävention, wird bislang nicht von der GKV (Gesetzl. Krankenversicherung) erstattet. Auch die SPD sieht hierin eine wichtige Präventionsmaßnahme, die an den jährlichen Routinebesuch gekoppelt und zumindest bezuschusst gehöre, so SPD-Gesundheitsexperte Steffen-Claudio Lemme. CDU-Mann Koschorrek stellte aber klar, dass nur über Umschichtungen im Honorarsystem etwas erreicht werden könne - und verwies das Thema zurück an die Ärzteschaft.

Auch wirtschaftlich sinnvoll
Eine Umschichtung sei aber nötig. Von den anfallenden Behandlungskosten bei Diabetes (ca. 48 Mrd. Euro jährlich) gehen laut Tschöpe drei Viertel zu Lasten der mit Diabetes assoziierten Gefäßprobleme, allen voran die Kostentreiber Herzinfarkt, Schlaganfall und Nierenversagen. Als Stoffwechselpatient mit Parodontitis steigt das Risiko für makro- und mikrovaskuläre Komplikationen signifikant. Eickholz machte zudem die Rechnung auf, dass für eine den Status erhaltende unterstützende Parodontalbehandlung über 10 Jahre nur 200 Euro pro Zahn aufgewendet werden müssten, gegenüber 2.000 Euro für den Ersatz eines einzelnen Zahnes durch Implantat oder Brücke im Falle von Zahnverlust. Demzufolge spreche auch wirtschaftlich alles für ein koordiniertes Zusammenarbeiten.

Die DGP sieht sich gemeinsam mit den Selbstverwaltungsgremien gefordert, die nötigen strukturellen Vorschläge zu erarbeiten und auch die nötige Aufklärung in Richtung Patienten zu betreiben und sie werde im Dialog mit der Politik bleiben.

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