Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Charles de Gaulle und Konrad Adenauer den Elysée-Vertrag, der die Deutsch-Französische Freundschaft begründete. Aber das Verhältnis zur Grande Nation war nicht immer so gut wie heute.
Man stelle sich einmal vor, Angela Merkel und ihr Kabinett würden die deutschen Staatsgeschäfte von Frankreich aus führen. Skurril, oder? Aber im umgekehrten Fall ist das schon vorgekommen. Es waren siebeneinhalb Monate, in denen Schloss Sigmaringen, Stammsitz der Hohenzollern an der Schwäbischen Alb, Sitz der evakuierten französischen Regierung war. Vom 8. September 1944 bis zum 21. April 1945 regierten die Franzosen damit außerhalb ihres Heimatlandes, und so wurde Sigmaringen mit seinem Schloss zur heimlichen, aber offiziellen Hauptstadt Frankreichs.
Zwei Regierungen in Frankreich
Rückblende: Die Nationalsozialisten unter der Führung von Adolf Hitler waren im Juni 1940 auf französischen Boden vorgerückt und hatten am 14. Juni 1940 Paris besetzt. Acht Tage später erfolgte der Waffenstillstand, der Frankreich aufteilte: Im Norden und Westen regierten die Deutschen. Im Süden die neu eingesetzte Vichy Regierung mit Ministerpräsident Pierre Laval und Marshall Philippe Pétain als Staatschef an der Spitze. Diese Vichy Regierung kooperierte in nicht unerheblichen Maße mit den deutschen Besatzern, doch kurz nach dem Beginn der Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944, wendete sich das Blatt wieder. Die deutschen Besatzer verwiesen die Regierungsverantwortlichen des Landes. Schließlich kam das Kabinett unter Charles de Gaulle wieder zurück nach Paris und faktisch regierten plötzlich zwei Regierungen. Der deutsche Botschafter Otto Abetz hatte schnell einen Ort für die Vichy Regierung ausgemacht: Schloss Sigmaringen an der Schwäbischen Alb. Die fürstliche Familie Hohenzollern wurde via Schloss Langenstein nach Schloss Wilflingen gebracht, und schon war der Platz frei für Laval, Pétain und Begleitung.
Diplomaten residieren im Schloss und in der Stadt Sigmaringen
Genug Platz war da, aber dennoch war es nicht einfach, die Regierungsmitglieder und Diplomaten in Sigmaringen nicht nur standesgemäß unterzubringen, sondern sie im Schloss auch so zu beherbergen, dass es zu keinerlei Streitereien kam. Also wohnten Pétain und seine Frau in der obersten Etage des Josefshaus, Laval im mittleren Bereich des Hochschlosses und die Minister in einem Nebenflügel. Der deutsche Botschafter wohnte im Archivgebäude, sein italienischer Kollege im Chalet und der japanische Botschafter im Gasthof Zollerhof. Die Verwaltung, die Regierungszeitung und der Radiosender waren im Prinzenbau in der Stadt untergebracht. "Einige Räume, in denen die Vichy Regierung auf Schloss Sigmaringen gewohnt hat, gibt es noch", sagt Historikerin Helga Boban. "Sie sind zum Teil in der Führung sichtbar aber auch zu einem Teil in jene Zeit zurückgebaut bevor die Diplomaten kamen. Bis in die 90er Jahre hinein gab es noch das Originalschlafzimmer von Pierre Laval."
Kleine Details sind immer noch zu sehen, und selbstverständlich wurden die Einrichtungsgegenstände aufbewahrt, doch besichtigen lassen sich die Möbel der französischen Regierung derzeit nicht. Dafür bietet das Schloss Sigmaringen für Geschichtsforscher mehrmals im Jahr spezielle Führungen zur Zeit der Vichy-Regierung an. Historikerin Dr. Daniela Krezdorn wandelt mit Besuchern auf den Spuren dieser besonderen siebeneinhalb Monate und erklärt Details der ausserge-wöhnlichen politischen Konstellation. Die war am 21. April 1945 schon wieder zu Ende, denn die Alliierten kamen näher. Laval wurde nach Konstanz gebracht und viele Mitglieder der Regierung verhaftet. Die französische Flagge wurde eingeholt und de Gaulles´ Kabinett übernahm wieder die Macht. Sigmaringen hatte als Regierungssitz ausgedient. In der französischen Zukunft übernahm Paris wieder diese Rolle.
Sigmaringen zweitgrößtes Stadtschloss Deutschlands
Als zweitgrößtes Stadtschloss Deutschlands mit rund 380 prachtvollen Residenz- und Prunksälen, Salons und Gemächern und mit seiner fast tausendjährigen Geschichte gehört das bewohnte Schloss Sigmaringen zu den eindrucksvollsten Kulturgütern Baden-Württembergs und darüber hinaus und zählt zu den beliebtesten touristischen Zielen des Landes. Neben vielen kunst- und kulturhistorischen Schätzen verfügt das Schloss, das im Besitz von Karl Friedrich Fürst von Hohenzollern und seiner Gattin Katharina ist, über die größte private Waffensammlung Europas.
Die Termine der Schlossbesichtigungen im Jahr 2013 sind unter www.schloss-sigmaringen.de einsehbar. Die Themenführung zur Vichy Regierung und dem Leben unter der Trikolore "Travail, Famille, Patrie - Arbeit, Familie, Vaterland" findet am 28. September 2013 bzw. für Gruppen nach Absprache statt.
Ein Dokumentarfilm zur Vichy Regierung in Sigmaringen ist unter dem folgenden Link zu sehen: www.docufilms.com/de/node/8140