Delmenhorst, März 2013. „Herr Doktor, ich habe Rückenschmerzen.“ Diesen Satz hören Orthopäden regelmäßig von ihren Patienten. Doch oft steckt mehr dahinter als Verspannungen oder Hexenschuss. Kreuzschmerzen können mit Fehlfunktionen des Kiefers zusammenhängen. Craniomandibuläre Dysfunktion – kurz CMD – lautet in diesem Fall die Diagnose, die nur ein Spezialist in den Griff bekommt. „Hierbei handelt es sich um eine unerkannte Volkskrankheit. Nur wenige kennen sie, aber 70 Prozent der Menschen leiden darunter. CMD ist hinsichtlich der Begleiterscheinungen sehr facettenreich. Experten bezeichnen sie daher auch als Chamäleon“, erläutert Dr. Meric Prause. Dem Zahnarzt und CMD-Spezialisten aus Delmenhorst ist es wichtig, dass mehr Mediziner und Patienten von diesem Krankheitsbild erfahren und die Zeit des Leidens abgekürzt werden kann.
Neben Rückenschmerzen können Nackenprobleme, Kopfschmerzen, Tinnitus, Schwindel, Sprach- oder Sehprobleme auf eine Störung des craniomandibulären Systems hinweisen. „Dieses setzt sich zusammen aus Zähnen, Kiefer, Gelenken, Sehnen und Muskeln. ‚Cranium’ steht dabei für den Schädel und ‚Mandibula’ für den Unterkiefer. Die gesamte Kaumuskulatur ist über den Kopf mit den Rückenmuskeln verbunden. Folglich können sich Probleme des Kiefers im Rücken bemerkbar machen“, erklärt
Dr. Prause. Auslöser dafür seien schiefe Zähne, ein verschobener Kiefer, zu hoch stehende Füllungen oder übermäßiges nächtliches Zähneknirschen. Zu den ersten Warnsignalen zählen dem Spezialisten zufolge ein Knacken des Gelenks, immer wiederkehrende Schmerzen im Gesichtsbereich, Verspannungen im Nackenbereich, Beckenschiefstand oder Probleme beim Öffnen des Mundes. Wichtig seien eine präzise Diagnose und eine interdisziplinäre Therapie.
Die Diagnose erfolgt in der Praxis in Delmenhorst in verschiedenen Schritten: Eine allgemeine zahnärztliche Untersuchung mithilfe von Röntgenaufnahmen gibt erste Anhaltspunkte, ob beim Patienten eine CMD vorliegen kann. Die eigens entwickelte Berechnungsformel, der Prause-Index, gibt Aufschluss über die positionelle Asymmetrie des linken und rechten Kiefergelenks. Diese Methode hilft, um das CMD-Risiko zu bestimmen. Die Treffsicherheit des Indexes liegt bei knapp 96 Prozent. Lässt die vorläufige Diagnose diesen Verdacht zu, folgt eine klinische Funktionsanalyse. Dabei kontrolliert Dr. Prause beispielsweise die Kiefergelenke und -bewegungen sowie die Kaumuskeln. Liegt eine Störung vor, vermisst der Mediziner die Position des Kiefers mit zwei speziellen Gesichtsbögen. Mit diesem Messgestell stellt er fest, ob es sich um eine Unter-, Über- oder Normalfunktion handelt. Mit einer computergestützten 3-D-Diagnostik ermittelt er die Bewegungsabläufe und komplettiert die Analysephase. Die ermittelten Daten sind Grundlage einer individuellen Schiene, der „Brille für die Zähne“.
„Die Kosten von bis zu 2.500 Euro übernehmen die Krankenversicherungen leider nicht. Allerdings kann die richtige Diagnose und anschließende Therapie viel Leid, Kosten und Aufwand sparen“, weiß Dr. Prause. So konnte er beispielsweise einer 14-jährigen Patientin helfen, die wegen der Verkrümmung ihrer Wirbelsäule mehrere Jahre lang ein Korsett tragen musste. Das benötigt sie heute nicht mehr und ist zudem schmerzfrei. „Um dies zu erreichen, müssen Patienten lediglich die Schiene regelmäßig nachts tragen“, verspricht Dr. Prause. Mitunter sind zusätzlich zahnmedizinische oder kieferorthopädische Eingriffe nötig. In jedem Fall werden Patienten physiotherapeutisch behandelt, um das Kausystem und die Muskulatur der Wirbelsäule zu synchronisieren.