Viele Jugendliche tauschen demnächst Schulbank gegen Werkstatt oder Büro. Damit der Start in den Traumberuf nicht zum Albtraum wird, müssen unter 18-Jährige laut Jugendarbeitsschutzgesetz zuvor einen Gesundheits-Check machen. „Um sicherzustellen, dass die Gesundheit junger Arbeitnehmer durch den Job nicht gefährdet wird, ist dieser Check sehr sinnvoll. Allergiker können somit den Friseurberuf nicht ausüben und wer unter Krampfanfällen leidet, wird kein Kranführer. Allerdings ist die Untersuchung meiner Ansicht nach nicht weitreichend genug“, sagt der Delmenhorster CMD-Spezialist Dr. Meric Prause. Seine Kritik: Eine eventuelle Fehlstellung der Kiefergelenke – Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) – wird nicht untersucht. Diese kann aber verheerende Folgen haben, beispielsweise die Leistungsfähigkeit aufgrund von Begleiterscheinungen stark einschränken oder gar Grund für Arbeitsausfälle sein. Mithilfe eines zusätzlichen CMD-Checks können diese ausgemerzt werden.
„Neben ihrer steigenden medizinischen Bedeutung besitzen CMD auch erhebliche gesundheitsökonomische Bedeutung für die Gesellschaft“, untermauert Grit Maria Sehrer in ihrer Dissertation zur CMD bei Kindern und Jugendlichen. Laut Experten, die Sehrer zitiert, belaufen sich die Ausgaben auf rund 200 bis 300 Millionen Euro jährlich. Warum es sinnvoll ist, Jugendliche auf CMD zu untersuchen, begründet Dr. Prause damit, dass vor allem im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren die Krankheitshäufigkeit zunimmt. „Angesichts dieser Tatsache muss der Prävention von CMD ein höherer Stellenwert beigemessen werden. Denn Folgeerscheinungen wie Rücken-, Kopfschmerzen oder Tinnitus können zu langen Ausfällen während der Ausbildung führen.“ All diese Symptome deuten möglicherweise auf eine Fehlstellung der Kiefergelenke hin. CMD gilt nach wie vor als unerkannte Volkskrankheit. Daher behandeln Orthopäden oder Hals-Nasen-Ohrenärzte oft nur die Symptome, lassen eine Fehlstellung der Kiefergelenke als mögliche Ursache jedoch außer Acht.
Dr. Prause konnte beispielsweise einer 14-jährigen Patientin helfen, die wegen der Verkrümmung ihrer Wirbelsäule mehrere Jahre lang ein Korsett tragen musste. „Das benötigt sie heute nicht mehr. Zudem ist sie mittlerweile schmerzfrei. Um dies zu erreichen, müssen Patienten nach einer umfassenden Diagnostik lediglich eine sogenannte Okklusionsschiene – eine spezielle Aufbissschiene – regelmäßig nachts tragen“, erläutert Prause. Mitunter seien zusätzlich zahnmedizinische oder kieferorthopädische Eingriffe nötig. In jedem Fall werden Patienten physiotherapeutisch behandelt, um das Kausystem und die Muskulatur der Wirbelsäule zu synchronisieren.
„Eine CMD-Untersuchung in den für Jugendliche kostenlosen Gesundheits-Check zu integrieren, scheint mir unmöglich. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen schon heute weder Diagnose noch Therapie in Höhe von bis zu 2.500 Euro. Allerdings kann die richtige Behandlung viel Leid, Zusatzkosten und Aufwand sparen“, weiß Prause. Unter Umständen könne es gelingen, dass Krankenkassen einen Teil der Therapie übernehmen, wenn Zähne auch aus anderen Gründen behandelt werden müssen. Bei Zusatzversicherungen hängt es laut Prause vom Vertrag ab, ob Kosten anteilig erstattet werden. Private Krankenversicherungen zahlen in aller Regel große Teile der Diagnostik und Therapie. Der CMD-Spezialist möchte Berufseinsteiger dafür sensibilisieren, erste Anzeichen ernst zu nehmen und von Experten bewerten zu lassen. Zu den Warnsignalen zählen nächtliches Zähneknirschen, ein Knacken des Kiefergelenks, wiederkehrende Schmerzen im Gesichtsbereich, Nackenverspannungen oder Probleme beim Öffnen des Mundes.