(Hamburg, 05. September 2013) Menschen sind mobil – Mikroorganismen und Viren auch. Die globale Mobilität eröffnet für Infektionserreger ideale Übertragungs- und Ausbreitungsmöglichkeiten. Keime und sich parallel ausbreitende Resistenzen sind die große Heraus¬forderung für das Gesundheitswesen. Wie begegnen wir den Infektionsrisiken unserer Zeit? Mit dieser Frage hat sich der 14. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik unter Leitung von Prof. Dr. Matthias Augustin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) ausein-andergesetzt. Der öffentlichen Debatte stellten sich der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) Prof. Dr. Reinhard Burger, die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Prof. Dr. Elisabeth Pott, der Infektionsepidemiologe Prof. Dr. Hermann Feldmeier und Prof. Dr. Uwe Frank, Mikrobiologe und Leiter der Sektion Krankenhaus- und Umwelthygiene am Universitätsklinikum Heidelberg. Die Diskussion zeigt: Infektionskrankheiten sind nicht vermeidbar, aber beherrschbar, wenn die richtigen Strategien entwickelt, mit ausreichenden Mitteln ausgestattet und konsequent umgesetzt werden. So weit ist Deutschland nicht. Bei einer großen Pandemie wird es eng, formuliert RKI-Präsident Prof. Burger.
Beispiele wie die Ausbreitung der SARS-Erreger vor zehn Jahren, der EHEC/HUS-Ausbruch 2011 oder die Expansion des H5N1-Virus zeigen, wie anfällig unsere Gesellschaft für plötzlich aufkommende neue Krankheitserreger ist. Auch aus wirtschaftlicher Sicht: Die Kosten für den EHEC-Ausbruch 2011 lagen bei 1,6 Mrd. Euro. Zudem führen die jährlich rund 4 Mio. nosokomialen Infektionen in Europa zu 37.000 Todesfällen und bedeuten 16 Mio. zusätzliche Krankenhaustage. Strategie und Aufklärung sind aus Expertensicht das A und O. Dazu gehört der verantwortungsbewusste Einsatz von Antibiotika in allen Bereichen. „Jede Erreger-Resistenz ist direkt assoziiert mit einer Antibiotikagabe“, so Prof. Frank. Er begrüßt die vom RKI initiierte Erfassung der Antibiotikaverbräuche in den Kliniken. Kliniken müssen auch die eigenen Resistenzen kennen und für die systematische Eradikation ein aktives Patientenscreening durchführen. Auch geht es nicht ohne das Implementieren von Hygienestrategien und den flächendeckenden Einsatz spezialisierter Infektiologen, die das „Stewardship“ übernehmen.
Zwar geht auch in Deutschland die MRSA-Rate aufgrund gesteigerter Bemühungen leicht zurück, doch gilt das nicht für andere Problemkeime und für spezielle Risikobereiche wie die operativen Abteilungen. Insgesamt reicht das Bewusstsein für einen effektiven Infektionsschutz in der Bevölkerung und auch in Fachkreisen noch lange nicht aus. Prof. Burger: „Es ist kein Ruhmesblatt für Deutschland, dass uns die Ausrottung von Masern im Gegensatz zu anderen Ländern nicht gelingt.“ Dass durch ideologische Beeinflussung eine effektive Durchimpfung trotz hoher wissenschaftlicher Evidenz nicht gelingt – so Burger – ist nur ein Beispiel dafür, wie unser föderalistisches System im Falle einer schweren Pandemie aufgestellt ist: mehr schlecht als recht. Zudem sei die personelle und finanzielle Ausstattung der Gesundheitsämter dramatisch gesenkt worden und auch das unerlässliche Zusammenwirken der Stellen defizitär. Zusammenarbeit war auch das Stichwort von Frau Prof. Pott: Optimal strukturierte, wissenschaftlich begründete, mit allen Stellen koordinierte und ständig evaluierte Aufklärungskonzepte können viel bewirken. Die HIV-Kampagne „Gib Aids keine Chance“ zeige das signifikant. In Deutschland mangelt es in anderen wichtigen Bereichen des Infektionsschutzes und assoziierter Hygienemaßnahmen jedoch an ausreichenden Aufklärungs¬konzepten. Dass mangelnde Zusammenarbeit und fehlverstandene Kommunikation die Infektions¬eindämmung dramatisch behindern, konnte Prof. Feldmeier am Beispiel des verbreiteten Kopflausbefalls anschaulich zeigen: Vorurteile, Scham und schlechte Zusammenarbeit zwischen Institutionen und Eltern erschweren die an sich einfache Bekämpfung einer in Deutschland einst ausgerottet geglaubten Infektionsplage.