fit und munter - Deutscher Ethikrat befasst sich mit Verteilungskriterien in der Transplantationsmedizin

fit und munter

Deutscher Ethikrat befasst sich mit Verteilungskriterien in der Transplantationsmedizin


Ausgelöst durch Richtlinienverstöße bei der Vergabe
von Spenderorganen, hat sich der Deutsche Ethikrat am 26. September
2013 im Rahmen seiner öffentlichen Plenarsitzung in Berlin mit der
Frage der gerechten Zuteilung von Organen beschäftigt.

Die Entrüstung über einzelne Ärzte, die unter dem Verdacht standen
und stehen, das System für die Zuteilung von Organen manipuliert zu
haben, hat dazu geführt, dass das System der Organallokation selbst
in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gerückt ist.

Wer nach welchen Kriterien auf die Warteliste für ein Spenderorgan
kommt, wer von den Wartenden zuerst ein Organ erhält und ob es eine
primär medizinische Aufgabe ist, dafür Regeln zu entwickeln,
diskutierte der Ethikrat mit sechs Sachverständigen.

Dirk Ludger Stippel, Transplantationsmediziner von der
Universitätsklinik Köln zeigte auf, dass die medizinischen Kriterien
für die Zuteilung von Organen weiterentwickelt werden müssen. Dazu
bedürfe es einer guten Datenbasis durch ein Transplantationsregister.
Er forderte eine breite gesellschaftliche Debatte über die gerechte
Gestaltung der Transplantationsmedizin. Dies würde auch die Akzeptanz
befördern.

Die Psychosomatikerin Gertrud Greif-Higer von der
Universitätsmedizin in Mainz kritisierte, dass die gegenwärtig
praktizierte Priorisierung der Dringlichkeit gegenüber der
Erfolgsaussicht Patienten dazu zwinge, "so lange zu warten, bis sie
so schwer krank sind, dass sie nur noch mit schlechter
Erfolgsaussicht transplantiert werden können". Darüber hinaus
bemängelte sie, dass zu Fragen des Patientenerlebens so gut wie keine
Daten vorlägen.

Jutta Riemer, Vorsitzende des Vereins Lebertransplantierte e. V.
betonte, dass dringend über die Optimierung der Organallokation
nachzudenken und eine ethische Diskussion zu führen sei. Sie zeigte
auf, wie schwer es sei, in den Richtlinien die Situation einzelner
Patienten angemessen zu berücksichtigen. Es fehlten zudem Daten zur
Lebensqualität der Patienten und ein gemeinsames Verständnis, was mit
dem Kriterium der Erfolgsaussicht gemeint sei.

Der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation der
Bundesärztekammer, Hans Lilie, räumte zwar ein, dass der
Bundesärztekammer mit den Vorgaben des § 12 Absatz 3 Satz 1 des
Transplantationsgesetzes "keine einfach subsumierbaren
Gesetzesbegriffe an die Hand gegeben" seien. Er zweifelte jedoch
daran, dass mithilfe einer stärkeren Konturierung dieser Regelung
eine gerechtere Verteilung herbeigeführt werden könne.

Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg kritisierte aus
verfassungsrechtlicher Perspektive, dass die Vorgaben des
Transplantationsgesetzes für Kriterien zur Zuteilung von Organen und
damit zur Zuteilung von Lebenschancen nicht ausreichend seien. Ein
demokratischen und rechtsstaatlichen Regeln genügendes
Verteilungssystem sei "eine politisch zwingende Voraussetzung nicht
erst für die Organverteilung, sondern schon für die Erhöhung der Zahl
der Organspender".

Micha Werner von der Universität Greifswald beleuchtete die Fragen
der Organallokation aus moralphilosophischer Perspektive. Er
verteidigte die höhere Gewichtung der Dringlichkeit gegenüber der
Erfolgswahrscheinlichkeit damit, dass "eine an unverrechenbaren
Individualansprüchen orientierte Gerechtigkeitsethik ... in der
Dringlichkeit die vorrangige Grundlage individueller Ansprüche auf
Spenderorgane" sieht, die Erfolgswahrscheinlichkeit als sekundäres
Kriterium aber nicht ausgeschlossen sei.

In der anschließenden Diskussion mit den Mitgliedern des
Ethikrates sei deutlich geworden, so resümierte die Vorsitzende des
Ethikrates, Christiane Woopen, dass man zwischen den Fragen des
Zugangs zur Warteliste und der Zuteilung der Organe selbst trennen
müsse. Es müssten mehr Daten über die Situation der Patienten, nicht
nur medizinischer, sondern auch psychosozialer Art erhoben werden. Im
medizinischen Bereich gebe es z.B. bei psychologischer Begleitung der
Patienten und bei der Weiterentwicklung der Richtlinien noch viele
Gestaltungsmöglichkeiten, die auch ohne Einbeziehung des Gesetzgebers
möglich seien.

Offensichtlich sei auch, so Woopen, dass die Frage nach einer
gerechten Organverteilung eine primär ethische Frage sei. Es gebe
nicht das EINE Kriterium für eine gerechte Zuteilung. Vielmehr seien
mehrere Kriterien miteinander zu kombinieren, die in einer intensiven
öffentlichen Debatte bestimmt und gewichtet sowie vom Gesetzgeber
festgeschrieben werden müssten. Die konkrete Anwendung müsse dann in
einem zweiten Schritt medizinisch bestimmt werden.

Das Programm der Veranstaltung sowie die Vorträge und
Diskussionsbeiträge können unter http://ots.de/9mneR abgerufen
werden.



Pressekontakt:
Ulrike Florian
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutscher Ethikrat
Jägerstrasse 22/23
D-10117 Berlin
Tel: +49 +30 203 70-246
Fax:+49 +30 203 70-252
E-Mail: florian@ethikrat.org
URL: http://www.ethikrat.org
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