fit und munter - Sommerfrische statt Winter-Blues? - Experten berieten an der Hochschule Mün

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Sommerfrische statt Winter-Blues? - Experten berieten an der Hochschule Mün

Palmen im Inntal, ein drohender"alpiner Ballermann", der Ruf nach Schneesicherheit und Sonnengarantie waren die plakativsten Ergebnisse des Experten-Hearings an der Hochschule München. Die Fakultät für Tourismus hatte als Auftakt des EU-Projekts ClimAlpTour Ende Mai 2009 zu einem Experten-Hearing geladen. Rund 70 Fachleute aus der Versicherungs- und Finanzwirtschaft, dem Naturraum-Management, NGOs und dem Tourismus erleb-ten drei hochkarätige Vortragende und produktive Workshops. So erhielten sie Antworten auf: "Wie beeinflusst der Klimawandel den Tourismus im Alpen-raum?" - Risiken und Chancen für Versicherer und Investoren wurden ebenso deutlich wie mögliche Strategien für Heute und Morgen. Kurzes Fazit: Zwar fördert ausgerechnet der Klimawandel Innovationen, gerade in Sommerange-boten. Das Bewusstsein für die nötige Anpassung an den Klimawandel insgesamt ist laut den Experten jedoch noch zu schwach.

"Wir brauchen dringend ein " Wandelklima" als Tourismusansatz. Kurzfristig könnten weniger die eigentlichen Klimafolgen, als vielmehr ein verändertes Gästeverhalten Motor für Anpassung sein", betont Projektleiter Prof. Dr. Felix Kolbeck. Daher gehe die öffentliche Debatte um Konsequenzen für den alpinen Wintersport und die Gletscher am Thema vorbei. Der alpine Skisport geht schon seit Jahren zurück, er fordert hohe Investitionen und operative Kosten verbunden mit hohen Ausfallsrisiken. Die internationale Alpenschutzkommission CIPRA bezeichnet Wintersportinvestitionen in niedrigen Höhenlagen sogar als "Ruinen von morgen" und sieht dafür umso bessere Chancen für kreative, gute Angebote im alpinen Sommertourismus. Als größte deutsche akademische Ausbildungseinheit im Tourismus hat die Hochschule München sich das Thema "Nachhaltige Tourismusentwicklung" und "Kompetenz im Alpenraum" auf die Fahnen geschrieben. Als spannend und produktiv erwies sich die Mischung der Teilnehmer. "Finanzierung und Versicherung stehen für das Geschäft mit Risiko und Gefahren, Tourismus hingegen ist das Geschäft mit der Sehnsucht", brachte es Kolbeck ironisch zum Ausdruck.

Prof. Dr. Peter Höppe von der Münchner Rück - dem größten Rückversicherer weltweit - betonte, dass das Klima bei der Wahl eines Reiseziels als mit wichtigster Grund genannt wird. Gerade Küsten und Berge, die besonders als "Frühwarnsysteme" im Klimawandel gelten, sind Tourismuszentren. Höppes Abteilung Geo Risiko Forschung verfügt über die weltweit größte Datenbank für Naturkatastrophen und erfasst etwa 600 bis 900 Katastrophen pro Jahr. Die größte humanitäre Naturkatastro-phe in Europa im Sommer 03 mit etwa 70.000 Hitzetoten ist hier ebenso dokumen-tiert wie die Jahrhundertflut von 2005, als bisher teuerste Naturkatastrophe. Allein in der Schweiz richtete sie 1 Mrd. USD Schaden an. Der drastische Anstieg meteorolo-gischer Ereignisse liegt auf der Hand, dass er vom Menschen beeinflusst ist, auch. Mehr Stürme, Überschwemmungen, Unwetter, Hagel oder Muren, kurz mehr extreme Wetter-Phänomene bedeuten für den outdoor-orientierten Tourismus ein höheres Risiko. Auf der Verliererseite stünden niedrig gelegene Skigebiete, Gebiete mit Wassermangel oder zunehmender Hitze, auch weil Infektionskrankheiten wieder zunehmen. Der Alpenraum könne laut Höppe vor allem beim Sommertourismus profitieren und davon, dass "CO2-Emissionen ein Preisschild erhalten", sprich Nähe wieder punktet.

Die "Alpine Pearls" - eine Kooperation von derzeit 21 Tourismusorten wie Interlaken, Arosa oder Berchtesgaden - zählen offenbar zu den Gewinnern des Klimawandels. 11 Mio. Übernachtungen generieren sie gemeinsam, beherbergen in Summe 2 Mio. Gäste. Dr. Peter Brandauer, Präsident der Pearls und Bürgermeister der Salzburger Gemeinde Werfenweng überzeugte das Plenum, dass das gemeinsame Qualitäts-versprechen wirkt: Der 10-Punkte-Mix für sanfte Mobilität bei Anreise und vor Ort, aber auch Kooperationen mit Mobilitäts-Dienstleistern sorgen für schwarze Zahlen - und Klimaschutz. In Werfenweng konnte man so den Bahnreise-Anteil von 6 auf 25% steigern, die Nächtigungszahlen stiegen deutlich. Spätestens das bedeutet Akzeptanz unter Vermietern und Bevölkerung.

ClimAlpTour ist eines der drei Spin Offs des 2007 abgeschlossenen EU-Vorhabens ClimChAlp, das unter Federführung des Bayerischen Umweltministeriums stand. Als dessen Vertreter brach Dr. Jörg Stumpp im dritten Vortrag eine Lanze für internationale Zusammenarbeit und für das Bayerische Klimaprogramm 2020, das auf den drei Säulen: Minderung, Anpassung sowie Forschung und Entwicklung beruht. Erklärtes Ziel des Programms sei es, den pro-Kopf-Verbrauch auf deutlich unter 6 Tonnen CO2 zu drücken. Derzeit liege Bayern mit 6,7 klar unter dem bundesweiten Schnitt von 10,3 Tonnen. Das Programm bedeutet zusätzliche 350 Mio. Euro für Maßnahmen. Am 26. Mai 2009 verabschiedete das Kabinett die bayerische Klima-Anpassungsstrategie.

Die drei Workshops (Natur und Nachhaltigkeit, Finanzierung/Versicherung, Produktentwicklung) zu Wirkungen und Anpassung zeigten vor allem eines: Das Bewusstsein und die Bereitschaft für die nötige Anpassung an den Klimawandel ist noch halbherzig, marktfähige nachhaltige Angebote sind noch Mangelware. Und alle - außer den Versicherern - setzen verstärkt auf den Sommer.

Workshop Natur (Moderation: Tanja Hanslbauer, Hochschule München, Dr. Thomas Probst, Alpenforschungsinstitut): Bei allen Akteuren sehen die Teilneh-mer gute Ansätze zur Anpassung an den Klimawandel und zum Klimaschutz, dennoch das Bewusstsein stecke noch in den Kinderschuhen. Nur über dieses Bewusstsein kann eine echte "willingness to adapt" entstehen. Sehr großen Handlungsbedarf sehen die Teilnehmer auf kommunaler Ebene. Hier brauche es mehr vorausschauendes Denken, mehr gelebte Leitbilder. Allerdings fehle in Gemeinden oft die "Luft" zum Gestalten. Im Landkreis Garmisch-Partenkirchen etwa seien laut Thomas Bausch 60 - 80% mancher Gemeindeflächen Schutzgebiete. Durch höhere Temperaturen - Palmen im Inntal - und einer verlängerten Sommersaison sehen viele Chancen für eine nachhaltige Regionalentwicklung. Tourismusunternehmen, Touristen und Verkehrsträger seien hierzu ebenfalls gefordert. Weil weniger Flächen nutzbar sein werden, sind Konflikte aus Land-, Forstwirtschaft, Verkehr und Tourismus vorprogrammiert.

Workshop Finanzierung / Versicherung (Moderation Prof. Dr. Kolbeck): Die Fi-nanz- und Versicherungsbranchen müssen das Mehr an Risiko durch den Klimawandel in Preise umsetzen und absichern. Das verteuert das Produkt. Als Chancen sieht man einen Qualitäts-Schub, neue Versicherungsprodukte und einen deutlichen Impuls für Innovationen. Kostensteigerungen, vielleicht sogar "alpine Ballermanns" sowie mehr Transparenz, mehr gefühlte Sicherheit zu schaffen, seien die Herausforderungen. Versicherer brauchen Transparenz in Risikofragen, während Anbieter befürchten, durch zu viel Offenheit diesbezüglich Gäste abzuschrecken. Hier sei es Aufgabe der Versicherer insgesamt für mehr Risikobewusstsein für Naturgefahren zu sorgen. Ein möglicher Interessenskonflikt besteht zwischen Versicherern und Finanziers: Investoren schreiben Projekte nach 10-15 Jahren ab, während für Versicherer das Risiko mit dem Alter von Anlagen steigt. Der Finanzbranche erscheint der Sommertourismus sicherer, aus Versicherungssicht birgt der Winter weniger Risiken.


Workshop Produktentwicklung (Moderation: Prof. Dr. Thomas Bausch, Hochschule München): Die Alpen werden von den Touristikern dieses Workshops erfreulicher Weise im Sommertourismus als doppelte Gewinner des Klimawandels gesehen. Denn für die Verbraucher im Quellmarkt Deutschland werden Flugreisen weniger attraktiv, die Nähe gewinnt, die Alpen entwickeln durch ihre Authentizität eine sehr hohe Anziehungskraft. Zudem gehen einige Touristiker davon aus, dass die Flugreisen in die Alpen aus entfernteren Quellmärkten zunehmen werden. Auf breiter Basis sieht man noch keine echte innere Überzeugung und starke Nachfrage für klimafreundliche Tourismusangebote, in - hochpreisigen - Nischen durchaus. Allen erscheint der Klimawandel als willkommener Anlass, "aufzuwachen", längst fällige Innovationen zu wagen. Manche Regionen können jedoch mit dem Tempo des Wandels nicht mithalten, hinken hinterher. Bergbahnen sollten Ersatzinvestitionen auch sommertauglich gestalten, mehr am Bergerlebnis arbeiten. Laut CIPRA sind viele Neu-Investitionen - alpenweit rund 100 Erschließungen in den Hochlagen - geplant. Destinationen müssten auf Sommerfrische-Produkte setzen und ihre Winterprodukte diversifizieren. Frühjahr-/Herbst-Kampagnen sind heute schon an der Tagesordnung.

Fazit: Eine sensible, genaue Betrachtung und individuelle Anpassung ist gefragt. Insgesamt empfiehlt Projektleiter Felix Kolbeck statt einer von Pessimismus, Katastrophen-Szenarien und kurzfristigen Reaktionsmustern geprägten Diskussion des Klimawandels ein positives Wandelklima; ein Klima für neue Chancen, strategische Anpassungen sowie ökonomisch und ökologisch nachhaltige Produkte.


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