Allergie-ähnliche Immunreaktionen könnten eine Schutzfunktion des Körpers vor Gift sein. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommen WissenschafterInnen der Stanford University, USA, in einem vom Wissenschaftsfonds FWF kofinanzierten Projekt. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse belegen, dass Bienengift in Mäusen eine Immunantwort und die Bildung von Immunglobulin E-Antikörpern auslöst, die auch für Allergien typisch sind. In der Folge schaffen diese IgEs dann jedoch einen Schutz gegen später verabreichte höhere Mengen des Gifts. Damit wurde erstmals eine direkte Schutzfunkion von IgEs gegen Gift für den Körper beobachtet – was eine umstrittene Hypothese aus den 1990er-Jahren zur Entstehung von Allergien untermauert.
Allergien sind ziemlich unnötig: Anstatt gesundheitsgefährdende Mikroben zu bekämpfen, wendet sich das Immunsystem gegen ungefährliche Pollen, Haare oder Staubpartikel. Die Frage, warum der Körper sich so heftig gegen Harmloses wehrt, beschäftigt zahlreiche WissenschafterInnen auf der ganzen Welt. Die jetzt in Immunity veröffentlichte Arbeit eines Erwin-Schrödinger-Stipendiaten des Wissenschaftsfonds FWF gibt einer umstrittenen Hypothese zur Erklärung solcher allergischer Reaktionen erneuten Auftrieb.
Gift schützt vor Gift
Dr. Philipp Starkl, der sein Stipendium zur Mitarbeit im Team von Prof. Stephen J. Galli am Department of Pathology der Stanford University School of Medicine nutzt, fasst das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit so zusammen: "Mäuse, denen wir zuvor geringe Mengen an Bienengift verabreicht hatten, zeigten anschließend eine erstaunliche Resistenz gegen höhere Mengen des Gifts. Wie bei einer Impfung schien der Körper eine Art Immunschutz gegen das Bienengift aufzubauen." Interessanterweise sind vom Menschen aber auch ganz andere Reaktionen bekannt – der wiederholte Kontakt mit Bienengift kann zu allergischen Reaktionen oder gar zu einem anaphylaktischen Schock führen. Maßgeblich verantwortlich dafür sind Antikörper des Typs IgE.
Dr. Starkl und seine KollegInnen stellten sich die Frage, ob diese Antikörper auch bei den in Mäusen beobachteten Reaktionen beteiligt sind. Zur Klärung dieser Frage wurde Bienengift an drei verschiedene Mäusestämme verabreicht, in denen die Funktionsweise einer auf IgE basierenden Immunreaktion auf unterschiedliche Weise unterbunden war. Die Ergebnisse zeigten, dass diese Mäuse – im Gegensatz zu den vorher untersuchten "normalen" Mäusestämmen – keinen Schutz gegen Bienengift aufbauen konnten. IgEs dürften in Mäusen also durchaus auch eine positive Funktion haben. Eine Erkenntnis, die im krassen Gegensatz zu dem steht, was vom Menschen bisher bekannt war. Dort gelten IgE-Antikörper hauptsächlich als Verursacher allergischer Reaktionen. Eine darüber hinausgehende positive Funktion wurde zwar vermutet (etwa in der Immunabwehr gegen Parasiten), konnte aber bisher nicht direkt nachgewiesen werden.
Evolution folgt Funktion
Doch das Stanford-Team war gar nicht so sehr überrascht von dieser positiven Funktion von IgEs. Dazu Dr. Starkl, der mit seinem belgischen Kollegen Dr. Thomas Marichal gemeinsamer Erstautor der aktuellen Publikation ist: "Die Annahme, dass die Funktion von IgE-Antikörpern auf das Auslösen allergischer Reaktionen beschränkt sei, griff aus unserer Sicht schon immer zu kurz. Sonst wären IgEs im Zuge der Evolution sicher eliminiert worden. Eine Überlegung, die auch der sogenannten Gift-Hypothese zugrunde liegt."
Diese besagt, dass der Körper mittels IgE-Antikörpern und allergischer Reaktionen einen Schutz gegen giftige Substanzen aufbauen kann. So hätten IgEs in der Evolution des Menschen tatsächlich eine sehr wichtige Funktion erfüllt – die erst durch die immer besser geschützte Lebensweise der Menschen an Bedeutung verlor. Allergische Reaktionen, so die Hypothese weiter, wären dann extreme oder unkontrollierte Formen des Schutzmechanismus. Tatsächlich könnte gerade auch die "Unterbeschäftigung" dieses Reaktionsweges in modernen Zeiten dazu beitragen, dass er zu Über- oder Fehlfunktionen neigt.
Die von Margie Profet im Jahr 1991 aufgestellte Gift-Hypothese war bisher stark umstritten – aber nie widerlegt worden. Die Arbeit des Erwin-Schrödinger-Stipendiaten des FWF liefert nun erstmals ein experimentelles Ergebnis zu ihrer Untermauerung – und zeigt einmal mehr die Wichtigkeit eines "Open Minds" in der Wissenschaft.